pse_587.001 der Dichter schuf Bürger, Höflinge, Soldaten, Fürsten usw.
pse_587.002 In der Darstellung der Personen bestehen deutliche Unterschiede pse_587.003 zwischen Epik und Dramatik. Während die epischen pse_587.004 Gestalten mehr in ihrer Fülle vor uns treten, sind die dramatischen pse_587.005 schärfer umrissen, auf den Charakterkern verdichtet. pse_587.006 Dagegen ist es nicht unbedingt richtig, daß die epischen mehr pse_587.007 passiv, die dramatischen mehr aktiv sind. Man hat von den pse_587.008 dramatischen Gestalten gesagt, sie hätten keine Atmosphäre pse_587.009 um sich, seien also plastisch umgrenzt und insofern fragmentarisch, pse_587.010 als nur das deutlich werde, was sie sagen. Das alles pse_587.011 steht im Gegensatz zu den Gestalten der Epik, genauer allerdings pse_587.012 nur der großepischen Dichtung. Aber das bedingt noch pse_587.013 keine Abwertung des Dramas gegenüber der Epik, so wie man pse_587.014 auch nicht die Plastik gegenüber der Malerei abwerten darf. pse_587.015 Denn gerade die scharfe Umrissenheit und Begrenztheit pse_587.016 dramatischer Personen kann leichter dazu führen, die tieferen pse_587.017 Zusammenhänge und Hintergründe erlebbar zu machen. pse_587.018 Übrigens kann auch um die dramatischen Figuren eine Atmosphäre pse_587.019 gelegt werden. Man denke an den Stimmungsrahmen pse_587.020 des "Egmont", der "Maria Magdalena", der "Weber" und pse_587.021 mancher Stücke Schönherrs. Auch kann in der Sprache der pse_587.022 dramatischen Personen eine Fülle inneren Lebens lebendig pse_587.023 werden. Im Gespräch werden die feinsten und dichtesten Beziehungen pse_587.024 der Menschen untereinander spürbar, sie schaffen pse_587.025 sich da ihre eigene Atmosphäre, die sie als Gesprächsgemeinschaft pse_587.026 umhüllt. Auch das Schweigen kann charakterisieren. pse_587.027 Man denke an die Wirkung Rudolfs II. im "Bruderzwist"; pse_587.028 im Gegensatz zu den wilden, oft unbeherrschten und dann pse_587.029 wieder leidenschaftlichen oder kalten Reden seiner Umgebung pse_587.030 wirkt seine Wortkargheit, seine bloße Gebärde ohne pse_587.031 Sprache eindringlich. Oder: im Gegensatz zum "Urfaust", wo pse_587.032 Faust selbst in Auerbachs Keller die Zaubereien ausführt, pse_587.033 übernimmt sie im "Faust" Mephistopheles, Faust selbst spricht pse_587.034 zwei ganze Verse, einen zu Anfang und dann gegen Schluß: pse_587.035 "Ich hätte Lust, nun abzufahren!" Nicht ausdrucksvoller pse_587.036 könnte Fausts Haltung heraustreten.
pse_587.037 Auch kann der Dichter im Drama die verschiedensten pse_587.038 Typen von Personen zusammenbringen. Neben mehr skizzenhaften
pse_587.001 der Dichter schuf Bürger, Höflinge, Soldaten, Fürsten usw.
