pse_688.001 von hier aus setzt eine Folgenkette an: dieses Zu-sich-selbst- pse_688.002 Kommen im Spielraum der Dichtung gibt dem Menschen pse_688.003 Halt, Freude und Welterhellung, und diese Erhellung, diese pse_688.004 Freude strahlt nun auf die Dinge der realen Welt und den pse_688.005 Umgang mit ihnen aus. In der Begegnung mit der Dichtung pse_688.006 tritt die Verwirrung und das Verwirrende der Realität zurück. pse_688.007 In der Dichtung gelingt dem Menschen eine Ordnung pse_688.008 und Sinndeutung der Welt. Die höchste Leistung des Menschengeistes, pse_688.009 die Sinngebung des Sinnlosen (N. Hartmann) pse_688.010 wird Wirklichkeit in der Dichtung, und darum eben vollendet pse_688.011 sich der Mensch im Umgang mit der Dichtung in pse_688.012 ihrem bloßen Sosein. Eliot sagt: "Denn letztlich ist es die pse_688.013 Leistung der Kunst, indem sie der gewöhnlichen Wirklichkeit pse_688.014 eine glaubhafte Ordnung aufprägt und dadurch eine pse_688.015 Vorstellung von Ordnung in der Wirklichkeit hervorruft, pse_688.016 uns in einen Zustand von Heiterkeit, Stille und Befriedung pse_688.017 zu versetzen und uns dann zu entlassen -- so wie Vergil Dante pse_688.018 entließ --, um in ein Reich einzutreten, wo jener Führer uns pse_688.019 nicht mehr helfen kann." So ist die Dichtung wie jedes Kunstwerk pse_688.020 eine der Weisen, wie sich das Absolute verendlicht, pse_688.021 Wirklichkeit in der Menschenwelt wird. Diese Menschenschöpfungen pse_688.022 sind damit Diener des Absoluten.
pse_688.023 Erst von solcher Warte aus verliert der Bezug der Dichtung pse_688.024 zur Gemeinschaft alles zu sehr Geschichtliche, Politische und pse_688.025 Propagandistische. Auch die Gemeinschaft derer, aus deren pse_688.026 Sprache die Dichtung aufsteigt, findet in ihr zu ihrem Wesen pse_688.027 und vermag sich so aufs Absolute hin zu vollenden. Wesenheit pse_688.028 ist in der Dichtung Wirklichkeit geworden, und jede Menschengemeinschaft pse_688.029 kommt an ihr zu sich selbst. Und wieder pse_688.030 eine Folge daraus ins geschichtliche Leben: das allein ist pse_688.031 Grundlage jeder Kultur. Mag das Zusichkommen des Menschen pse_688.032 in der Dichtung oft hart sein, nur über furchtbare Fragen pse_688.033 und bedrohende Erschütterungen möglich sein, mag es pse_688.034 manchmal nah an die Verzweiflung gehen: jedesmal, wenn pse_688.035 der Mensch auch in solchen Bitternissen zu seinem absoluten pse_688.036 Wesen findet, ist das ein großer Augenblick im Leben, wert, pse_688.037 gefeiert zu werden. Nicht nur die große heitere Dichtung, pse_688.038 auch die tragische führt zu solchen Augenblicken. Und ist
pse_688.001 von hier aus setzt eine Folgenkette an: dieses Zu-sich-selbst- pse_688.002 Kommen im Spielraum der Dichtung gibt dem Menschen pse_688.003 Halt, Freude und Welterhellung, und diese Erhellung, diese pse_688.004 Freude strahlt nun auf die Dinge der realen Welt und den pse_688.005 Umgang mit ihnen aus. In der Begegnung mit der Dichtung pse_688.006 tritt die Verwirrung und das Verwirrende der Realität zurück. pse_688.007 In der Dichtung gelingt dem Menschen eine Ordnung pse_688.008 und Sinndeutung der Welt. Die höchste Leistung des Menschengeistes, pse_688.009 die Sinngebung des Sinnlosen (N. Hartmann) pse_688.010 wird Wirklichkeit in der Dichtung, und darum eben vollendet pse_688.011 sich der Mensch im Umgang mit der Dichtung in pse_688.012 ihrem bloßen Sosein. Eliot sagt: »Denn letztlich ist es die pse_688.013 Leistung der Kunst, indem sie der gewöhnlichen Wirklichkeit pse_688.014 eine glaubhafte Ordnung aufprägt und dadurch eine pse_688.015 Vorstellung von Ordnung in der Wirklichkeit hervorruft, pse_688.016 uns in einen Zustand von Heiterkeit, Stille und Befriedung pse_688.017 zu versetzen und uns dann zu entlassen — so wie Vergil Dante pse_688.018 entließ —, um in ein Reich einzutreten, wo jener Führer uns pse_688.019 nicht mehr helfen kann.« So ist die Dichtung wie jedes Kunstwerk pse_688.020 eine der Weisen, wie sich das Absolute verendlicht, pse_688.021 Wirklichkeit in der Menschenwelt wird. Diese Menschenschöpfungen pse_688.022 sind damit Diener des Absoluten.
