Der zersetzte thierisch-organische Stoff, welcher resor- birt das Kindbettfieber hervorbringt, wird in seltenen Fällen den Individuen nicht von aussen beigebracht, sondern er ent- steht innerhalb der Grenzen des betroffenen Individuums da- durch, dass organische Theile, welche im Wochenbette aus- geschieden werden sollen, vor ihrer Ausscheidung eine Zer- setzung eingehen, und dann, wenn resorbirt, das Kindbett- fieber durch Selbstinfection hervorrufen. Diese organischen Theile sind der Wochenfluss selbst, Decidua-Reste, Blutcoa- gula, welche in der Gebärmutterhöhle zurückgehalten wer- den etc. etc. Oder der zersetzte thierisch-organische Stoff ist Product eines pathologischen Processes, z. B. in Folge einer forcirten Zangenoperation werden in Folge der Quetschung Partien der Geschlechtstheile gangränös, die gangränösen Theile aber, wenn resorbirt, erzeugen das Kindbettfieber durch Selbstinfection.
Wenn wir das Kindbettfieber für ein Resorbtionsfieber erklären, welches bedingt ist durch die Aufnahme eines zer- setzten thierisch-organischen Stoffes, wo in Folge der Re- sorbtion eine Blutentmischung eintritt, und in Folge der Blut- entmischung die Exsudationen, so ist das Kindbettfieber keine der Wöchnerin eigenthümlich und ausschliesslich zukommende Krankheit, weil in Folge der Resorbtion eines zersetzten thie- risch-organischen Stoffes diese Krankheit in der Schwanger- schaft, während der Geburt entstehen kann; wir haben diese Krankheit als mitgetheilte bei den Neugebornen, und zwar ohne Unterschied ob Knabe oder Mädchen, gefunden. Diese Krankheit haben wir bei Kolletschka angetroffen, wir fin- den selbe in Folge von Resorbtion eines zersetzten thierisch- organischen Stoffes bei Anatomen, Chirurgen, bei Operirten an chirurgischen Abtheilungen etc.
Das Kindbettfieber ist demnach keine Krankheitsspecies, das Kindbettfieber ist eine Varietät der Pyaemie.
Mit dem Ausdrucke Pyaemie werden verschiedene Be- griffe verbunden, es ist deshalb nöthig zu erklären, was ich
Der zersetzte thierisch-organische Stoff, welcher resor- birt das Kindbettfieber hervorbringt, wird in seltenen Fällen den Individuen nicht von aussen beigebracht, sondern er ent- steht innerhalb der Grenzen des betroffenen Individuums da- durch, dass organische Theile, welche im Wochenbette aus- geschieden werden sollen, vor ihrer Ausscheidung eine Zer- setzung eingehen, und dann, wenn resorbirt, das Kindbett- fieber durch Selbstinfection hervorrufen. Diese organischen Theile sind der Wochenfluss selbst, Decidua-Reste, Blutcoa- gula, welche in der Gebärmutterhöhle zurückgehalten wer- den etc. etc. Oder der zersetzte thierisch-organische Stoff ist Product eines pathologischen Processes, z. B. in Folge einer forcirten Zangenoperation werden in Folge der Quetschung Partien der Geschlechtstheile gangränös, die gangränösen Theile aber, wenn resorbirt, erzeugen das Kindbettfieber durch Selbstinfection.
Wenn wir das Kindbettfieber für ein Resorbtionsfieber erklären, welches bedingt ist durch die Aufnahme eines zer- setzten thierisch-organischen Stoffes, wo in Folge der Re- sorbtion eine Blutentmischung eintritt, und in Folge der Blut- entmischung die Exsudationen, so ist das Kindbettfieber keine der Wöchnerin eigenthümlich und ausschliesslich zukommende Krankheit, weil in Folge der Resorbtion eines zersetzten thie- risch-organischen Stoffes diese Krankheit in der Schwanger- schaft, während der Geburt entstehen kann; wir haben diese Krankheit als mitgetheilte bei den Neugebornen, und zwar ohne Unterschied ob Knabe oder Mädchen, gefunden. Diese Krankheit haben wir bei Kolletschka angetroffen, wir fin- den selbe in Folge von Resorbtion eines zersetzten thierisch- organischen Stoffes bei Anatomen, Chirurgen, bei Operirten an chirurgischen Abtheilungen etc.
Das Kindbettfieber ist demnach keine Krankheitsspecies, das Kindbettfieber ist eine Varietät der Pyaemie.
