pse_574.001 auftut. Wir nennen es Schicksal. In ihm trifft das, was pse_574.002 dem Menschen geschickt ist, mit dem Inneren des Menschen pse_574.003 zusammen: das Geschickte wird vom Menschen in irgendeiner pse_574.004 Weise aufgenommen. Nur wenn ein tieferer Hintergrund pse_574.005 zu fehlen scheint, nennen wir es Zufall oder Verhängnis. pse_574.006 Die Antike sah im Schicksal die letzte Macht hinter allem, pse_574.007 auch hinter den Göttern, der Christ denkt dabei an die Unfaßbarkeit pse_574.008 der göttlichen Vorsehung, die anerkannt sein muß, pse_574.009 wenn man sie auch nicht begreift. Die deutsche Klassik drängt pse_574.010 die Macht des Schicksals stark aus ihrem Weltbild zurück, da pse_574.011 sie die menschliche Persönlichkeit hochschätzt. So ergeben pse_574.012 sich bestimmte Ausformungen der Schicksalsdramatik, die wir pse_574.013 noch berühren werden.
pse_574.014 Die Entfaltung des dramatischen Konflikts im Vorgang pse_574.015 ist nicht einlinig, sondern geht nach mehreren Richtungen, pse_574.016 der Vorgang ist geschichtet. Es gibt Motive, die in letzte pse_574.017 weltanschauliche Zusammenhänge weisen, solche, die vor pse_574.018 allem eine dichterische Wirklichkeit schaffen, endlich solche, pse_574.019 die Teile des Geschehens sinnvoll verknüpfen. Zu den ersten pse_574.020 gehört etwa Wallensteins Sternenglaube, zu den zweiten pse_574.021 alles, was den Bruch zwischen Wallenstein und dem Kaiser gestaltet, pse_574.022 zu den dritten etwa der Brief, den Wallenstein über pse_574.023 Butler an den Kaiser schrieb. So entsteht eine Art Organismus pse_574.024 von flächenhafter und tiefenhafter Ausdehnung. Es pse_574.025 können auch zwei Vorgänge zu einer Ganzheit verflochten pse_574.026 werden. In Goethes "Faust" spielt sich einmal eine menschliche pse_574.027 Tragödie ab, ein Auf und Ab von Aufschwüngen und Niederbrüchen, pse_574.028 darüber wölbt sich ein mannigfach geschichteter pse_574.029 übermenschlicher Vorgang, eine Art Mysterienspiel, das pse_574.030 Fausts Leben in einen höheren Zusammenhang einordnet. pse_574.031 So bilden beide Vorgänge ein höheres Ganzes.
pse_574.032 Der dramatische Vorgang verläuft zeitlich und weist dabei pse_574.033 bestimmte Merkmale auf. Bekanntlich hat G. Freytag dafür pse_574.034 Normen aufgestellt. Man kann sie allgemein etwa so formulieren: pse_574.035 der Vorgang hat einen deutlichen Ansatzpunkt, pse_574.036 ein erregendes Moment; eine Stelle, wo sich in starker Verdichtung pse_574.037 eine Wende anbahnt; einen deutlichen Schluß mit pse_574.038 letzter Spannung und Katastrophe. Das gilt für viele Dramen,
pse_574.001 auftut. Wir nennen es Schicksal. In ihm trifft das, was pse_574.002 dem Menschen geschickt ist, mit dem Inneren des Menschen pse_574.003 zusammen: das Geschickte wird vom Menschen in irgendeiner pse_574.004 Weise aufgenommen. Nur wenn ein tieferer Hintergrund pse_574.005 zu fehlen scheint, nennen wir es Zufall oder Verhängnis. pse_574.006 Die Antike sah im Schicksal die letzte Macht hinter allem, pse_574.007 auch hinter den Göttern, der Christ denkt dabei an die Unfaßbarkeit pse_574.008 der göttlichen Vorsehung, die anerkannt sein muß, pse_574.009 wenn man sie auch nicht begreift. Die deutsche Klassik drängt pse_574.010 die Macht des Schicksals stark aus ihrem Weltbild zurück, da pse_574.011 sie die menschliche Persönlichkeit hochschätzt. So ergeben pse_574.012 sich bestimmte Ausformungen der Schicksalsdramatik, die wir pse_574.013 noch berühren werden.
pse_574.014 Die Entfaltung des dramatischen Konflikts im Vorgang pse_574.015 ist nicht einlinig, sondern geht nach mehreren Richtungen, pse_574.016 der Vorgang ist geschichtet. Es gibt Motive, die in letzte pse_574.017 weltanschauliche Zusammenhänge weisen, solche, die vor pse_574.018 allem eine dichterische Wirklichkeit schaffen, endlich solche, pse_574.019 die Teile des Geschehens sinnvoll verknüpfen. Zu den ersten pse_574.020 gehört etwa Wallensteins Sternenglaube, zu den zweiten pse_574.021 alles, was den Bruch zwischen Wallenstein und dem Kaiser gestaltet, pse_574.022 zu den dritten etwa der Brief, den Wallenstein über pse_574.023 Butler an den Kaiser schrieb. So entsteht eine Art Organismus pse_574.024 von flächenhafter und tiefenhafter Ausdehnung. Es pse_574.025 können auch zwei Vorgänge zu einer Ganzheit verflochten pse_574.026 werden. In Goethes »Faust« spielt sich einmal eine menschliche pse_574.027 Tragödie ab, ein Auf und Ab von Aufschwüngen und Niederbrüchen, pse_574.028 darüber wölbt sich ein mannigfach geschichteter pse_574.029 übermenschlicher Vorgang, eine Art Mysterienspiel, das pse_574.030 Fausts Leben in einen höheren Zusammenhang einordnet. pse_574.031 So bilden beide Vorgänge ein höheres Ganzes.
pse_574.032 Der dramatische Vorgang verläuft zeitlich und weist dabei pse_574.033 bestimmte Merkmale auf. Bekanntlich hat G. Freytag dafür pse_574.034 Normen aufgestellt. Man kann sie allgemein etwa so formulieren: pse_574.035 der Vorgang hat einen deutlichen Ansatzpunkt, pse_574.036 ein erregendes Moment; eine Stelle, wo sich in starker Verdichtung pse_574.037 eine Wende anbahnt; einen deutlichen Schluß mit pse_574.038 letzter Spannung und Katastrophe. Das gilt für viele Dramen,
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Die Antike sah im Schicksal die letzte Macht hinter allem, pse_574.007
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Die Entfaltung des dramatischen Konflikts im Vorgang pse_574.015
ist nicht einlinig, sondern geht nach mehreren Richtungen, pse_574.016
der Vorgang ist geschichtet. Es gibt Motive, die in letzte pse_574.017
weltanschauliche Zusammenhänge weisen, solche, die vor pse_574.018
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alles, was den Bruch zwischen Wallenstein und dem Kaiser gestaltet, pse_574.022
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Butler an den Kaiser schrieb. So entsteht eine Art Organismus pse_574.024
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Tragödie ab, ein Auf und Ab von Aufschwüngen und Niederbrüchen, pse_574.028
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übermenschlicher Vorgang, eine Art Mysterienspiel, das pse_574.030
Fausts Leben in einen höheren Zusammenhang einordnet. pse_574.031
So bilden beide Vorgänge ein höheres Ganzes.
pse_574.032
Der dramatische Vorgang verläuft zeitlich und weist dabei pse_574.033
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 574. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/590>, abgerufen am 22.11.2024.
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