seiner Direction 160--190, während ich sie nie über 150 habe steigen lassen. Freilich bin ich ungeachtet aller Vorsicht nicht von kleineren Epi- oder Endemien verschont geblieben, und habe auch zweimal zu einer zeitweisen Schliessung der Anstalt flüchten müssen. Die zur Zeit solcher Endemien in Privatlocalitäten verlegten Gebärenden blieben mit Ausnahme eines Falles, der durch Kindbettfieber tödtlich endete, während des Wochenbettes sämmtlich gesund, oder erkrankten höch- stens in einem leichteren Grade. Bemerken will ich übrigens noch, dass bisweilen das Kindbettfieber sich zuerst in der Stadt oder Umgegend zeigte, und erst darnach in der Anstalt auftrat, oder dass selbst diese ganz verschont blieb."
Prof. Litzmann constatirt in diesem Briefe die Beobach- tung von Massregeln gegen die Infection. Er constatirt einen günstigen Gesundheitszustand der Wöchnerinnen, glaubt aber das dem Umstande zuschreiben zu müssen, dass er Vorsorge gegen die Ueberfüllung des Gebärhauses getroffen. Wir theilen diese Ansicht nicht, indem wir dafür halten, dass ohne die Massregeln gegen die Infection die Verhütung der Ueber- füllung erfolglos geblieben wäre. Als Michaelis, nachdem das Gebärhaus durch vier Monate geschlossen war, es wieder eröffnete, erkrankten die drei Angekommenen, obwohl das Gebärhaus gewiss gelüftet und mit drei Individuen gewiss nicht überfüllt war. Litzmann legt dem Umstande grosses Gewicht bei, dass er nur 150 Wöchnerinnen in einem Jahre vespflegte, während Michaelis deren 160--190 ver- pflegte; Kiwisch verpflegte in einem Jahre 102 Wöchnerinnen und davon starben 26.47 %, in Wien wurden 1822 3066 Wöch- nerinnen verpflegt, davon starben 0.84 %. Litzmann will nur eine Wöchnerin in einem Zimmer verpflegen, an der I. Gebär- klinik wurden 32 Wöchnerinnen in einem Zimmer verpflegt, und während der Beaufsichtigung der Chlorwaschungen durch mich hatten wir zwei Monate gar keine Todte, während die fünf ungünstigsten Monate vor den Chlorwaschungen solche waren, wo die Anzahl der verpflegten Wöchnerinnen eine
seiner Direction 160—190, während ich sie nie über 150 habe steigen lassen. Freilich bin ich ungeachtet aller Vorsicht nicht von kleineren Epi- oder Endemien verschont geblieben, und habe auch zweimal zu einer zeitweisen Schliessung der Anstalt flüchten müssen. Die zur Zeit solcher Endemien in Privatlocalitäten verlegten Gebärenden blieben mit Ausnahme eines Falles, der durch Kindbettfieber tödtlich endete, während des Wochenbettes sämmtlich gesund, oder erkrankten höch- stens in einem leichteren Grade. Bemerken will ich übrigens noch, dass bisweilen das Kindbettfieber sich zuerst in der Stadt oder Umgegend zeigte, und erst darnach in der Anstalt auftrat, oder dass selbst diese ganz verschont blieb.«
Prof. Litzmann constatirt in diesem Briefe die Beobach- tung von Massregeln gegen die Infection. Er constatirt einen günstigen Gesundheitszustand der Wöchnerinnen, glaubt aber das dem Umstande zuschreiben zu müssen, dass er Vorsorge gegen die Ueberfüllung des Gebärhauses getroffen. Wir theilen diese Ansicht nicht, indem wir dafür halten, dass ohne die Massregeln gegen die Infection die Verhütung der Ueber- füllung erfolglos geblieben wäre. Als Michaelis, nachdem das Gebärhaus durch vier Monate geschlossen war, es wieder eröffnete, erkrankten die drei Angekommenen, obwohl das Gebärhaus gewiss gelüftet und mit drei Individuen gewiss nicht überfüllt war. Litzmann legt dem Umstande grosses Gewicht bei, dass er nur 150 Wöchnerinnen in einem Jahre vespflegte, während Michaelis deren 160—190 ver- pflegte; Kiwisch verpflegte in einem Jahre 102 Wöchnerinnen und davon starben 26.47 %, in Wien wurden 1822 3066 Wöch- nerinnen verpflegt, davon starben 0.84 %. Litzmann will nur eine Wöchnerin in einem Zimmer verpflegen, an der I. Gebär- klinik wurden 32 Wöchnerinnen in einem Zimmer verpflegt, und während der Beaufsichtigung der Chlorwaschungen durch mich hatten wir zwei Monate gar keine Todte, während die fünf ungünstigsten Monate vor den Chlorwaschungen solche waren, wo die Anzahl der verpflegten Wöchnerinnen eine
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0302"n="290"/>
seiner Direction 160—190, während ich sie nie über 150<lb/>
habe steigen lassen. Freilich bin ich ungeachtet aller Vorsicht<lb/>
