pse_565.001 auch ein soziales Gebilde. Bei keiner anderen Dichtungsgattung pse_565.002 sind die Beziehungen zum Publikum so eng und mannigfaltig pse_565.003 wie im Drama. Damit wird deutlich, daß gerade das pse_565.004 Drama engste Zusammenhänge mit der Geschichte und der pse_565.005 Tradition hat. Die Spannungen zwischen geschichtlicher Bindung pse_565.006 und Ewigkeitswert der Dichtung sind hier also besonders pse_565.007 groß. Um das Drama kümmert sich auch sehr eingehend pse_565.008 die Theaterwissenschaft. Wir betrachten es hier vor allem als pse_565.009 Dichtung und ziehen das Theater nur so weit heran, als es für pse_565.010 das Verständnis dieser dichterischen Form notwendig ist.
pse_565.011 Das Wort Drama kommt aus dem griechischen Verbum pse_565.012 dran, das handeln heißt. Ob die Entwicklung des Wortes zum pse_565.013 heutigen Sinn ein Zufall ist (A. Pfeiffer) oder einen tieferen pse_565.014 Sinn offenbart, nämlich das Handeln aus eigener Entscheidung pse_565.015 in gespannter Lage (Snell) oder auch unfaßbares, frevelhaftes pse_565.016 Tun mit einschließt (Volkmann-Schluck), bleibt für pse_565.017 uns ohne Bedeutung. Im Deutschen ist es ein sehr umfassender pse_565.018 Ausdruck geworden, der jede echt dramatische Art umfaßt. pse_565.019 Im Französischen ist der Gebrauch enger. Das Wort pse_565.020 "Tragödie" weist in seinem Ursprung auf die Dionysos-Feste pse_565.021 hin, es bedeutet Bocksgesang im Hinblick auf das Bocksopfer pse_565.022 oder auf die verkleideten Sänger. Der deutsche Ausdruck pse_565.023 Trauerspiel wird von vielen in seiner Bedeutung von Tragödie pse_565.024 abgetrennt, es meine mehr das traurige, nicht das tragische pse_565.025 Drama. Wir brauchen den Unterschied nicht zu beachten. pse_565.026 Wohl aber hat vor allem die deutsche Poetik einen Unterschied pse_565.027 zwischen Komödie und Lustspiel herausgearbeitet, den pse_565.028 wir noch betrachten werden. Schauspiel ist im deutschen pse_565.029 Sprachgebrauch ganz allgemein ein ernstes Stück, dessen pse_565.030 Ende aber nicht tragisch ist: "Iphigenie", "Wilhelm Tell". Der pse_565.031 Franzose, besonders im Rahmen seiner klassischen Poetik, pse_565.032 würde solche Stücke auch als Tragödien bezeichnen.
pse_565.033 Wurzeln des Dramas und Grundlegung
pse_565.034 Schon die Betrachtung der geschichtlichen Stufen zum pse_565.035 Drama führt uns zum ersten Grundmerkmal der Dramatik. pse_565.036 Diese Stufen sind aber zugleich ewige Formen, die immer da
pse_565.001 auch ein soziales Gebilde. Bei keiner anderen Dichtungsgattung pse_565.002 sind die Beziehungen zum Publikum so eng und mannigfaltig pse_565.003 wie im Drama. Damit wird deutlich, daß gerade das pse_565.004 Drama engste Zusammenhänge mit der Geschichte und der pse_565.005 Tradition hat. Die Spannungen zwischen geschichtlicher Bindung pse_565.006 und Ewigkeitswert der Dichtung sind hier also besonders pse_565.007 groß. Um das Drama kümmert sich auch sehr eingehend pse_565.008 die Theaterwissenschaft. Wir betrachten es hier vor allem als pse_565.009 Dichtung und ziehen das Theater nur so weit heran, als es für pse_565.010 das Verständnis dieser dichterischen Form notwendig ist.
