pse_081.001 Tochter". -- Eine andere Unterscheidung ist durch die Begriffe pse_081.002 Genie, Talent und Dilettant angedeutet. Vielleicht könnte man pse_081.003 sie so umschreiben: höchste Entfaltung und Harmonie aller pse_081.004 künstlerischen Merkmale -- Gestaltungsfähigkeit übertrifft pse_081.005 inneren Reichtum und Ausdrucksdrang -- Ausdrucksdrang pse_081.006 und Gestaltungskraft sind nur schwach entwickelt. Mehr auf pse_081.007 das künstlerische Schaffen achtet folgende Scheidung (Walzel): pse_081.008 die einen Dichter betonen in ihrem Werk vor allem das pse_081.009 ruhende Sein, das Schaffen anderer ist gekennzeichnet durch pse_081.010 Rauschhaftigkeit und Lebenssteigerung, andere endlich gestalten pse_081.011 ruhiges Wachsen und Werden. Eine sehr tiefgreifende pse_081.012 und weitblickende Typologie verdanken wir jetzt Walter pse_081.013 Muschg (Tragische Literaturgeschichte). Gewonnen hat er sie pse_081.014 nicht aus Spekulation und Deduktion, sondern aus geschichtlicher pse_081.015 Rundsicht. In der Geschichte und im Leben entfalten pse_081.016 und verschlingen sich diese Urformen des Dichtertums in der pse_081.017 mannigfachsten Weise in den verschiedenen Räumen, Zeiten pse_081.018 und Gemeinschaften. Ausgangspunkt ist die Weihe, die ein pse_081.019 Dichter durch seine schöpferische Gabe empfängt. Sie zeigt pse_081.020 sich in drei Urformen. Der Dichter als Magier ist durch pse_081.021 Ekstase, durch den Durchbruch in höhere Bereiche, durch pse_081.022 Entrückung gekennzeichnet. Er kann so auch uns Menschen pse_081.023 entrücken. Shakespeare erscheint als Beispiel der ungeheuren pse_081.024 magischen Kraft des dichterischen Wortes. Dem Dichter als pse_081.025 Seher ist die unmittelbare Schau des Jenseitigen gegeben, ihm pse_081.026 kommt die Inspiration zu: die griechischen Tragiker, Dante, pse_081.027 Hölderlin. Den Dichter als Sänger treibt die Freude am Dasein: pse_081.028 "Ich singe wie der Vogel singt, der in den Zweigen wohnet." pse_081.029 In der Entwicklung der Zivilisation verblassen die Urformen, pse_081.030 näherliegende Vorbilder und aktuelle Probleme drängen vor, pse_081.031 Entweihung setzt ein. Aber auch in dieser Entweihung sind pse_081.032 die großen Urformen -- abgewandelt -- noch erkennbar: aus pse_081.033 dem Magier wird der Gaukler, der mit seinem Können spielt. pse_081.034 Ein solcher Dichter steht immer vor dem Abgrund. Aus den pse_081.035 Sehern werden die Priester unter den Dichtern: die Psalmisten pse_081.036 oder Schiller. Und im Zeitalter des Literaturbetriebs wird aus pse_081.037 dem Sänger der Poet, der in allen Sätteln gerecht ist. Urformen pse_081.038 und geschichtliche Abwandlungen verquicken sich in
pse_081.001 Tochter«. — Eine andere Unterscheidung ist durch die Begriffe pse_081.002 Genie, Talent und Dilettant angedeutet. Vielleicht könnte man pse_081.003 sie so umschreiben: höchste Entfaltung und Harmonie aller pse_081.004 künstlerischen Merkmale — Gestaltungsfähigkeit übertrifft pse_081.005 inneren Reichtum und Ausdrucksdrang — Ausdrucksdrang pse_081.006 und Gestaltungskraft sind nur schwach entwickelt. Mehr auf pse_081.007 das künstlerische Schaffen achtet folgende Scheidung (Walzel): pse_081.008 die einen Dichter betonen in ihrem Werk vor allem das pse_081.009 ruhende Sein, das Schaffen anderer ist gekennzeichnet durch pse_081.010 Rauschhaftigkeit und Lebenssteigerung, andere endlich gestalten pse_081.011 ruhiges Wachsen und Werden. Eine sehr tiefgreifende pse_081.012 und weitblickende Typologie verdanken wir jetzt Walter pse_081.013 Muschg (Tragische Literaturgeschichte). Gewonnen hat er sie pse_081.014 nicht aus Spekulation und Deduktion, sondern aus geschichtlicher pse_081.015 Rundsicht. In der Geschichte und im Leben entfalten pse_081.016 und verschlingen sich diese Urformen des Dichtertums in der pse_081.017 mannigfachsten Weise in den verschiedenen Räumen, Zeiten pse_081.018 und Gemeinschaften. Ausgangspunkt ist die Weihe, die ein pse_081.019 Dichter durch seine schöpferische Gabe empfängt. Sie zeigt pse_081.020 sich in drei Urformen. Der Dichter als Magier ist durch pse_081.021 Ekstase, durch den Durchbruch in höhere Bereiche, durch pse_081.022 Entrückung gekennzeichnet. Er kann so auch uns Menschen pse_081.023 entrücken. Shakespeare erscheint als Beispiel der ungeheuren pse_081.024 magischen Kraft des dichterischen Wortes. Dem Dichter als pse_081.025 Seher ist die unmittelbare Schau des Jenseitigen gegeben, ihm pse_081.026 kommt die Inspiration zu: die griechischen Tragiker, Dante, pse_081.027 Hölderlin. Den Dichter als Sänger treibt die Freude am Dasein: pse_081.028 »Ich singe wie der Vogel singt, der in den Zweigen wohnet.« pse_081.029 In der Entwicklung der Zivilisation verblassen die Urformen, pse_081.030 näherliegende Vorbilder und aktuelle Probleme drängen vor, pse_081.031 Entweihung setzt ein. Aber auch in dieser Entweihung sind pse_081.032 die großen Urformen — abgewandelt — noch erkennbar: aus pse_081.033 dem Magier wird der Gaukler, der mit seinem Können spielt. pse_081.034 Ein solcher Dichter steht immer vor dem Abgrund. Aus den pse_081.035 Sehern werden die Priester unter den Dichtern: die Psalmisten pse_081.036 oder Schiller. Und im Zeitalter des Literaturbetriebs wird aus pse_081.037 dem Sänger der Poet, der in allen Sätteln gerecht ist. Urformen pse_081.038 und geschichtliche Abwandlungen verquicken sich in
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Genie, Talent und Dilettant angedeutet. Vielleicht könnte man pse_081.003
sie so umschreiben: höchste Entfaltung und Harmonie aller pse_081.004
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inneren Reichtum und Ausdrucksdrang — Ausdrucksdrang pse_081.006
und Gestaltungskraft sind nur schwach entwickelt. Mehr auf pse_081.007
das künstlerische Schaffen achtet folgende Scheidung (Walzel): pse_081.008
die einen Dichter betonen in ihrem Werk vor allem das pse_081.009
ruhende Sein, das Schaffen anderer ist gekennzeichnet durch pse_081.010
Rauschhaftigkeit und Lebenssteigerung, andere endlich gestalten pse_081.011
ruhiges Wachsen und Werden. Eine sehr tiefgreifende pse_081.012
und weitblickende Typologie verdanken wir jetzt Walter pse_081.013
Muschg (Tragische Literaturgeschichte). Gewonnen hat er sie pse_081.014
nicht aus Spekulation und Deduktion, sondern aus geschichtlicher pse_081.015
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/97>, abgerufen am 22.11.2024.
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