pse_688.023 Erst von solcher Warte aus verliert der Bezug der Dichtung pse_688.024 zur Gemeinschaft alles zu sehr Geschichtliche, Politische und pse_688.025 Propagandistische. Auch die Gemeinschaft derer, aus deren pse_688.026 Sprache die Dichtung aufsteigt, findet in ihr zu ihrem Wesen pse_688.027 und vermag sich so aufs Absolute hin zu vollenden. Wesenheit pse_688.028 ist in der Dichtung Wirklichkeit geworden, und jede Menschengemeinschaft pse_688.029 kommt an ihr zu sich selbst. Und wieder pse_688.030 eine Folge daraus ins geschichtliche Leben: das allein ist pse_688.031 Grundlage jeder Kultur. Mag das Zusichkommen des Menschen pse_688.032 in der Dichtung oft hart sein, nur über furchtbare Fragen pse_688.033 und bedrohende Erschütterungen möglich sein, mag es pse_688.034 manchmal nah an die Verzweiflung gehen: jedesmal, wenn pse_688.035 der Mensch auch in solchen Bitternissen zu seinem absoluten pse_688.036 Wesen findet, ist das ein großer Augenblick im Leben, wert, pse_688.037 gefeiert zu werden. Nicht nur die große heitere Dichtung, pse_688.038 auch die tragische führt zu solchen Augenblicken. Und ist
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von hier aus setzt eine Folgenkette an: dieses Zu-sich-selbst- pse_688.002
Kommen im Spielraum der Dichtung gibt dem Menschen pse_688.003
Halt, Freude und Welterhellung, und diese Erhellung, diese pse_688.004
Freude strahlt nun auf die Dinge der realen Welt und den pse_688.005
Umgang mit ihnen aus. In der Begegnung mit der Dichtung pse_688.006
tritt die Verwirrung und das Verwirrende der Realität zurück. pse_688.007
In der Dichtung gelingt dem Menschen eine Ordnung pse_688.008
und Sinndeutung der Welt. Die höchste Leistung des Menschengeistes, pse_688.009
die Sinngebung des Sinnlosen (N. Hartmann) pse_688.010
wird Wirklichkeit in der Dichtung, und darum eben vollendet pse_688.011
sich der Mensch im Umgang mit der Dichtung in pse_688.012
ihrem bloßen Sosein. Eliot sagt: »Denn letztlich ist es die pse_688.013
Leistung der Kunst, indem sie der gewöhnlichen Wirklichkeit pse_688.014
eine glaubhafte Ordnung aufprägt und dadurch eine pse_688.015
Vorstellung von Ordnung in der Wirklichkeit hervorruft, pse_688.016
uns in einen Zustand von Heiterkeit, Stille und Befriedung pse_688.017
zu versetzen und uns dann zu entlassen — so wie Vergil Dante pse_688.018
entließ —, um in ein Reich einzutreten, wo jener Führer uns pse_688.019
nicht mehr helfen kann.« So ist die Dichtung wie jedes Kunstwerk pse_688.020
eine der Weisen, wie sich das Absolute verendlicht, pse_688.021
Wirklichkeit in der Menschenwelt wird. Diese Menschenschöpfungen pse_688.022
sind damit Diener des Absoluten.
pse_688.023
Erst von solcher Warte aus verliert der Bezug der Dichtung pse_688.024
zur Gemeinschaft alles zu sehr Geschichtliche, Politische und pse_688.025
Propagandistische. Auch die Gemeinschaft derer, aus deren pse_688.026
Sprache die Dichtung aufsteigt, findet in ihr zu ihrem Wesen pse_688.027
und vermag sich so aufs Absolute hin zu vollenden. Wesenheit pse_688.028
ist in der Dichtung Wirklichkeit geworden, und jede Menschengemeinschaft pse_688.029
kommt an ihr zu sich selbst. Und wieder pse_688.030
eine Folge daraus ins geschichtliche Leben: das allein ist pse_688.031
Grundlage jeder Kultur. Mag das Zusichkommen des Menschen pse_688.032
in der Dichtung oft hart sein, nur über furchtbare Fragen pse_688.033
und bedrohende Erschütterungen möglich sein, mag es pse_688.034
manchmal nah an die Verzweiflung gehen: jedesmal, wenn pse_688.035
der Mensch auch in solchen Bitternissen zu seinem absoluten pse_688.036
Wesen findet, ist das ein großer Augenblick im Leben, wert, pse_688.037
gefeiert zu werden. Nicht nur die große heitere Dichtung, pse_688.038
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 688. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/704>, abgerufen am 24.11.2024.
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