pse_607.001 Lösung alles Tragischen im Sinne Goethes in der pse_607.002 künstlerischen Form schon deutlich. Die künstlerischen pse_607.003 Möglichkeiten rahmenden Aufbaus lassen sich aus solchen pse_607.004 Beispielen ablesen. Es können dadurch zwei Welten, etwa pse_607.005 das Diesseits und das Jenseits, einander gegenübergestellt, also pse_607.006 doch auch im Rahmenbau das Dramatische herausgeformt pse_607.007 werden. Durch den Rahmen kann auch die Geschlossenheit pse_607.008 der Dichtung heraustreten. Der Rahmen kann auch Spannung pse_607.009 wecken. Das geschieht im vorderen Rahmenstück von Grillparzers pse_607.010 "Weh dem, der lügt!"; denn so wacht die erregte pse_607.011 Frage auf: wie wird Leon die Aufgabe lösen? Durch die pse_607.012 Rückkehr ins vordere Rahmenstück kann zugleich eine pse_607.013 Höherbewegung mit eingeformt werden, so vor allem in pse_607.014 Grillparzers "Traum ein Leben".
pse_607.015 Die Fülle der künstlerischen Möglichkeiten verdichtet pse_607.016 sich auch dadurch zur Ganzheit des Kunstwerks, daß sie alle pse_607.017 eben im ästhetischen Sinn durch ihr Dasein zugleich tiefer pse_607.018 schauen lassen, ein Weltbild dichterisch aufbauen. Alle Bilderwelt, pse_607.019 alle Personen, alle Handlung sind immer gleichsam pse_607.020 Vordergrund: durch sie wird ein Weltbild lebendig, allerdings pse_607.021 eines, das die Welt bis ins Innerste zerrissen und gespalten pse_607.022 zeigt. Der Dramatiker schafft also eine Art Mythos pse_607.023 durch seine künstlerischen Möglichkeiten, wenn wir unter pse_607.024 Mythos hier eine mit ästhetischen Kräften erwirkte Weltschau pse_607.025 verstehen, die uns zutiefst ergreifen kann. Diese Erhellung pse_607.026 der Tiefengründe, das Aufbrechen des Letzten im Drama, pse_607.027 hat natürlich verschiedene Grade. Possen, leichte Spiele, pse_607.028 Unterhaltungsstücke werden nie in solche Tiefen gehen, pse_607.029 wohl aber die großen Werke echter Kunst. So bieten sich pse_607.030 hier wieder Wertungsmöglichkeiten: je mehr die künstlerische pse_607.031 Durchformung auch Hintergründe erhellt, desto höher pse_607.032 im Rang steht ein solches Drama. Dazu kann auch schon der pse_607.033 Schluß mit seiner besonderen Wirkung beitragen. Denn gemäß pse_607.034 dem Wesen des Dramatischen wird er von entscheidenderer pse_607.035 Wirkung im Drama sein als in epischer Dichtung. Die pse_607.036 Erschütterung oder Befreiung, der Aufschwung und die Ergriffenheit, pse_607.037 die uns am Schluß überkommen, öffnen ja schon pse_607.038 Blicke in Abgründe oder Höhen. Aber auch der Ablauf des
pse_607.001 Lösung alles Tragischen im Sinne Goethes in der pse_607.002 künstlerischen Form schon deutlich. Die künstlerischen pse_607.003 Möglichkeiten rahmenden Aufbaus lassen sich aus solchen pse_607.004 Beispielen ablesen. Es können dadurch zwei Welten, etwa pse_607.005 das Diesseits und das Jenseits, einander gegenübergestellt, also pse_607.006 doch auch im Rahmenbau das Dramatische herausgeformt pse_607.007 werden. Durch den Rahmen kann auch die Geschlossenheit pse_607.008 der Dichtung heraustreten. Der Rahmen kann auch Spannung pse_607.009 wecken. Das geschieht im vorderen Rahmenstück von Grillparzers pse_607.010 »Weh dem, der lügt!«; denn so wacht die erregte pse_607.011 Frage auf: wie wird Leon die Aufgabe lösen? Durch die pse_607.012 Rückkehr ins vordere Rahmenstück kann zugleich eine pse_607.013 Höherbewegung mit eingeformt werden, so vor allem in pse_607.014 Grillparzers »Traum ein Leben«.
pse_607.015 Die Fülle der künstlerischen Möglichkeiten verdichtet pse_607.016 sich auch dadurch zur Ganzheit des Kunstwerks, daß sie alle pse_607.017 eben im ästhetischen Sinn durch ihr Dasein zugleich tiefer pse_607.018 schauen lassen, ein Weltbild dichterisch aufbauen. Alle Bilderwelt, pse_607.019 alle Personen, alle Handlung sind immer gleichsam pse_607.020 Vordergrund: durch sie wird ein Weltbild lebendig, allerdings pse_607.021 eines, das die Welt bis ins Innerste zerrissen und gespalten pse_607.022 zeigt. Der Dramatiker schafft also eine Art Mythos pse_607.023 durch seine künstlerischen Möglichkeiten, wenn wir unter pse_607.024 Mythos hier eine mit ästhetischen Kräften erwirkte Weltschau pse_607.025 verstehen, die uns zutiefst ergreifen kann. Diese Erhellung pse_607.026 der Tiefengründe, das Aufbrechen des Letzten im Drama, pse_607.027 hat natürlich verschiedene Grade. Possen, leichte Spiele, pse_607.028 Unterhaltungsstücke werden nie in solche Tiefen gehen, pse_607.029 wohl aber die großen Werke echter Kunst. So bieten sich pse_607.030 hier wieder Wertungsmöglichkeiten: je mehr die künstlerische pse_607.031 Durchformung auch Hintergründe erhellt, desto höher pse_607.032 im Rang steht ein solches Drama. Dazu kann auch schon der pse_607.033 Schluß mit seiner besonderen Wirkung beitragen. Denn gemäß pse_607.034 dem Wesen des Dramatischen wird er von entscheidenderer pse_607.035 Wirkung im Drama sein als in epischer Dichtung. Die pse_607.036 Erschütterung oder Befreiung, der Aufschwung und die Ergriffenheit, pse_607.037 die uns am Schluß überkommen, öffnen ja schon pse_607.038 Blicke in Abgründe oder Höhen. Aber auch der Ablauf des
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 607. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/623>, abgerufen am 22.11.2024.
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