pse_565.011 Das Wort Drama kommt aus dem griechischen Verbum pse_565.012 dran, das handeln heißt. Ob die Entwicklung des Wortes zum pse_565.013 heutigen Sinn ein Zufall ist (A. Pfeiffer) oder einen tieferen pse_565.014 Sinn offenbart, nämlich das Handeln aus eigener Entscheidung pse_565.015 in gespannter Lage (Snell) oder auch unfaßbares, frevelhaftes pse_565.016 Tun mit einschließt (Volkmann-Schluck), bleibt für pse_565.017 uns ohne Bedeutung. Im Deutschen ist es ein sehr umfassender pse_565.018 Ausdruck geworden, der jede echt dramatische Art umfaßt. pse_565.019 Im Französischen ist der Gebrauch enger. Das Wort pse_565.020 »Tragödie« weist in seinem Ursprung auf die Dionysos-Feste pse_565.021 hin, es bedeutet Bocksgesang im Hinblick auf das Bocksopfer pse_565.022 oder auf die verkleideten Sänger. Der deutsche Ausdruck pse_565.023 Trauerspiel wird von vielen in seiner Bedeutung von Tragödie pse_565.024 abgetrennt, es meine mehr das traurige, nicht das tragische pse_565.025 Drama. Wir brauchen den Unterschied nicht zu beachten. pse_565.026 Wohl aber hat vor allem die deutsche Poetik einen Unterschied pse_565.027 zwischen Komödie und Lustspiel herausgearbeitet, den pse_565.028 wir noch betrachten werden. Schauspiel ist im deutschen pse_565.029 Sprachgebrauch ganz allgemein ein ernstes Stück, dessen pse_565.030 Ende aber nicht tragisch ist: »Iphigenie«, »Wilhelm Tell«. Der pse_565.031 Franzose, besonders im Rahmen seiner klassischen Poetik, pse_565.032 würde solche Stücke auch als Tragödien bezeichnen.
pse_565.033 Wurzeln des Dramas und Grundlegung
pse_565.034 Schon die Betrachtung der geschichtlichen Stufen zum pse_565.035 Drama führt uns zum ersten Grundmerkmal der Dramatik. pse_565.036 Diese Stufen sind aber zugleich ewige Formen, die immer da
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0581"n="565"/><lbn="pse_565.001"/>
auch ein soziales Gebilde. Bei keiner anderen Dichtungsgattung <lbn="pse_565.002"/>
sind die Beziehungen zum Publikum so eng und mannigfaltig <lbn="pse_565.003"/>
wie im Drama. Damit wird deutlich, daß gerade das <lbn="pse_565.004"/>
Drama engste Zusammenhänge mit der Geschichte und der <lbn="pse_565.005"/>
Tradition hat. Die Spannungen zwischen geschichtlicher Bindung <lbn="pse_565.006"/>
und Ewigkeitswert der Dichtung sind hier also besonders <lbn="pse_565.007"/>
groß. Um das Drama kümmert sich auch sehr eingehend <lbn="pse_565.008"/>
die Theaterwissenschaft. Wir betrachten es hier vor allem als <lbn="pse_565.009"/>
Dichtung und ziehen das Theater nur so weit heran, als es für <lbn="pse_565.010"/>
das Verständnis dieser dichterischen Form notwendig ist.</p><p><lbn="pse_565.011"/>
Das Wort Drama kommt aus dem griechischen Verbum <lbn="pse_565.012"/>
dran, das handeln heißt. Ob die Entwicklung des Wortes zum <lbn="pse_565.013"/>
heutigen Sinn ein Zufall ist (A. Pfeiffer) oder einen tieferen <lbn="pse_565.014"/>
Sinn offenbart, nämlich das Handeln aus eigener Entscheidung <lbn="pse_565.015"/>
in gespannter Lage (Snell) oder auch unfaßbares, frevelhaftes <lbn="pse_565.016"/>
Tun mit einschließt (Volkmann-Schluck), bleibt für <lbn="pse_565.017"/>
uns ohne Bedeutung. Im Deutschen ist es ein sehr umfassender <lbn="pse_565.018"/>
Ausdruck geworden, der jede echt dramatische Art umfaßt. <lbn="pse_565.019"/>
Im Französischen ist der Gebrauch enger. Das Wort <lbn="pse_565.020"/>
»Tragödie« weist in seinem Ursprung auf die Dionysos-Feste <lbn="pse_565.021"/>
hin, es bedeutet Bocksgesang im Hinblick auf das Bocksopfer <lbn="pse_565.022"/>
oder auf die verkleideten Sänger. Der deutsche Ausdruck <lbn="pse_565.023"/>
Trauerspiel wird von vielen in seiner Bedeutung von Tragödie <lbn="pse_565.024"/>
