pse_632.001 zu weit gehen, wenn man zwischen der Tragödie als Kunstgebilde pse_632.002 und tragischer Weltanschauung einen scharfen Trennungsstrich pse_632.003 zieht. Man könnte eher von der welterhellenden pse_632.004 Kraft der Tragödiendichtung sprechen, die uns erst langsam pse_632.005 die Augen für tragische Weltzusammenhänge öffnete, genauer: pse_632.006 uns die Welt auch so sehen lehrte. Damit stoßen wir pse_632.007 auf den terminologischen Zusammenhang von Drama und pse_632.008 Tragödie. Erst langsam lernte man die Grundzüge der dramatischen pse_632.009 Gattung an allen Arten von Dramen herauslesen. pse_632.010 Man kannte ursprünglich wirklich nur Tragödien, Komödien, pse_632.011 Spiele usw. Wenn wir heute also die Tragödie als eine, pse_632.012 zwar sehr wichtige Art des Dramas auffassen, so ist das eben pse_632.013 eine neue Sicht auf die Möglichkeiten dichterischen Gestaltens, pse_632.014 die frühere nicht als falsch hinstellt, sondern sich an ihre Seite pse_632.015 setzt. Wir glauben, auch durch solche Sicht neue Blicke auf pse_632.016 die Dichtung gewinnen zu können. Umgekehrt kann Tragisches pse_632.017 auch in anderen Dichtungen gestaltet werden, nicht pse_632.018 bloß in dramatischen. Das Wort Tragödie selbst bezeichnet pse_632.019 einerseits eine dichterische Art, die man durch die Jahrhunderte pse_632.020 verfolgen kann, die nach bestimmten Gesetzen gebaut pse_632.021 sein mußte. Aber andererseits faßt die moderne Poetik den pse_632.022 Begriff enger, weil sie aus der Tragödie den Begriff des pse_632.023 Tragischen gewonnen hat. Es kommt nicht darauf an, daß pse_632.024 überhaupt tragische Situationen in einem solchen Drama pse_632.025 gestaltet werden, sondern daß eben das Tragische grundbestimmend pse_632.026 für das ganze Werk ist, also auch für den Abschluß pse_632.027 des Vorgangs: rücksichtslose Durchführung einer pse_632.028 tragischen Weltsicht bis ins Letzte. Selbstverständlich gibt pse_632.029 es Übergänge und Zwischenformen, und es ist damit kein pse_632.030 Werturteil über andere Dramenarten ausgesprochen. Daß pse_632.031 wir von diesem Standpunkt aus dann Dramen, die unter pse_632.032 dem geschichtlich zu verstehenden Wort "Tragödie" gehen, pse_632.033 nicht mehr als solche bezeichnen, heißt nur: wir gruppieren pse_632.034 nach unserer Sicht auf die dichterischen Möglichkeiten, bleiben pse_632.035 uns aber bewußt, daß wir damit das Wort Tragödie aus pse_632.036 einem geschlossenen System der Poetik heraus verwenden und pse_632.037 nicht im historischen Sinn. Wir tun das, weil wir glauben, pse_632.038 damit bestimmte Sichten auf die künstlerische und weltanschauliche
pse_632.001 zu weit gehen, wenn man zwischen der Tragödie als Kunstgebilde pse_632.002 und tragischer Weltanschauung einen scharfen Trennungsstrich pse_632.003 zieht. Man könnte eher von der welterhellenden pse_632.004 Kraft der Tragödiendichtung sprechen, die uns erst langsam pse_632.005 die Augen für tragische Weltzusammenhänge öffnete, genauer: pse_632.006 uns die Welt auch so sehen lehrte. Damit stoßen wir pse_632.007 auf den terminologischen Zusammenhang von Drama und pse_632.008 Tragödie. Erst langsam lernte man die Grundzüge der dramatischen pse_632.009 Gattung an allen Arten von Dramen herauslesen. pse_632.010 Man kannte ursprünglich wirklich nur Tragödien, Komödien, pse_632.011 Spiele usw. Wenn wir heute also die Tragödie als eine, pse_632.012 zwar sehr wichtige Art des Dramas auffassen, so ist das eben pse_632.013 eine neue Sicht auf die Möglichkeiten dichterischen Gestaltens, pse_632.014 die frühere nicht als falsch hinstellt, sondern sich an ihre Seite pse_632.015 setzt. Wir glauben, auch durch solche Sicht neue Blicke auf pse_632.016 die Dichtung gewinnen zu können. Umgekehrt kann Tragisches pse_632.017 auch in anderen Dichtungen gestaltet werden, nicht pse_632.018 bloß in dramatischen. Das Wort Tragödie selbst bezeichnet pse_632.019 einerseits eine dichterische Art, die man durch die Jahrhunderte pse_632.020 verfolgen kann, die nach bestimmten Gesetzen gebaut pse_632.021 sein