pse_080.001 Daher treffen auf ihn zunächst die Züge zu, die den Künstler pse_080.002 überhaupt charakterisieren. Das erste ist die Offenheit für die pse_080.003 Welt um uns, das innere Ergriffensein davon, wenn auch diese pse_080.004 innere Weltbegegnung sich nur auf ein kleines Gebiet beschränkt: pse_080.005 Weltoffenheit. Das zweite ist die Fähigkeit, dieses pse_080.006 Erfaßte in sich einzubilden, das seelische und geistige Gesamtgefüge pse_080.007 dadurch zu bereichern und dann das Erfaßte und Eingeformte pse_080.008 zu neuen Gestalten umzubilden. Das alles faßt man am pse_080.009 besten unter Einbildungskraft zusammen. Soweit nur das pse_080.010 Umbilden, also das Kombinieren und Neuformen vorhandener pse_080.011 Elemente beachtet wird, ist das die Phantasie. Dazu pse_080.012 kommt als drittes der innere Drang, das Eingebildete zu pse_080.013 offenbaren: der Ausdrucksdrang. Man kann in ihm die drei pse_080.014 Funktionen der Entladung, der Steigerung und der Übertragung pse_080.015 erkennen. Das vierte aber ist die Gestaltungskraft. pse_080.016 Kunstwerke sind nicht bloß Ausfluß, sondern Gebilde, in pse_080.017 ihnen gerinnt all das Erwähnte zu vollendeter Prägung. Man pse_080.018 erkennt leicht, daß in irgendeiner Weise beinahe jeder pse_080.019 Mensch solche Fähigkeiten hat. Das Übernormale, die Stärke pse_080.020 und das Zusammenwirken machen den Künstler aus. Beim pse_080.021 Dichter tritt nun hinzu, daß all dieses Schaffen, und zwar nicht pse_080.022 bloß Ausdrücken und Gestalten im Raum der Sprache geschieht: pse_080.023 wie mehr oder minder bei jedem Menschen, aber pse_080.024 eben wieder in besonders ausgezeichneter Weise.
pse_080.025 Das reiche Gefüge und Ineinanderwirken verschiedener pse_080.026 innerer Kräfte im Dichter führt nun dazu, Typen von Dichtern pse_080.027 zu unterscheiden, deren Eigenart sich dann auch in der pse_080.028 Gestalt ihrer Schöpfungen offenbart. Typenaufstellungen pse_080.029 nach streng und ausschließlich psychologischen Blickpunkten pse_080.030 sind heute in den Hintergrund getreten. Aber immerhin sind pse_080.031 mehrere Gesichtspunkte möglich. Da gibt es zunächst Unterschiede pse_080.032 je nach der Stärke, in der die eben erwähnten Merkmale pse_080.033 im Gefüge des schöpferischen Geistes vorherrschen. So pse_080.034 überwiegt etwa im jungen Werfel der Ausdrucksdrang, bei pse_080.035 George die Gestaltungskraft. Es kann im selben Dichter auch pse_080.036 zu Strukturwandlungen kommen, man denke an die vorwiegende pse_080.037 Ausdrucksstärke in Goethes "Schwager Kronos" pse_080.038 gegenüber dem Gestaltungswillen in der "Natürlichen
pse_080.001 Daher treffen auf ihn zunächst die Züge zu, die den Künstler pse_080.002 überhaupt charakterisieren. Das erste ist die Offenheit für die pse_080.003 Welt um uns, das innere Ergriffensein davon, wenn auch diese pse_080.004 innere Weltbegegnung sich nur auf ein kleines Gebiet beschränkt: pse_080.005 Weltoffenheit. Das zweite ist die Fähigkeit, dieses pse_080.006 Erfaßte in sich einzubilden, das seelische und geistige Gesamtgefüge pse_080.007 dadurch zu bereichern und dann das Erfaßte und Eingeformte pse_080.008 zu neuen Gestalten umzubilden. Das alles faßt man am pse_080.009 besten unter Einbildungskraft zusammen. Soweit nur das pse_080.010 Umbilden, also das Kombinieren und Neuformen vorhandener pse_080.011 Elemente beachtet wird, ist das die Phantasie. Dazu pse_080.012 kommt als drittes der innere Drang, das Eingebildete zu pse_080.013 offenbaren: der Ausdrucksdrang. Man kann in ihm die drei pse_080.014 Funktionen der Entladung, der Steigerung und der Übertragung pse_080.015 erkennen. Das vierte aber ist die Gestaltungskraft. pse_080.016 Kunstwerke sind nicht bloß Ausfluß, sondern Gebilde, in pse_080.017 ihnen gerinnt all das Erwähnte zu vollendeter Prägung. Man pse_080.018 erkennt leicht, daß in irgendeiner Weise beinahe jeder pse_080.019 Mensch solche Fähigkeiten hat. Das Übernormale, die Stärke pse_080.020 und das Zusammenwirken machen den Künstler aus. Beim pse_080.021 Dichter tritt nun hinzu, daß all dieses Schaffen, und zwar nicht pse_080.022 bloß Ausdrücken und Gestalten im Raum der Sprache geschieht: pse_080.023 wie mehr oder minder bei jedem Menschen, aber pse_080.024 eben wieder in besonders ausgezeichneter Weise.
