Bewandtniss haben müsse. Nun dieses Bewandtniss ist so eben ausgesprochen worden. Die Klinik befindet sich im zwei- ten Stockwerke, und zwar in dessen hinterst gelegenem Theile, so dass die Armen, von Wehen Ergriffenen nicht nur etwa einen weiten Weg aus dem oder jenem Stadttheile zurückle- gen müssen, sondern auch genöthigt sind, sich mühsam zwei Treppen und einen langen Corridor fortzuschleppen, woher es dann auch kommt, dass Treppengeburten nicht zu den Selten- heiten gehören. Diese unzweckmässige Entfernung der Klinik vom Eingangsthore des Hauses ist um so nachtheiliger bei einer Gebäranstalt, in welcher wegen Raumbeschränkung nur solche Frauen aufgenommen werden, bei welchen der Ge- burtsact bereits begonnen hat oder imminent ist, nicht aber wie in Wien in den letzten beiden Schwangerschaftsmonaten. Damit aber die Lage der Klinik im oben angedeuteten Sinne nichts zu wünschen übrig lasse, gehen die Fenster auf der einen Seite auf den Leichenhof hinaus, indess die anderen sich gerade über dem Secirsaal befinden. Auch damit nicht zufrie- den, hat man durch eine Wand des eigentlichen Krankenzim- mers drei, sage drei, gut ziehende Schornsteine des unter- halb der Klinik im ersten Stockwerke befindlichen chemischen Laboratoriums geführt, welche die Wand mitten im Sommer zu einem förmlichen grossen Ofen umgestalten. Wer's nicht glaubt, halte die Hand hin; ich weiss gewiss, er thut's nicht ein zweites Mal, und glaubt mir lieber in Zukunft auf's Wort.
,Die Klinik besteht aus fünf Zimmern; davon drei mit einem Fenster, eines mit zwei, und endlich ein Eckzim- mer mit drei Fenstern. Von dem einfenstrigen ist eines so klein, dass es nur das Bett der Wärterin enthalten kann. Es bleiben somit eigentlich nur vier Räumchen für die Wöchne- rinnen. Das Kreissezimmer hat, wie bereits in einem früheren Briefe erwähnt, nur ein Fenster und drei Betten, daran stosst ein zweites mit einem Fenster. Man denke sich nun ein fleissig besuchtes Klinikum, besucht in diesem Semester von 93 Heb- ammen und 27 Medicinern oder Chirurgen, man denke sich
Bewandtniss haben müsse. Nun dieses Bewandtniss ist so eben ausgesprochen worden. Die Klinik befindet sich im zwei- ten Stockwerke, und zwar in dessen hinterst gelegenem Theile, so dass die Armen, von Wehen Ergriffenen nicht nur etwa einen weiten Weg aus dem oder jenem Stadttheile zurückle- gen müssen, sondern auch genöthigt sind, sich mühsam zwei Treppen und einen langen Corridor fortzuschleppen, woher es dann auch kommt, dass Treppengeburten nicht zu den Selten- heiten gehören. Diese unzweckmässige Entfernung der Klinik vom Eingangsthore des Hauses ist um so nachtheiliger bei einer Gebäranstalt, in welcher wegen Raumbeschränkung nur solche Frauen aufgenommen werden, bei welchen der Ge- burtsact bereits begonnen hat oder imminent ist, nicht aber wie in Wien in den letzten beiden Schwangerschaftsmonaten. Damit aber die Lage der Klinik im oben angedeuteten Sinne nichts zu wünschen übrig lasse, gehen die Fenster auf der einen Seite auf den Leichenhof hinaus, indess die anderen sich gerade über dem Secirsaal befinden. Auch damit nicht zufrie- den, hat man durch eine Wand des eigentlichen Krankenzim- mers drei, sage drei, gut ziehende Schornsteine des unter- halb der Klinik im ersten Stockwerke befindlichen chemischen Laboratoriums geführt, welche die Wand mitten im Sommer zu einem förmlichen grossen Ofen umgestalten. Wer’s nicht glaubt, halte die Hand hin; ich weiss gewiss, er thut’s nicht ein zweites Mal, und glaubt mir lieber in Zukunft auf’s Wort.
‚Die Klinik besteht aus fünf Zimmern; davon drei mit einem Fenster, eines mit zwei, und endlich ein Eckzim- mer mit drei Fenstern. Von dem einfenstrigen ist eines so klein, dass es nur das Bett der Wärterin enthalten kann. Es bleiben somit eigentlich nur vier Räumchen für die Wöchne- rinnen. Das Kreissezimmer hat, wie bereits in einem früheren Briefe erwähnt, nur ein Fenster und drei Betten, daran stosst ein zweites mit einem Fenster. Man denke sich nun ein fleissig besuchtes Klinikum, besucht in diesem Semester von 93 Heb- ammen und 27 Medicinern oder Chirurgen, man denke sich
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Bewandtniss haben müsse. Nun dieses Bewandtniss ist so
eben ausgesprochen worden. Die Klinik befindet sich im zwei-
ten Stockwerke, und zwar in dessen hinterst gelegenem Theile,
so dass die Armen, von Wehen Ergriffenen nicht nur etwa
einen weiten Weg aus dem oder jenem Stadttheile zurückle-
gen müssen, sondern auch genöthigt sind, sich mühsam zwei
Treppen und einen langen Corridor fortzuschleppen, woher es
dann auch kommt, dass Treppengeburten nicht zu den Selten-
heiten gehören. Diese unzweckmässige Entfernung der Klinik
vom Eingangsthore des Hauses ist um so nachtheiliger bei
einer Gebäranstalt, in welcher wegen Raumbeschränkung
nur solche Frauen aufgenommen werden, bei welchen der Ge-
burtsact bereits begonnen hat oder imminent ist, nicht aber
wie in Wien in den letzten beiden Schwangerschaftsmonaten.
Damit aber die Lage der Klinik im oben angedeuteten Sinne
nichts zu wünschen übrig lasse, gehen die Fenster auf der
einen Seite auf den Leichenhof hinaus, indess die anderen sich
gerade über dem Secirsaal befinden. Auch damit nicht zufrie-
den, hat man durch eine Wand des eigentlichen Krankenzim-
mers drei, sage drei, gut ziehende Schornsteine des unter-
halb der Klinik im ersten Stockwerke befindlichen chemischen
Laboratoriums geführt, welche die Wand mitten im Sommer
zu einem förmlichen grossen Ofen umgestalten. Wer’s nicht
glaubt, halte die Hand hin; ich weiss gewiss, er thut’s nicht
ein zweites Mal, und glaubt mir lieber in Zukunft auf’s Wort.
‚Die Klinik besteht aus fünf Zimmern; davon drei mit
einem Fenster, eines mit zwei, und endlich ein Eckzim-
mer mit drei Fenstern. Von dem einfenstrigen ist eines so
klein, dass es nur das Bett der Wärterin enthalten kann. Es
bleiben somit eigentlich nur vier Räumchen für die Wöchne-
rinnen. Das Kreissezimmer hat, wie bereits in einem früheren
Briefe erwähnt, nur ein Fenster und drei Betten, daran stosst
ein zweites mit einem Fenster. Man denke sich nun ein fleissig
besuchtes Klinikum, besucht in diesem Semester von 93 Heb-
ammen und 27 Medicinern oder Chirurgen, man denke sich
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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/103>, abgerufen am 09.11.2024.
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