abgetrennt, es meine mehr das traurige, nicht das tragische <lbn="pse_565.025"/>
Drama. Wir brauchen den Unterschied nicht zu beachten. <lbn="pse_565.026"/>
Wohl aber hat vor allem die deutsche Poetik einen Unterschied <lbn="pse_565.027"/>
zwischen Komödie und Lustspiel herausgearbeitet, den <lbn="pse_565.028"/>
wir noch betrachten werden. Schauspiel ist im deutschen <lbn="pse_565.029"/>
Sprachgebrauch ganz allgemein ein ernstes Stück, dessen <lbn="pse_565.030"/>
Ende aber nicht tragisch ist: »Iphigenie«, »Wilhelm Tell«. Der <lbn="pse_565.031"/>
Franzose, besonders im Rahmen seiner klassischen Poetik, <lbn="pse_565.032"/>
würde solche Stücke auch als Tragödien bezeichnen.</p><divn="3"><lbn="pse_565.033"/><head><hirendition="#c"><hirendition="#i">Wurzeln des Dramas und Grundlegung</hi></hi></head><p><lbn="pse_565.034"/>
Schon die Betrachtung der geschichtlichen Stufen zum <lbn="pse_565.035"/>
Drama führt uns zum ersten Grundmerkmal der Dramatik. <lbn="pse_565.036"/>
Diese Stufen sind aber zugleich ewige Formen, die immer da
</p></div></div></div></body></text></TEI>
[565/0581]
pse_565.001
auch ein soziales Gebilde. Bei keiner anderen Dichtungsgattung pse_565.002
sind die Beziehungen zum Publikum so eng und mannigfaltig pse_565.003
wie im Drama. Damit wird deutlich, daß gerade das pse_565.004
Drama engste Zusammenhänge mit der Geschichte und der pse_565.005
Tradition hat. Die Spannungen zwischen geschichtlicher Bindung pse_565.006
und Ewigkeitswert der Dichtung sind hier also besonders pse_565.007
groß. Um das Drama kümmert sich auch sehr eingehend pse_565.008
die Theaterwissenschaft. Wir betrachten es hier vor allem als pse_565.009
Dichtung und ziehen das Theater nur so weit heran, als es für pse_565.010
das Verständnis dieser dichterischen Form notwendig ist.
pse_565.011
Das Wort Drama kommt aus dem griechischen Verbum pse_565.012
dran, das handeln heißt. Ob die Entwicklung des Wortes zum pse_565.013
heutigen Sinn ein Zufall ist (A. Pfeiffer) oder einen tieferen pse_565.014
Sinn offenbart, nämlich das Handeln aus eigener Entscheidung pse_565.015
in gespannter Lage (Snell) oder auch unfaßbares, frevelhaftes pse_565.016
Tun mit einschließt (Volkmann-Schluck), bleibt für pse_565.017
uns ohne Bedeutung. Im Deutschen ist es ein sehr umfassender pse_565.018
Ausdruck geworden, der jede echt dramatische Art umfaßt. pse_565.019
Im Französischen ist der Gebrauch enger. Das Wort pse_565.020
»Tragödie« weist in seinem Ursprung auf die Dionysos-Feste pse_565.021
hin, es bedeutet Bocksgesang im Hinblick auf das Bocksopfer pse_565.022
oder auf die verkleideten Sänger. Der deutsche Ausdruck pse_565.023
Trauerspiel wird von vielen in seiner Bedeutung von Tragödie pse_565.024
abgetrennt, es meine mehr das traurige, nicht das tragische pse_565.025
Drama. Wir brauchen den Unterschied nicht zu beachten. pse_565.026
Wohl aber hat vor allem die deutsche Poetik einen Unterschied pse_565.027
zwischen Komödie und Lustspiel herausgearbeitet, den pse_565.028
wir noch betrachten werden. Schauspiel ist im deutschen pse_565.029
Sprachgebrauch ganz allgemein ein ernstes Stück, dessen pse_565.030
Ende aber nicht tragisch ist: »Iphigenie«, »Wilhelm Tell«. Der pse_565.031
Franzose, besonders im Rahmen seiner klassischen Poetik, pse_565.032
würde solche Stücke auch als Tragödien bezeichnen.
pse_565.033
Wurzeln des Dramas und Grundlegung pse_565.034
Schon die Betrachtung der geschichtlichen Stufen zum pse_565.035
Drama führt uns zum ersten Grundmerkmal der Dramatik. pse_565.036
Diese Stufen sind aber zugleich ewige Formen, die immer da
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 565. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/581>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.