mußte. Aber andererseits faßt die moderne Poetik den pse_632.022 Begriff enger, weil sie aus der Tragödie den Begriff des pse_632.023 Tragischen gewonnen hat. Es kommt nicht darauf an, daß pse_632.024 überhaupt tragische Situationen in einem solchen Drama pse_632.025 gestaltet werden, sondern daß eben das Tragische grundbestimmend pse_632.026 für das ganze Werk ist, also auch für den Abschluß pse_632.027 des Vorgangs: rücksichtslose Durchführung einer pse_632.028 tragischen Weltsicht bis ins Letzte. Selbstverständlich gibt pse_632.029 es Übergänge und Zwischenformen, und es ist damit kein pse_632.030 Werturteil über andere Dramenarten ausgesprochen. Daß pse_632.031 wir von diesem Standpunkt aus dann Dramen, die unter pse_632.032 dem geschichtlich zu verstehenden Wort »Tragödie« gehen, pse_632.033 nicht mehr als solche bezeichnen, heißt nur: wir gruppieren pse_632.034 nach unserer Sicht auf die dichterischen Möglichkeiten, bleiben pse_632.035 uns aber bewußt, daß wir damit das Wort Tragödie aus pse_632.036 einem geschlossenen System der Poetik heraus verwenden und pse_632.037 nicht im historischen Sinn. Wir tun das, weil wir glauben, pse_632.038 damit bestimmte Sichten auf die künstlerische und weltanschauliche
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zu weit gehen, wenn man zwischen der Tragödie als Kunstgebilde pse_632.002
und tragischer Weltanschauung einen scharfen Trennungsstrich pse_632.003
zieht. Man könnte eher von der welterhellenden pse_632.004
Kraft der Tragödiendichtung sprechen, die uns erst langsam pse_632.005
die Augen für tragische Weltzusammenhänge öffnete, genauer: pse_632.006
uns die Welt auch so sehen lehrte. Damit stoßen wir pse_632.007
auf den terminologischen Zusammenhang von Drama und pse_632.008
Tragödie. Erst langsam lernte man die Grundzüge der dramatischen pse_632.009
Gattung an allen Arten von Dramen herauslesen. pse_632.010
Man kannte ursprünglich wirklich nur Tragödien, Komödien, pse_632.011
Spiele usw. Wenn wir heute also die Tragödie als eine, pse_632.012
zwar sehr wichtige Art des Dramas auffassen, so ist das eben pse_632.013
eine neue Sicht auf die Möglichkeiten dichterischen Gestaltens, pse_632.014
die frühere nicht als falsch hinstellt, sondern sich an ihre Seite pse_632.015
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die Dichtung gewinnen zu können. Umgekehrt kann Tragisches pse_632.017
auch in anderen Dichtungen gestaltet werden, nicht pse_632.018
bloß in dramatischen. Das Wort Tragödie selbst bezeichnet pse_632.019
einerseits eine dichterische Art, die man durch die Jahrhunderte pse_632.020
verfolgen kann, die nach bestimmten Gesetzen gebaut pse_632.021
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Begriff enger, weil sie aus der Tragödie den Begriff des pse_632.023
Tragischen gewonnen hat. Es kommt nicht darauf an, daß pse_632.024
überhaupt tragische Situationen in einem solchen Drama pse_632.025
gestaltet werden, sondern daß eben das Tragische grundbestimmend pse_632.026
für das ganze Werk ist, also auch für den Abschluß pse_632.027
des Vorgangs: rücksichtslose Durchführung einer pse_632.028
tragischen Weltsicht bis ins Letzte. Selbstverständlich gibt pse_632.029
es Übergänge und Zwischenformen, und es ist damit kein pse_632.030
Werturteil über andere Dramenarten ausgesprochen. Daß pse_632.031
wir von diesem Standpunkt aus dann Dramen, die unter pse_632.032
dem geschichtlich zu verstehenden Wort »Tragödie« gehen, pse_632.033
nicht mehr als solche bezeichnen, heißt nur: wir gruppieren pse_632.034
nach unserer Sicht auf die dichterischen Möglichkeiten, bleiben pse_632.035
uns aber bewußt, daß wir damit das Wort Tragödie aus pse_632.036
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nicht im historischen Sinn. Wir tun das, weil wir glauben, pse_632.038
damit bestimmte Sichten auf die künstlerische und weltanschauliche
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 632. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/648>, abgerufen am 22.11.2024.
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