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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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erhalten, andererseits wie sich oft bestimmte Bilder in ihrem pse_661.002
Symbolwert ändern. Die Wandlungen des Weltbildes und pse_661.003
der Menschenauffassung in der Goethezeit gegenüber der pse_661.004
Aufklärung böten Beispiele. Man kann sich ohne weiteres pse_661.005
denken, wie Bilder vom Gold, vom Schaffen und Zeugen pse_661.006
mit wirtschaftlichen und naturwissenschaftlichen Entwicklungen pse_661.007
ihren Stimmungsgehalt ändern können, damit auch pse_661.008
als Symbole in der Dichtung sich verschieben. Hier spielt pse_661.009
nun auch das Problem der Tradition eine Rolle; denn auch pse_661.010
in dieser Hinsicht sind die Zeiten und Gruppen verschieden. pse_661.011
Man kann mit einiger Vorsicht sagen, daß in Österreich die pse_661.012
Tradition eine größere Rolle spielt als etwa in der norddeutschen pse_661.013
Großstadtdichtung; das erkennt man schon daran, daß pse_661.014
die literarischen Moden um die Wende zum 20. Jahrhundert pse_661.015
in Wien nie diese Ausschließlichkeit zeigten wie anderswo. pse_661.016
Aristokraten sind traditionsgebundener als Arbeiter. Und pse_661.017
wenn man heute beobachtet, daß die menschliche Gesellschaft pse_661.018
die abendländische Tradition vielfach aufgibt, so wirkt pse_661.019
sich das auf die Umgestaltung der Kunstform aus. Aber freilich pse_661.020
ist dabei im Hinblick auf die Dichtung etwas sehr Wichtiges pse_661.021
zu beachten. Dichtung ist Kunst in der Sprache. Nun ist pse_661.022
aber gerade die Sprache ein ganz bedeutender Traditionsträger. pse_661.023
Dadurch, daß Wortbedeutungen und Satzformen usw. von pse_661.024
Generation zu Generation fortbestehen, sich nur wenig und pse_661.025
allmählich ändern, ist eine Kontinuität des Weltbildes, der pse_661.026
Denkweise gegeben. Man kann mit der Sprache als einer pse_661.027
Sinngestaltung nicht beliebig umgehen wie mit toter Materie. pse_661.028
In der Sprachgebundenheit ist der Dichtung Traditionsgebundenheit pse_661.029
mitgegeben. Versuche, aus dieser Richtung auszubrechen, pse_661.030
bedeuten immer zugleich: gewaltsame Änderung pse_661.031
der Sprachstruktur bis zur Umbiegung ins Sinnentleerte, pse_661.032
daher besondere Radikalität und damit Gefahr der Entgleisung pse_661.033
ins Außerkünstlerische. Gelingen aber solche Umbildungen, pse_661.034
wie teilweise im Sturm und Drang, im Naturalismus, pse_661.035
auch im Expressionismus und im Surrealismus bis zu pse_661.036
einem gewissen Grade, so bedeutet das Bereicherung und pse_661.037
Neugewinn.

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Die Bindung der Dichter und der Dichtungen an die gesellschaftlichen

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Symbolwert ändern. Die Wandlungen des Weltbildes und pse_661.003
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nun auch das Problem der Tradition eine Rolle; denn auch pse_661.010
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Großstadtdichtung; das erkennt man schon daran, daß pse_661.014
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Aristokraten sind traditionsgebundener als Arbeiter. Und pse_661.017
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die abendländische Tradition vielfach aufgibt, so wirkt pse_661.019
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aber gerade die Sprache ein ganz bedeutender Traditionsträger. pse_661.023
Dadurch, daß Wortbedeutungen und Satzformen usw. von pse_661.024
Generation zu Generation fortbestehen, sich nur wenig und pse_661.025
allmählich ändern, ist eine Kontinuität des Weltbildes, der pse_661.026
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Sinngestaltung nicht beliebig umgehen wie mit toter Materie. pse_661.028
In der Sprachgebundenheit ist der Dichtung Traditionsgebundenheit pse_661.029
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bedeuten immer zugleich: gewaltsame Änderung pse_661.031
der Sprachstruktur bis zur Umbiegung ins Sinnentleerte, pse_661.032
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wie teilweise im Sturm und Drang, im Naturalismus, pse_661.035
auch im Expressionismus und im Surrealismus bis zu pse_661.036
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Neugewinn.

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Die Bindung der Dichter und der Dichtungen an die gesellschaftlichen

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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 661. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/677>, abgerufen am 24.11.2024.