pse_606.001 Botenberichte haben wir auszuschalten, denn ihre künstlerische pse_606.002 Anlage ist nicht rein episch, weil sie ganz in eine dramatische pse_606.003 Situation hineingestellt sind und daraus ihre künstlerische pse_606.004 Form empfangen. Aber man könnte sich zur Entspannung pse_606.005 oder zur Charakterisierung eines Menschen oder pse_606.006 einer Gruppe eine Szene denken, in der ruhig erzählt wird. Im pse_606.007 Rahmen des Ganzen könnte eine solche Stelle erst recht wieder pse_606.008 dramatische Werte entfalten, eben im Gegensatz zum pse_606.009 Vergangenen, Drohenden oder Geahnten. Es würde also die pse_606.010 Gespanntheit damit erst recht greifbar. Das Entscheidende pse_606.011 bleibt also, ob und wie es dem Dichter gelingt, Episches und pse_606.012 Lyrisches in die rein dramatische Struktur der Dichtung einzufügen, pse_606.013 so daß das Lyrische und Epische selbst zu notwendigen pse_606.014 Gliedern des Dramatischen werden. Es kann auch sein, pse_606.015 daß der Dichter das gar nicht will, daß er bewußt die strenge pse_606.016 Gattungsform zerbrechen will. Damit werden neue Fragen pse_606.017 an die Dichtung gestellt, die aber von den gewonnenen Standpunkten pse_606.018 aus zu beantworten sein werden.
pse_606.019 b) Neben den dramatischen Formen, die einen Vorgang pse_606.020 in seinem gespannten dramatischen Ablauf fortlaufend gestalten, pse_606.021 gibt es auch eine, die auf den ersten Blick diesem zielstrebigen pse_606.022 Fortgang zu widersprechen scheint: Rahmenstücke. pse_606.023 Selten ist es nur eine einleitende Einstimmung wie in Shakespeares pse_606.024 "Der Widerspenstigen Zähmung", wo ein Lord den pse_606.025 Kesselflicker Sly in besoffenem Zustand in sein Haus bringen pse_606.026 läßt. Scheinbar erwacht er aus einem Traum, sieht sich als pse_606.027 Lord, dem eine Komödie vorgeführt wird. Immerhin wird pse_606.028 schon durch diese Einleitung die Frage nach dem wahren Verhältnis pse_606.029 von Schein und Sein lebendig. Das ist nun zur Grundlage pse_606.030 des dramatischen Aufbaus in Calderons "Das Leben ist pse_606.031 Traum" geworden; ebenso liebt Grillparzer solche Rahmungen pse_606.032 in der mannigfaltigsten Form. Auch Goethe baut seinen pse_606.033 "Faust" so. Nicht nur hätte der Zueignung ein Abschied, pse_606.034 sondern dem Vorspiel eine Abkündigung entsprechen pse_606.035 sollen. Und dem Prolog im Himmel steht nun wirklich pse_606.036 Fausts Aufnahme in den Himmel gegenüber. Damit wird pse_606.037 der Einbau der menschlich-irdischen Tragödie des Faustlebens pse_606.038 in das überwölbende Mysterienspiel und also die weltbildmäßige
pse_606.001 Botenberichte haben wir auszuschalten, denn ihre künstlerische pse_606.002 Anlage ist nicht rein episch, weil sie ganz in eine dramatische pse_606.003 Situation hineingestellt sind und daraus ihre künstlerische pse_606.004 Form empfangen. Aber man könnte sich zur Entspannung pse_606.005 oder zur Charakterisierung eines Menschen oder pse_606.006 einer Gruppe eine Szene denken, in der ruhig erzählt wird. Im pse_606.007 Rahmen des Ganzen könnte eine solche Stelle erst recht wieder pse_606.008 dramatische Werte entfalten, eben im Gegensatz zum pse_606.009 Vergangenen, Drohenden oder Geahnten. Es würde also die pse_606.010 Gespanntheit damit erst recht greifbar. Das Entscheidende pse_606.011 bleibt also, ob und wie es dem Dichter gelingt, Episches und pse_606.012 Lyrisches in die rein dramatische Struktur der Dichtung einzufügen, pse_606.013 so daß das Lyrische und Epische selbst zu notwendigen pse_606.014 Gliedern des Dramatischen werden. Es kann auch sein, pse_606.015 daß der Dichter das gar nicht will, daß er bewußt die strenge pse_606.016 Gattungsform zerbrechen will. Damit werden neue Fragen pse_606.017 an die Dichtung gestellt, die aber von den gewonnenen Standpunkten pse_606.018 aus zu beantworten sein werden.
