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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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und geschichtlichen Zusammenhänge ist nicht pse_662.002
bloß für das Weltbild in den Dichtungen, für die künstlerischen pse_662.003
Gestaltungen und die Kunstgesetze wichtig. Solche pse_662.004
Bindungen führen auch zu dichterischer Produktion. Man pse_662.005
macht sich nicht immer ganz klar, wie stark diese durch Aufträge, pse_662.006
Anregungen, ja sogar durch Befehle von der Gesellschaft pse_662.007
und ihren Trägern her bestimmt ist. Je mehr die Kunst pse_662.008
an bestimmte Gesellschaftsschichten, Bildungsgruppen oder pse_662.009
politische Machtgruppen gebunden ist, desto deutlicher wird pse_662.010
das der Fall sein. Das braucht auf den Wert der Dichtung pse_662.011
oder eines anderen Kunstwerks keinen Einfluß zu haben. Wir pse_662.012
denken an den "Heliand", an die "Aeneis", an Raffael und pse_662.013
Michelangelo, an vieles von Bach, Mozart und Beethoven pse_662.014
und einen Großteil der gesamteuropäischen Barockdichtung.

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Dem allen gegenüber muß nun allerdings eines mit stärkster pse_662.016
Betonung herausgestellt werden: entscheidend für das pse_662.017
Kunstwerk als solches ist immer, was der Dichter aus all den pse_662.018
Bindungen, Zwängen und Aufträgen macht, wie er das, was pse_662.019
sie ihm geben oder aufdrängen, zum echten Kunstwerk pse_662.020
formt. Es ist "zu bedenken, daß ein Einfluß an sich noch nichts pse_662.021
erklärt, daß immer die Frage noch offen bleibt, was aus dem pse_662.022
Einfluß geworden ist, ob sich sein Sinn erhalten, verändert pse_662.023
oder ins Gegenteil verkehrt hat. Darüber gibt uns nur der pse_662.024
Text des Dichters zuverlässige Auskunft" (Staiger). Diese pse_662.025
Feststellung betrifft schon unmittelbar den Gehalt und die pse_662.026
künstlerische Form der Dichtung. Nicht welche Topoi ein pse_662.027
Dichter verwendet, welche Strophenformen er benützt, pse_662.028
welche Motive vorkommen und welchen Philosophen er zu pse_662.029
Rate gezogen hat, ist für das Erfassen des Kunstwerks in pse_662.030
seiner Einmaligkeit entscheidend, sondern wie er das alles in pse_662.031
ein echtes und in sich geschlossenes Kunstwerk eingeschmolzen pse_662.032
hat. Die Literaturgeschichte allerdings hat auch nach dem pse_662.033
Woher zu fragen. Die Poetik stellt bloß fest, daß es solche pse_662.034
Woher in Fülle gibt und betont damit eben die geschichtliche pse_662.035
Gebundenheit der Dichtung. Die Frage, was der Dichter pse_662.036
daraus gemacht hat, gilt aber weiter vor allem der Verwesentlichung. pse_662.037
Der echte Dichter schmilzt nicht nur alle Anregungen pse_662.038
und Formen in ein neues Ganzes ein, sondern er

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bloß für das Weltbild in den Dichtungen, für die künstlerischen pse_662.003
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Michelangelo, an vieles von Bach, Mozart und Beethoven pse_662.014
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oder ins Gegenteil verkehrt hat. Darüber gibt uns nur der pse_662.024
Text des Dichters zuverlässige Auskunft« (Staiger). Diese pse_662.025
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künstlerische Form der Dichtung. Nicht welche Topoi ein pse_662.027
Dichter verwendet, welche Strophenformen er benützt, pse_662.028
welche Motive vorkommen und welchen Philosophen er zu pse_662.029
Rate gezogen hat, ist für das Erfassen des Kunstwerks in pse_662.030
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Woher zu fragen. Die Poetik stellt bloß fest, daß es solche pse_662.034
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Gebundenheit der Dichtung. Die Frage, was der Dichter pse_662.036
daraus gemacht hat, gilt aber weiter vor allem der Verwesentlichung. pse_662.037
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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 662. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/678>, abgerufen am 24.11.2024.