pse_657.001 deutlich ausgeprägter Gemeinschaftskultur, stehen im engsten pse_657.002 Wechselverkehr mit ihrem Publikum. Dem Dichter des pse_657.003 Mittelalters, aber auch dem höfischen Barockdichter, ist pse_657.004 Dichten kein monologisches Bekenntnis. Sein Lied, sein Epos, pse_657.005 sein Drama setzt das Publikum voraus. Der Ritterdichter und pse_657.006 der Barockdichter, um nur zwei sehr deutliche Beispiele anzuführen, pse_657.007 erfüllen in ihrem Dichten, durch ihre Dichtung eine pse_657.008 gesellschaftliche Funktion. Das gilt in anderer Weise für den pse_657.009 einer politischen Partei verschworenen Dichter genau so. pse_657.010 Weil diese Gebundenheit an politische Richtungen gerade in pse_657.011 unserem Jahrhundert in verschiedener Weise sehr stark wurde, pse_657.012 kommt der Dichter menschlich oft in die schwierigsten Lagen. pse_657.013 Vor allem aber schafft er sich dadurch für seine Dichtung pse_657.014 ein ganz bestimmtes Publikum und schließt damit andere pse_657.015 Schichten aus. Ein großer Teil der modernen Dichter kann pse_657.016 aus dieser Bedingtheit gar nicht mehr zu den Menschen überhaupt pse_657.017 sprechen. Auch künstlerisch bedeutet diese Bindung, pse_657.018 die der Dichter bewußt auf sich nimmt, eine bestimmte Ausrichtung. pse_657.019 Der Minnedichter des Mittelalters, der barocke Gesellschaftsdichter pse_657.020 ist an die von der Gesellschaft sanktionierten pse_657.021 und vielfach von Gesellschaften aufgestellten Regeln gebunden. pse_657.022 Man denke auch an die strengen Gesetze der Meistersänger pse_657.023 und ihre Tabulatur. Diese Bindung erstreckt sich nicht bloß pse_657.024 auf Motive, sondern auf den Strophenbau, auf das Versmaß, pse_657.025 auf die Stilebenen der sprachlichen Bilder. Daß damit nichts pse_657.026 über den Rang einer solchen Dichtung ausgesagt sein muß, pse_657.027 zeigen die großen Dichter in der Ritterzeit, zeigen aber vor pse_657.028 allem die Tragödien Racines, die innerhalb solcher gesellschaftlich pse_657.029 bedingten Gebundenheit an die Gesetze der Poetik pse_657.030 höchste dichterische Vollkommenheit erlangt haben. Neben pse_657.031 diesen Dichtern gibt es einen zweiten Typus, der diese gesellschaftliche pse_657.032 Abhängigkeit im dichterischen Schaffen weitgehend pse_657.033 ausschalten will. Es sind das Dichter, die rein aus dem pse_657.034 inneren Erlebnis heraus dichten, deren Dichten dadurch geradezu pse_657.035 etwas Bekennendes erhält. Seit dem Sturm und Drang ist pse_657.036 diese gesellschaftlich gelockerte Art der Erlebnisdichtung pse_657.037 stark in den Vordergrund getreten. Hier sind die geschichtlichen pse_657.038 Bindungen nicht mehr so deutlich, aber immer noch da.
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unserem Jahrhundert in verschiedener Weise sehr stark wurde, pse_657.012
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 657. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/673>, abgerufen am 24.11.2024.
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