pse_080.025 Das reiche Gefüge und Ineinanderwirken verschiedener pse_080.026 innerer Kräfte im Dichter führt nun dazu, Typen von Dichtern pse_080.027 zu unterscheiden, deren Eigenart sich dann auch in der pse_080.028 Gestalt ihrer Schöpfungen offenbart. Typenaufstellungen pse_080.029 nach streng und ausschließlich psychologischen Blickpunkten pse_080.030 sind heute in den Hintergrund getreten. Aber immerhin sind pse_080.031 mehrere Gesichtspunkte möglich. Da gibt es zunächst Unterschiede pse_080.032 je nach der Stärke, in der die eben erwähnten Merkmale pse_080.033 im Gefüge des schöpferischen Geistes vorherrschen. So pse_080.034 überwiegt etwa im jungen Werfel der Ausdrucksdrang, bei pse_080.035 George die Gestaltungskraft. Es kann im selben Dichter auch pse_080.036 zu Strukturwandlungen kommen, man denke an die vorwiegende pse_080.037 Ausdrucksstärke in Goethes »Schwager Kronos« pse_080.038 gegenüber dem Gestaltungswillen in der »Natürlichen
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Daher treffen auf ihn zunächst die Züge zu, die den Künstler pse_080.002
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innere Weltbegegnung sich nur auf ein kleines Gebiet beschränkt: pse_080.005
Weltoffenheit. Das zweite ist die Fähigkeit, dieses pse_080.006
Erfaßte in sich einzubilden, das seelische und geistige Gesamtgefüge pse_080.007
dadurch zu bereichern und dann das Erfaßte und Eingeformte pse_080.008
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besten unter Einbildungskraft zusammen. Soweit nur das pse_080.010
Umbilden, also das Kombinieren und Neuformen vorhandener pse_080.011
Elemente beachtet wird, ist das die Phantasie. Dazu pse_080.012
kommt als drittes der innere Drang, das Eingebildete zu pse_080.013
offenbaren: der Ausdrucksdrang. Man kann in ihm die drei pse_080.014
Funktionen der Entladung, der Steigerung und der Übertragung pse_080.015
erkennen. Das vierte aber ist die Gestaltungskraft. pse_080.016
Kunstwerke sind nicht bloß Ausfluß, sondern Gebilde, in pse_080.017
ihnen gerinnt all das Erwähnte zu vollendeter Prägung. Man pse_080.018
erkennt leicht, daß in irgendeiner Weise beinahe jeder pse_080.019
Mensch solche Fähigkeiten hat. Das Übernormale, die Stärke pse_080.020
und das Zusammenwirken machen den Künstler aus. Beim pse_080.021
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wie mehr oder minder bei jedem Menschen, aber pse_080.024
eben wieder in besonders ausgezeichneter Weise.
pse_080.025
Das reiche Gefüge und Ineinanderwirken verschiedener pse_080.026
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zu unterscheiden, deren Eigenart sich dann auch in der pse_080.028
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sind heute in den Hintergrund getreten. Aber immerhin sind pse_080.031
mehrere Gesichtspunkte möglich. Da gibt es zunächst Unterschiede pse_080.032
je nach der Stärke, in der die eben erwähnten Merkmale pse_080.033
im Gefüge des schöpferischen Geistes vorherrschen. So pse_080.034
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gegenüber dem Gestaltungswillen in der »Natürlichen
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/96>, abgerufen am 22.11.2024.
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