pse_606.019 b) Neben den dramatischen Formen, die einen Vorgang pse_606.020 in seinem gespannten dramatischen Ablauf fortlaufend gestalten, pse_606.021 gibt es auch eine, die auf den ersten Blick diesem zielstrebigen pse_606.022 Fortgang zu widersprechen scheint: Rahmenstücke. pse_606.023 Selten ist es nur eine einleitende Einstimmung wie in Shakespeares pse_606.024 »Der Widerspenstigen Zähmung«, wo ein Lord den pse_606.025 Kesselflicker Sly in besoffenem Zustand in sein Haus bringen pse_606.026 läßt. Scheinbar erwacht er aus einem Traum, sieht sich als pse_606.027 Lord, dem eine Komödie vorgeführt wird. Immerhin wird pse_606.028 schon durch diese Einleitung die Frage nach dem wahren Verhältnis pse_606.029 von Schein und Sein lebendig. Das ist nun zur Grundlage pse_606.030 des dramatischen Aufbaus in Calderóns »Das Leben ist pse_606.031 Traum« geworden; ebenso liebt Grillparzer solche Rahmungen pse_606.032 in der mannigfaltigsten Form. Auch Goethe baut seinen pse_606.033 »Faust« so. Nicht nur hätte der Zueignung ein Abschied, pse_606.034 sondern dem Vorspiel eine Abkündigung entsprechen pse_606.035 sollen. Und dem Prolog im Himmel steht nun wirklich pse_606.036 Fausts Aufnahme in den Himmel gegenüber. Damit wird pse_606.037 der Einbau der menschlich-irdischen Tragödie des Faustlebens pse_606.038 in das überwölbende Mysterienspiel und also die weltbildmäßige
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Situation hineingestellt sind und daraus ihre künstlerische pse_606.004
Form empfangen. Aber man könnte sich zur Entspannung pse_606.005
oder zur Charakterisierung eines Menschen oder pse_606.006
einer Gruppe eine Szene denken, in der ruhig erzählt wird. Im pse_606.007
Rahmen des Ganzen könnte eine solche Stelle erst recht wieder pse_606.008
dramatische Werte entfalten, eben im Gegensatz zum pse_606.009
Vergangenen, Drohenden oder Geahnten. Es würde also die pse_606.010
Gespanntheit damit erst recht greifbar. Das Entscheidende pse_606.011
bleibt also, ob und wie es dem Dichter gelingt, Episches und pse_606.012
Lyrisches in die rein dramatische Struktur der Dichtung einzufügen, pse_606.013
so daß das Lyrische und Epische selbst zu notwendigen pse_606.014
Gliedern des Dramatischen werden. Es kann auch sein, pse_606.015
daß der Dichter das gar nicht will, daß er bewußt die strenge pse_606.016
Gattungsform zerbrechen will. Damit werden neue Fragen pse_606.017
an die Dichtung gestellt, die aber von den gewonnenen Standpunkten pse_606.018
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in seinem gespannten dramatischen Ablauf fortlaufend gestalten, pse_606.021
gibt es auch eine, die auf den ersten Blick diesem zielstrebigen pse_606.022
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Selten ist es nur eine einleitende Einstimmung wie in Shakespeares pse_606.024
»Der Widerspenstigen Zähmung«, wo ein Lord den pse_606.025
Kesselflicker Sly in besoffenem Zustand in sein Haus bringen pse_606.026
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Lord, dem eine Komödie vorgeführt wird. Immerhin wird pse_606.028
schon durch diese Einleitung die Frage nach dem wahren Verhältnis pse_606.029
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des dramatischen Aufbaus in Calderóns »Das Leben ist pse_606.031
Traum« geworden; ebenso liebt Grillparzer solche Rahmungen pse_606.032
in der mannigfaltigsten Form. Auch Goethe baut seinen pse_606.033
»Faust« so. Nicht nur hätte der Zueignung ein Abschied, pse_606.034
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 606. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/622>, abgerufen am 22.11.2024.
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