von Paris bis Wien reichen, sondern dadurch, dass die Indi- viduen im Pariser und Wiener Gebärhause gleichzeitig inficirt werden. Wenn es wirklich atmosphärische Einflüsse wären, welche von Paris bis Wien reichen, so würden ja nicht blos die Wöchnerinnen des Pariser und Wiener Gebärhauses er- kranken, sondern die Wöchnerinnen der zwischen Paris und Wien wohnenden Bevölkerung müssten das gleiche Schicksal theilen; dem widerspricht aber die Erfahrung, welche lehrt, dass selbst die Wöchnerinnen der Stadt sich eines guten Ge- sundheitszustandes erfreuen, in dessen Gebärhaus die Wöch- nerinnen dem Kindbettfieber in grosser Anzahl zum Opfer fallen.
Für unsern Zweck ist es vollkommen gleichgiltig, ob die bei Hippocrates angeführten Fälle Kindbettfieber waren oder nicht. Bei Hippocrates handelt es sich um wenige Fälle, und diese wenigen Fälle konnten durch Selbstinfection entstanden sein; oder wenn es Fälle von Infection von aussen waren, so hat es ja auch zu Hippocrates' Zeiten Kranke gegeben, deren Krankheiten einen zersetzten Stoff erzeugten, und es hat auch zu Hippocrates' Zeiten Medicinal-Individuen männli- chen und weiblichen Geschlechtes gegeben, welche sich mit derartigen Kranken und gleichzeitig mit Schwangeren, Kreis- senden und Wöchnerinnen beschäftigten, wodurch die Infec- tion von aussen geschehen konnte. Uebrigens sagt Boer*) im zweiten Bande Seite 3 von Hippocrates Folgendes: "Man be- wundert mit einer Art von Erstaunen und Verehrung, wenn man Puerperalfieber behandelt, die daran Verstorbenen öffnet, und den Gang der Krankheiten und das im Cadaver Aufgefun- dene mit dem zusammenhält, was Hippocrates vor mehr als 2000 Jahren so treulich und treffend davon angeführt hat.
"Wäre jedem Jahrhunderte anstatt so vieler Systemge-
*) Dr. Lucas Johann Boer: "Abhandlungen und Versuche zur Be- gründung einer neuen, einfachen und naturgemässen Geburtshilfe." Wien 1810.
von Paris bis Wien reichen, sondern dadurch, dass die Indi- viduen im Pariser und Wiener Gebärhause gleichzeitig inficirt werden. Wenn es wirklich atmosphärische Einflüsse wären, welche von Paris bis Wien reichen, so würden ja nicht blos die Wöchnerinnen des Pariser und Wiener Gebärhauses er- kranken, sondern die Wöchnerinnen der zwischen Paris und Wien wohnenden Bevölkerung müssten das gleiche Schicksal theilen; dem widerspricht aber die Erfahrung, welche lehrt, dass selbst die Wöchnerinnen der Stadt sich eines guten Ge- sundheitszustandes erfreuen, in dessen Gebärhaus die Wöch- nerinnen dem Kindbettfieber in grosser Anzahl zum Opfer fallen.
Für unsern Zweck ist es vollkommen gleichgiltig, ob die bei Hippocrates angeführten Fälle Kindbettfieber waren oder nicht. Bei Hippocrates handelt es sich um wenige Fälle, und diese wenigen Fälle konnten durch Selbstinfection entstanden sein; oder wenn es Fälle von Infection von aussen waren, so hat es ja auch zu Hippocrates’ Zeiten Kranke gegeben, deren Krankheiten einen zersetzten Stoff erzeugten, und es hat auch zu Hippocrates’ Zeiten Medicinal-Individuen männli- chen und weiblichen Geschlechtes gegeben, welche sich mit derartigen Kranken und gleichzeitig mit Schwangeren, Kreis- senden und Wöchnerinnen beschäftigten, wodurch die Infec- tion von aussen geschehen konnte. Uebrigens sagt Boer*) im zweiten Bande Seite 3 von Hippocrates Folgendes: »Man be- wundert mit einer Art von Erstaunen und Verehrung, wenn man Puerperalfieber behandelt, die daran Verstorbenen öffnet, und den Gang der Krankheiten und das im Cadaver Aufgefun- dene mit dem zusammenhält, was Hippocrates vor mehr als 2000 Jahren so treulich und treffend davon angeführt hat.