pse_587.002 In der Darstellung der Personen bestehen deutliche Unterschiede pse_587.003 zwischen Epik und Dramatik. Während die epischen pse_587.004 Gestalten mehr in ihrer Fülle vor uns treten, sind die dramatischen pse_587.005 schärfer umrissen, auf den Charakterkern verdichtet. pse_587.006 Dagegen ist es nicht unbedingt richtig, daß die epischen mehr pse_587.007 passiv, die dramatischen mehr aktiv sind. Man hat von den pse_587.008 dramatischen Gestalten gesagt, sie hätten keine Atmosphäre pse_587.009 um sich, seien also plastisch umgrenzt und insofern fragmentarisch, pse_587.010 als nur das deutlich werde, was sie sagen. Das alles pse_587.011 steht im Gegensatz zu den Gestalten der Epik, genauer allerdings pse_587.012 nur der großepischen Dichtung. Aber das bedingt noch pse_587.013 keine Abwertung des Dramas gegenüber der Epik, so wie man pse_587.014 auch nicht die Plastik gegenüber der Malerei abwerten darf. pse_587.015 Denn gerade die scharfe Umrissenheit und Begrenztheit pse_587.016 dramatischer Personen kann leichter dazu führen, die tieferen pse_587.017 Zusammenhänge und Hintergründe erlebbar zu machen. pse_587.018 Übrigens kann auch um die dramatischen Figuren eine Atmosphäre pse_587.019 gelegt werden. Man denke an den Stimmungsrahmen pse_587.020 des »Egmont«, der »Maria Magdalena«, der »Weber« und pse_587.021 mancher Stücke Schönherrs. Auch kann in der Sprache der pse_587.022 dramatischen Personen eine Fülle inneren Lebens lebendig pse_587.023 werden. Im Gespräch werden die feinsten und dichtesten Beziehungen pse_587.024 der Menschen untereinander spürbar, sie schaffen pse_587.025 sich da ihre eigene Atmosphäre, die sie als Gesprächsgemeinschaft pse_587.026 umhüllt. Auch das Schweigen kann charakterisieren. pse_587.027 Man denke an die Wirkung Rudolfs II. im »Bruderzwist«; pse_587.028 im Gegensatz zu den wilden, oft unbeherrschten und dann pse_587.029 wieder leidenschaftlichen oder kalten Reden seiner Umgebung pse_587.030 wirkt seine Wortkargheit, seine bloße Gebärde ohne pse_587.031 Sprache eindringlich. Oder: im Gegensatz zum »Urfaust«, wo pse_587.032 Faust selbst in Auerbachs Keller die Zaubereien ausführt, pse_587.033 übernimmt sie im »Faust« Mephistopheles, Faust selbst spricht pse_587.034 zwei ganze Verse, einen zu Anfang und dann gegen Schluß: pse_587.035 »Ich hätte Lust, nun abzufahren!« Nicht ausdrucksvoller pse_587.036 könnte Fausts Haltung heraustreten.
pse_587.037 Auch kann der Dichter im Drama die verschiedensten pse_587.038 Typen von Personen zusammenbringen. Neben mehr skizzenhaften
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In der Darstellung der Personen bestehen deutliche Unterschiede pse_587.003
zwischen Epik und Dramatik. Während die epischen pse_587.004
Gestalten mehr in ihrer Fülle vor uns treten, sind die dramatischen pse_587.005
schärfer umrissen, auf den Charakterkern verdichtet. pse_587.006
Dagegen ist es nicht unbedingt richtig, daß die epischen mehr pse_587.007
passiv, die dramatischen mehr aktiv sind. Man hat von den pse_587.008
dramatischen Gestalten gesagt, sie hätten keine Atmosphäre pse_587.009
um sich, seien also plastisch umgrenzt und insofern fragmentarisch, pse_587.010
als nur das deutlich werde, was sie sagen. Das alles pse_587.011
steht im Gegensatz zu den Gestalten der Epik, genauer allerdings pse_587.012
nur der großepischen Dichtung. Aber das bedingt noch pse_587.013
keine Abwertung des Dramas gegenüber der Epik, so wie man pse_587.014
auch nicht die Plastik gegenüber der Malerei abwerten darf. pse_587.015
Denn gerade die scharfe Umrissenheit und Begrenztheit pse_587.016
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Man denke an die Wirkung Rudolfs II. im »Bruderzwist«; pse_587.028
im Gegensatz zu den wilden, oft unbeherrschten und dann pse_587.029
wieder leidenschaftlichen oder kalten Reden seiner Umgebung pse_587.030
wirkt seine Wortkargheit, seine bloße Gebärde ohne pse_587.031
Sprache eindringlich. Oder: im Gegensatz zum »Urfaust«, wo pse_587.032
Faust selbst in Auerbachs Keller die Zaubereien ausführt, pse_587.033
übernimmt sie im »Faust« Mephistopheles, Faust selbst spricht pse_587.034
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könnte Fausts Haltung heraustreten.
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Auch kann der Dichter im Drama die verschiedensten pse_587.038
Typen von Personen zusammenbringen. Neben mehr skizzenhaften
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 587. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/603>, abgerufen am 22.11.2024.
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