nicht von kleineren Epi- oder Endemien verschont geblieben,<lb/>
und habe auch zweimal zu einer zeitweisen Schliessung der<lb/>
Anstalt flüchten müssen. Die zur Zeit solcher Endemien in<lb/>
Privatlocalitäten verlegten Gebärenden blieben mit Ausnahme<lb/>
eines Falles, der durch Kindbettfieber tödtlich endete, während<lb/>
des Wochenbettes sämmtlich gesund, oder erkrankten höch-<lb/>
stens in einem leichteren Grade. Bemerken will ich übrigens<lb/>
noch, dass bisweilen das Kindbettfieber sich zuerst in der<lb/>
Stadt oder Umgegend zeigte, und erst darnach in der Anstalt<lb/>
auftrat, oder dass selbst diese ganz verschont blieb.«</p><lb/><p>Prof. Litzmann constatirt in diesem Briefe die Beobach-<lb/>
tung von Massregeln gegen die Infection. Er constatirt einen<lb/>
günstigen Gesundheitszustand der Wöchnerinnen, glaubt aber<lb/>
das dem Umstande zuschreiben zu müssen, dass er Vorsorge<lb/>
gegen die Ueberfüllung des Gebärhauses getroffen. Wir theilen<lb/>
diese Ansicht nicht, indem wir dafür halten, dass ohne die<lb/>
Massregeln gegen die Infection die Verhütung der Ueber-<lb/>
füllung erfolglos geblieben wäre. Als Michaelis, nachdem das<lb/>
Gebärhaus durch vier Monate geschlossen war, es wieder<lb/>
eröffnete, erkrankten die drei Angekommenen, obwohl das<lb/>
Gebärhaus gewiss gelüftet und mit drei Individuen gewiss<lb/>
nicht überfüllt war. Litzmann legt dem Umstande grosses<lb/>
Gewicht bei, dass er nur 150 Wöchnerinnen in einem<lb/>
Jahre vespflegte, während Michaelis deren 160—190 ver-<lb/>
pflegte; Kiwisch verpflegte in einem Jahre 102 Wöchnerinnen<lb/>
und davon starben 26.<hirendition="#sub">47</hi> %, in Wien wurden 1822 3066 Wöch-<lb/>
nerinnen verpflegt, davon starben 0.<hirendition="#sub">84</hi> %. Litzmann will nur<lb/>
eine Wöchnerin in einem Zimmer verpflegen, an der I. Gebär-<lb/>
klinik wurden 32 Wöchnerinnen in einem Zimmer verpflegt,<lb/>
und während der Beaufsichtigung der Chlorwaschungen durch<lb/>
mich hatten wir zwei Monate gar keine Todte, während die<lb/>
fünf ungünstigsten Monate vor den Chlorwaschungen solche<lb/>
waren, wo die Anzahl der verpflegten Wöchnerinnen eine<lb/></p></div></body></text></TEI>
[290/0302]
seiner Direction 160—190, während ich sie nie über 150
habe steigen lassen. Freilich bin ich ungeachtet aller Vorsicht
nicht von kleineren Epi- oder Endemien verschont geblieben,
und habe auch zweimal zu einer zeitweisen Schliessung der
Anstalt flüchten müssen. Die zur Zeit solcher Endemien in
Privatlocalitäten verlegten Gebärenden blieben mit Ausnahme
eines Falles, der durch Kindbettfieber tödtlich endete, während
des Wochenbettes sämmtlich gesund, oder erkrankten höch-
stens in einem leichteren Grade. Bemerken will ich übrigens
noch, dass bisweilen das Kindbettfieber sich zuerst in der
Stadt oder Umgegend zeigte, und erst darnach in der Anstalt
auftrat, oder dass selbst diese ganz verschont blieb.«
Prof. Litzmann constatirt in diesem Briefe die Beobach-
tung von Massregeln gegen die Infection. Er constatirt einen
günstigen Gesundheitszustand der Wöchnerinnen, glaubt aber
das dem Umstande zuschreiben zu müssen, dass er Vorsorge
gegen die Ueberfüllung des Gebärhauses getroffen. Wir theilen
diese Ansicht nicht, indem wir dafür halten, dass ohne die
Massregeln gegen die Infection die Verhütung der Ueber-
füllung erfolglos geblieben wäre. Als Michaelis, nachdem das
Gebärhaus durch vier Monate geschlossen war, es wieder
eröffnete, erkrankten die drei Angekommenen, obwohl das
Gebärhaus gewiss gelüftet und mit drei Individuen gewiss
nicht überfüllt war. Litzmann legt dem Umstande grosses
Gewicht bei, dass er nur 150 Wöchnerinnen in einem
Jahre vespflegte, während Michaelis deren 160—190 ver-
pflegte; Kiwisch verpflegte in einem Jahre 102 Wöchnerinnen
und davon starben 26.47 %, in Wien wurden 1822 3066 Wöch-
nerinnen verpflegt, davon starben 0.84 %. Litzmann will nur
eine Wöchnerin in einem Zimmer verpflegen, an der I. Gebär-
klinik wurden 32 Wöchnerinnen in einem Zimmer verpflegt,
und während der Beaufsichtigung der Chlorwaschungen durch
mich hatten wir zwei Monate gar keine Todte, während die
fünf ungünstigsten Monate vor den Chlorwaschungen solche
waren, wo die Anzahl der verpflegten Wöchnerinnen eine
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/302>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.