Mit dem Ausdrucke Pyaemie werden verschiedene Be- griffe verbunden, es ist deshalb nöthig zu erklären, was ich
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0118"n="106"/><p>Der zersetzte thierisch-organische Stoff, welcher resor-<lb/>
birt das Kindbettfieber hervorbringt, wird in seltenen Fällen<lb/>
den Individuen nicht von aussen beigebracht, sondern er ent-<lb/>
steht innerhalb der Grenzen des betroffenen Individuums da-<lb/>
durch, dass organische Theile, welche im Wochenbette aus-<lb/>
geschieden werden sollen, vor ihrer Ausscheidung eine Zer-<lb/>
setzung eingehen, und dann, wenn resorbirt, das Kindbett-<lb/>
fieber durch Selbstinfection hervorrufen. Diese organischen<lb/>
Theile sind der Wochenfluss selbst, Decidua-Reste, Blutcoa-<lb/>
gula, welche in der Gebärmutterhöhle zurückgehalten wer-<lb/>
den etc. etc. Oder der zersetzte thierisch-organische Stoff ist<lb/>
Product eines pathologischen Processes, z. B. in Folge einer<lb/>
forcirten Zangenoperation werden in Folge der Quetschung<lb/>
Partien der Geschlechtstheile gangränös, die gangränösen<lb/>
Theile aber, wenn resorbirt, erzeugen das Kindbettfieber<lb/>
durch Selbstinfection.</p><lb/><p>Wenn wir das Kindbettfieber für ein Resorbtionsfieber<lb/>
erklären, welches bedingt ist durch die Aufnahme eines zer-<lb/>
setzten thierisch-organischen Stoffes, wo in Folge der Re-<lb/>
sorbtion eine Blutentmischung eintritt, und in Folge der Blut-<lb/>
entmischung die Exsudationen, so ist das Kindbettfieber keine<lb/>
der Wöchnerin eigenthümlich und ausschliesslich zukommende<lb/>
Krankheit, weil in Folge der Resorbtion eines zersetzten thie-<lb/>
risch-organischen Stoffes diese Krankheit in der Schwanger-<lb/>
schaft, während der Geburt entstehen kann; wir haben diese<lb/>
Krankheit als mitgetheilte bei den Neugebornen, und zwar<lb/>
ohne Unterschied ob Knabe oder Mädchen, gefunden. Diese<lb/>
Krankheit haben wir bei <hirendition="#g">Kolletschka</hi> angetroffen, wir fin-<lb/>
den selbe in Folge von Resorbtion eines zersetzten thierisch-<lb/>
organischen Stoffes bei Anatomen, Chirurgen, bei Operirten<lb/>
an chirurgischen Abtheilungen etc.</p><lb/><p>Das Kindbettfieber ist demnach keine Krankheitsspecies,<lb/>
das Kindbettfieber ist eine Varietät der Pyaemie.</p><lb/><p>Mit dem Ausdrucke Pyaemie werden verschiedene Be-<lb/>
griffe verbunden, es ist deshalb nöthig zu erklären, was ich<lb/></p></div></body></text></TEI>
[106/0118]
Der zersetzte thierisch-organische Stoff, welcher resor-
birt das Kindbettfieber hervorbringt, wird in seltenen Fällen
den Individuen nicht von aussen beigebracht, sondern er ent-
steht innerhalb der Grenzen des betroffenen Individuums da-
durch, dass organische Theile, welche im Wochenbette aus-
geschieden werden sollen, vor ihrer Ausscheidung eine Zer-
setzung eingehen, und dann, wenn resorbirt, das Kindbett-
fieber durch Selbstinfection hervorrufen. Diese organischen
Theile sind der Wochenfluss selbst, Decidua-Reste, Blutcoa-
gula, welche in der Gebärmutterhöhle zurückgehalten wer-
den etc. etc. Oder der zersetzte thierisch-organische Stoff ist
Product eines pathologischen Processes, z. B. in Folge einer
forcirten Zangenoperation werden in Folge der Quetschung
Partien der Geschlechtstheile gangränös, die gangränösen
Theile aber, wenn resorbirt, erzeugen das Kindbettfieber
durch Selbstinfection.
Wenn wir das Kindbettfieber für ein Resorbtionsfieber
erklären, welches bedingt ist durch die Aufnahme eines zer-
setzten thierisch-organischen Stoffes, wo in Folge der Re-
sorbtion eine Blutentmischung eintritt, und in Folge der Blut-
entmischung die Exsudationen, so ist das Kindbettfieber keine
der Wöchnerin eigenthümlich und ausschliesslich zukommende
Krankheit, weil in Folge der Resorbtion eines zersetzten thie-
risch-organischen Stoffes diese Krankheit in der Schwanger-
schaft, während der Geburt entstehen kann; wir haben diese
Krankheit als mitgetheilte bei den Neugebornen, und zwar
ohne Unterschied ob Knabe oder Mädchen, gefunden. Diese
Krankheit haben wir bei Kolletschka angetroffen, wir fin-
den selbe in Folge von Resorbtion eines zersetzten thierisch-
organischen Stoffes bei Anatomen, Chirurgen, bei Operirten
an chirurgischen Abtheilungen etc.
Das Kindbettfieber ist demnach keine Krankheitsspecies,
das Kindbettfieber ist eine Varietät der Pyaemie.
Mit dem Ausdrucke Pyaemie werden verschiedene Be-
griffe verbunden, es ist deshalb nöthig zu erklären, was ich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/118>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.