pse_658.001 Gesellschaft und Zeit in ihrem Verhältnis zur Dichtung
pse_658.002 Die Gruppenbildung der Menschen wird im Lauf der geschichtlichen pse_658.003 Entwicklung immer verwickelter. Damit wird pse_658.004 der einzelne Mensch in ein immer unübersehbareres Geflecht pse_658.005 gesellschaftlicher Gebilde hineingestellt. Und viele dieser pse_658.006 Gruppen sind dann auch für die kulturellen Leistungen in pse_658.007 irgendeiner Weise maßgebend. Da sind einmal die Lebensgemeinschaften pse_658.008 von der Familie über die Sippe, das Dorf und pse_658.009 den Stamm bis zum Volk, die in gewissen Zusammenhängen pse_658.010 und Räumen auch heute noch kulturell sehr maßgebend sind. pse_658.011 Daneben treten Bildungsgemeinschaften und die einzelnen pse_658.012 Stände. Schon aus der Geschichte wissen wir, welche Bedeutung pse_658.013 der Ritter, der Geistliche, der Bürger, der Gelehrte, der pse_658.014 Hofmann für die Literatur hatten. Daneben treten dann die pse_658.015 Spannungen zwischen Aristokratie und Bourgeoisie, heute die pse_658.016 zwischen Arbeitern und Bürgerlichen. Dazu kommen die pse_658.017 Religionsgemeinschaften und auch übernationale Gebilde; pse_658.018 solche waren der Ritterstand, der Hofmann, der Gelehrte. pse_658.019 Diese mannigfachen Bindungen sind aber noch zeitlichen pse_658.020 Wandlungen unterworfen. Alle die erwähnten Gruppen pse_658.021 bleiben sich nicht gleich; die zeitlichen Entwicklungen müssen pse_658.022 also auch berücksichtigt werden. Dazu kommt noch das pse_658.023 Generationenproblem. Man weiß, daß sich Generationen ablösen, pse_658.024 daß mit den neuen Generationen neue Ideale und pse_658.025 Weltbilder, neue künstlerische Anschauungen auftreten. Zugleich pse_658.026 aber überschichten sich die Generationen, sie wirken pse_658.027 sich in verschiedenen Kulturbereichen anders und zu anderen pse_658.028 Zeiten aus.
pse_658.029 Die geschichtlichen Zusammenhänge, in denen die Dichtung pse_658.030 wie alle Kunst steht, zeigen sich auch in solchen Beziehungen pse_658.031 der Künste untereinander, die sich nicht aus deren pse_658.032 Wesen ergeben, sondern geschichtlich einmalige Begegnungen pse_658.033 darstellen. Sie sagen auch kaum etwas über das Wesen der pse_658.034 Künste aus, eher über die Zeit. Dabei muß zwischen Gleichzeitigkeit pse_658.035 und Gleichstufigkeit unterschieden werden. Das pse_658.036 eine betrifft künstlerische Schöpfungen und gemeinsame
pse_658.001 Gesellschaft und Zeit in ihrem Verhältnis zur Dichtung
pse_658.002 Die Gruppenbildung der Menschen wird im Lauf der geschichtlichen pse_658.003 Entwicklung immer verwickelter. Damit wird pse_658.004 der einzelne Mensch in ein immer unübersehbareres Geflecht pse_658.005 gesellschaftlicher Gebilde hineingestellt. Und viele dieser pse_658.006 Gruppen sind dann auch für die kulturellen Leistungen in pse_658.007 irgendeiner Weise maßgebend. Da sind einmal die Lebensgemeinschaften pse_658.008 von der Familie über die Sippe, das Dorf und pse_658.009 den Stamm bis zum Volk, die in gewissen Zusammenhängen pse_658.010 und Räumen auch heute noch kulturell sehr maßgebend sind. pse_658.011 Daneben treten Bildungsgemeinschaften und die einzelnen pse_658.012 Stände. Schon aus der Geschichte wissen wir, welche Bedeutung pse_658.013 der Ritter, der Geistliche, der Bürger, der Gelehrte, der pse_658.014 Hofmann für die Literatur hatten. Daneben treten dann die pse_658.015 Spannungen zwischen Aristokratie und Bourgeoisie, heute die pse_658.016 zwischen Arbeitern und Bürgerlichen. Dazu kommen die pse_658.017 Religionsgemeinschaften und auch übernationale Gebilde; pse_658.018 solche waren der Ritterstand, der Hofmann, der Gelehrte. pse_658.019 Diese mannigfachen Bindungen sind aber noch zeitlichen pse_658.020 Wandlungen unterworfen. Alle die erwähnten Gruppen pse_658.021 bleiben sich nicht gleich; die zeitlichen Entwicklungen müssen pse_658.022 also auch berücksichtigt werden. Dazu kommt noch das pse_658.023 Generationenproblem. Man weiß, daß sich Generationen ablösen, pse_658.024 daß mit den neuen Generationen neue Ideale und pse_658.025 Weltbilder, neue künstlerische Anschauungen auftreten. Zugleich pse_658.026 aber überschichten sich die Generationen, sie wirken pse_658.027 sich in verschiedenen Kulturbereichen anders und zu anderen pse_658.028 Zeiten aus.
pse_658.029 Die geschichtlichen Zusammenhänge, in denen die Dichtung pse_658.030 wie alle Kunst steht, zeigen sich auch in solchen Beziehungen pse_658.031 der Künste untereinander, die sich nicht aus deren pse_658.032 Wesen ergeben, sondern geschichtlich einmalige Begegnungen pse_658.033 darstellen. Sie sagen auch kaum etwas über das Wesen der pse_658.034 Künste aus, eher über die Zeit. Dabei muß zwischen Gleichzeitigkeit pse_658.035 und Gleichstufigkeit unterschieden werden. Das pse_658.036 eine betrifft künstlerische Schöpfungen und gemeinsame
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Gesellschaft und Zeit in ihrem Verhältnis zur Dichtung pse_658.002
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 658. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/674>, abgerufen am 24.11.2024.
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