»Wäre jedem Jahrhunderte anstatt so vieler Systemge-
*) Dr. Lucas Johann Boer: »Abhandlungen und Versuche zur Be- gründung einer neuen, einfachen und naturgemässen Geburtshilfe.« Wien 1810.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0218"n="206"/>
von Paris bis Wien reichen, sondern dadurch, dass die Indi-<lb/>
viduen im Pariser und Wiener Gebärhause gleichzeitig inficirt<lb/>
werden. Wenn es wirklich atmosphärische Einflüsse wären,<lb/>
welche von Paris bis Wien reichen, so würden ja nicht blos<lb/>
die Wöchnerinnen des Pariser und Wiener Gebärhauses er-<lb/>
kranken, sondern die Wöchnerinnen der zwischen Paris und<lb/>
Wien wohnenden Bevölkerung müssten das gleiche Schicksal<lb/>
theilen; dem widerspricht aber die Erfahrung, welche lehrt,<lb/>
dass selbst die Wöchnerinnen der Stadt sich eines guten Ge-<lb/>
sundheitszustandes erfreuen, in dessen Gebärhaus die Wöch-<lb/>
nerinnen dem Kindbettfieber in grosser Anzahl zum Opfer<lb/>
fallen.</p><lb/><p>Für unsern Zweck ist es vollkommen gleichgiltig, ob die<lb/>
bei Hippocrates angeführten Fälle Kindbettfieber waren oder<lb/>
nicht. Bei Hippocrates handelt es sich um wenige Fälle, und<lb/>
diese wenigen Fälle konnten durch Selbstinfection entstanden<lb/>
sein; oder wenn es Fälle von Infection von aussen waren, so<lb/>
hat es ja auch zu Hippocrates’ Zeiten Kranke gegeben, deren<lb/>
Krankheiten einen zersetzten Stoff erzeugten, und es hat<lb/>
auch zu Hippocrates’ Zeiten Medicinal-Individuen männli-<lb/>
chen und weiblichen Geschlechtes gegeben, welche sich mit<lb/>
derartigen Kranken und gleichzeitig mit Schwangeren, Kreis-<lb/>
senden und Wöchnerinnen beschäftigten, wodurch die Infec-<lb/>
tion von aussen geschehen konnte. Uebrigens sagt <hirendition="#g">Boer</hi><noteplace="foot"n="*)">Dr. Lucas Johann <hirendition="#g">Boer</hi>: »Abhandlungen und Versuche zur Be-<lb/>
gründung einer neuen, einfachen und naturgemässen Geburtshilfe.«<lb/>
Wien 1810.</note> im<lb/>
zweiten Bande Seite 3 von Hippocrates Folgendes: »Man be-<lb/>
wundert mit einer Art von Erstaunen und Verehrung, wenn<lb/>
man Puerperalfieber behandelt, die daran Verstorbenen öffnet,<lb/>
und den Gang der Krankheiten und das im Cadaver Aufgefun-<lb/>
dene mit dem zusammenhält, was Hippocrates vor mehr als<lb/>
2000 Jahren so treulich und treffend davon angeführt hat.</p><lb/><p>»Wäre jedem Jahrhunderte anstatt so vieler Systemge-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[206/0218]
von Paris bis Wien reichen, sondern dadurch, dass die Indi-
viduen im Pariser und Wiener Gebärhause gleichzeitig inficirt
werden. Wenn es wirklich atmosphärische Einflüsse wären,
welche von Paris bis Wien reichen, so würden ja nicht blos
die Wöchnerinnen des Pariser und Wiener Gebärhauses er-
kranken, sondern die Wöchnerinnen der zwischen Paris und
Wien wohnenden Bevölkerung müssten das gleiche Schicksal
theilen; dem widerspricht aber die Erfahrung, welche lehrt,
dass selbst die Wöchnerinnen der Stadt sich eines guten Ge-
sundheitszustandes erfreuen, in dessen Gebärhaus die Wöch-
nerinnen dem Kindbettfieber in grosser Anzahl zum Opfer
fallen.
Für unsern Zweck ist es vollkommen gleichgiltig, ob die
bei Hippocrates angeführten Fälle Kindbettfieber waren oder
nicht. Bei Hippocrates handelt es sich um wenige Fälle, und
diese wenigen Fälle konnten durch Selbstinfection entstanden
sein; oder wenn es Fälle von Infection von aussen waren, so
hat es ja auch zu Hippocrates’ Zeiten Kranke gegeben, deren
Krankheiten einen zersetzten Stoff erzeugten, und es hat
auch zu Hippocrates’ Zeiten Medicinal-Individuen männli-
chen und weiblichen Geschlechtes gegeben, welche sich mit
derartigen Kranken und gleichzeitig mit Schwangeren, Kreis-
senden und Wöchnerinnen beschäftigten, wodurch die Infec-
tion von aussen geschehen konnte. Uebrigens sagt Boer *) im
zweiten Bande Seite 3 von Hippocrates Folgendes: »Man be-
wundert mit einer Art von Erstaunen und Verehrung, wenn
man Puerperalfieber behandelt, die daran Verstorbenen öffnet,
und den Gang der Krankheiten und das im Cadaver Aufgefun-
dene mit dem zusammenhält, was Hippocrates vor mehr als
2000 Jahren so treulich und treffend davon angeführt hat.
»Wäre jedem Jahrhunderte anstatt so vieler Systemge-
*) Dr. Lucas Johann Boer: »Abhandlungen und Versuche zur Be-
gründung einer neuen, einfachen und naturgemässen Geburtshilfe.«
Wien 1810.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/218>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.