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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861.

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Die veröffentlichten Rapporte der englischen Gebärhäu-
ser weisen eine durchschnittliche Sterblichkeit von 1 Percent
aus; die französischen eine von 4 Percent; es ist mithin un-
richtig, wenn Litzmann sagt, dass England mehr als Frank-
reich der Plage des Kindbettfiebers unterworfen sei.

Dass das Kindbettfieber nicht durch atmosphärische Ein-
flüsse, sondern durch die Aufnahme eines zersetzten Stoffes
entstehe, beweist die Geschichte des Kindbettfiebers. Litz-
mann
sagt in seiner Geschichte des Kindbettfiebers, in wel-
cher alle Puerperal-Epidemien bis zum Jahre 1841 aufgezählt
werden, Folgendes: "Soweit die vorliegenden historischen
Documente ein Urtheil gestatten, ist das Kindbettfieber erst
eine Krankheit der neueren Zeit. Die von Hippocrates mitge-
theilten Krankheitsfälle, die man gewöhnlich als solche in
Anspruch nimmt, gehören nicht dahin. Es sind nur Beispiele
der damals herrschenden biliösen Fieber, die sich bei den
Wöchnerinnen nicht anders verhielten, als bei Nichtwöchne-
rinnen und Männern, und von Hippocrates selbst nirgends
als besondere und eigenthümliche Krankheiten bezeichnet wer-
den. Schmerzen im rechten Hypochondrium, galliger Durch-
fall und galliges Erbrechen, Kopfschmerz mit Delirium oder
Sopor, Fieber mit mehr oder minder häufigen unregelmässi-
gen Frostanfällen bilden bei Allen die hervorstehenden Symp-
tome; kaum dass bei den Wöchnerinnen die Störung in den
Wochensecretionen einen Unterschied begründet; denn nur
bei dreien finden wir eine Unterdrückung der Lochien, und
bei zweien derselben Schmerzen in der Uteringegend erwähnt.
Die wiederholten Fröste, von denen einige der Kranken be-
fallen wurden, haben in der neuesten Zeit Helm bestimmt,
in der geschilderten Krankheit eine Metrophlebitis zu er-
blicken.

(Allein es ist mindestens zweifelhaft, ob man aus diesem
einzelnen Symptome mit solcher Sicherheit auf Phlebitis schlies-
sen darf, wenn die Diagnose nicht durch andere Zeichen un-
terstützt wird, und namentlich der Bestätigung durch die

Die veröffentlichten Rapporte der englischen Gebärhäu-
ser weisen eine durchschnittliche Sterblichkeit von 1 Percent
aus; die französischen eine von 4 Percent; es ist mithin un-
richtig, wenn Litzmann sagt, dass England mehr als Frank-
reich der Plage des Kindbettfiebers unterworfen sei.

Dass das Kindbettfieber nicht durch atmosphärische Ein-
flüsse, sondern durch die Aufnahme eines zersetzten Stoffes
entstehe, beweist die Geschichte des Kindbettfiebers. Litz-
mann
sagt in seiner Geschichte des Kindbettfiebers, in wel-
cher alle Puerperal-Epidemien bis zum Jahre 1841 aufgezählt
werden, Folgendes: »Soweit die vorliegenden historischen
Documente ein Urtheil gestatten, ist das Kindbettfieber erst
eine Krankheit der neueren Zeit. Die von Hippocrates mitge-
theilten Krankheitsfälle, die man gewöhnlich als solche in
Anspruch nimmt, gehören nicht dahin. Es sind nur Beispiele
der damals herrschenden biliösen Fieber, die sich bei den
Wöchnerinnen nicht anders verhielten, als bei Nichtwöchne-
rinnen und Männern, und von Hippocrates selbst nirgends
als besondere und eigenthümliche Krankheiten bezeichnet wer-
den. Schmerzen im rechten Hypochondrium, galliger Durch-
fall und galliges Erbrechen, Kopfschmerz mit Delirium oder
Sopor, Fieber mit mehr oder minder häufigen unregelmässi-
gen Frostanfällen bilden bei Allen die hervorstehenden Symp-
tome; kaum dass bei den Wöchnerinnen die Störung in den
Wochensecretionen einen Unterschied begründet; denn nur
bei dreien finden wir eine Unterdrückung der Lochien, und
bei zweien derselben Schmerzen in der Uteringegend erwähnt.
Die wiederholten Fröste, von denen einige der Kranken be-
fallen wurden, haben in der neuesten Zeit Helm bestimmt,
in der geschilderten Krankheit eine Metrophlebitis zu er-
blicken.

(Allein es ist mindestens zweifelhaft, ob man aus diesem
einzelnen Symptome mit solcher Sicherheit auf Phlebitis schlies-
sen darf, wenn die Diagnose nicht durch andere Zeichen un-
terstützt wird, und namentlich der Bestätigung durch die

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[202/0214] Die veröffentlichten Rapporte der englischen Gebärhäu- ser weisen eine durchschnittliche Sterblichkeit von 1 Percent aus; die französischen eine von 4 Percent; es ist mithin un- richtig, wenn Litzmann sagt, dass England mehr als Frank- reich der Plage des Kindbettfiebers unterworfen sei. Dass das Kindbettfieber nicht durch atmosphärische Ein- flüsse, sondern durch die Aufnahme eines zersetzten Stoffes entstehe, beweist die Geschichte des Kindbettfiebers. Litz- mann sagt in seiner Geschichte des Kindbettfiebers, in wel- cher alle Puerperal-Epidemien bis zum Jahre 1841 aufgezählt werden, Folgendes: »Soweit die vorliegenden historischen Documente ein Urtheil gestatten, ist das Kindbettfieber erst eine Krankheit der neueren Zeit. Die von Hippocrates mitge- theilten Krankheitsfälle, die man gewöhnlich als solche in Anspruch nimmt, gehören nicht dahin. Es sind nur Beispiele der damals herrschenden biliösen Fieber, die sich bei den Wöchnerinnen nicht anders verhielten, als bei Nichtwöchne- rinnen und Männern, und von Hippocrates selbst nirgends als besondere und eigenthümliche Krankheiten bezeichnet wer- den. Schmerzen im rechten Hypochondrium, galliger Durch- fall und galliges Erbrechen, Kopfschmerz mit Delirium oder Sopor, Fieber mit mehr oder minder häufigen unregelmässi- gen Frostanfällen bilden bei Allen die hervorstehenden Symp- tome; kaum dass bei den Wöchnerinnen die Störung in den Wochensecretionen einen Unterschied begründet; denn nur bei dreien finden wir eine Unterdrückung der Lochien, und bei zweien derselben Schmerzen in der Uteringegend erwähnt. Die wiederholten Fröste, von denen einige der Kranken be- fallen wurden, haben in der neuesten Zeit Helm bestimmt, in der geschilderten Krankheit eine Metrophlebitis zu er- blicken. (Allein es ist mindestens zweifelhaft, ob man aus diesem einzelnen Symptome mit solcher Sicherheit auf Phlebitis schlies- sen darf, wenn die Diagnose nicht durch andere Zeichen un- terstützt wird, und namentlich der Bestätigung durch die

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Zitationshilfe: Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/214>, abgerufen am 21.11.2024.