sache dieser Todesfälle ermitteln können, aber ob der zersetzte Stoff auf eine oder die andere Weise den Individuen in grösse- rer oder geringerer Ausdehnung eingebracht werde, wodurch nicht nur die Erkrankungen, sondern auch ob viele oder wenige, das heisst die Schwankungen der Erkrankungen abhängig sind, das ist eine für Scanzoni nicht nachweisbare Ursache, sowie er keine Anhaltspunkte hat, um diese Schwankungen zu erklären.
Scanzoni sagt ferner: "Nicht unerwähnt können wir es übrigens lassen, dass auf die Prager Gebäranstalt die von Dr. Semmelweis aufgestellte, von Prof. Skoda verfochtene Hypo- these schon deshalb keine Anwendung finden könne, weil da- selbst einestheils nur äusserst wenige Mütter nach der Ent- bindung, während welcher die zur Aufnahme deletaerer Stoffe disponirenden Verletzungen der Genitalien entstehen, unter- sucht werden, anderentheils die im Gebärhaus prakticirenden Schüler nur ausnahmsweise, oft im Verlaufe von mehreren Tagen gar nicht mit Leichen in Berührung kommen, was ge- wiss jeder mit den Verhältnissen unserer Anstalt Vertraute bestätigen wird."
Der Leser hat gesehen, dass bisher Scanzoni immer von einer Entdeckung gesprochen, und dass er den Thatsachen und Schlüssen, auf welche diese Entdeckung basirt, keinen andern Vorwurf machte, als den, dass selbe nicht neu seien; dass die Thatsachen nicht wahr, oder dass die Schlüsse irrig seien, hat Scanzoni nirgends nachgewiesen. Nur das letzte Resultat dieser Thatsachen und Schlüsse, nämlich dass das Kindbett- fieber durch die Resorption eines zersetzten Stoffes entstehe, hat Scanzoni durch die Experimente, die er in Prag gemacht, nicht bestätiget gefunden; seine Experimente haben dargethan, dass im Monate März und April 1848 im Prager Gebärhause 31 Wöchnerinnen zufällig gestorben seien, dass dieses zufällige Sterben im Mai durch einen günstigeren Genius epidemicus auf Eine Todte beschränkt wurde, und dass im Juni, Juli und August 19 Wöchnerinnen ohne irgend eine nachweisbare Ursache verschieden seien.
sache dieser Todesfälle ermitteln können, aber ob der zersetzte Stoff auf eine oder die andere Weise den Individuen in grösse- rer oder geringerer Ausdehnung eingebracht werde, wodurch nicht nur die Erkrankungen, sondern auch ob viele oder wenige, das heisst die Schwankungen der Erkrankungen abhängig sind, das ist eine für Scanzoni nicht nachweisbare Ursache, sowie er keine Anhaltspunkte hat, um diese Schwankungen zu erklären.
Scanzoni sagt ferner: »Nicht unerwähnt können wir es übrigens lassen, dass auf die Prager Gebäranstalt die von Dr. Semmelweis aufgestellte, von Prof. Skoda verfochtene Hypo- these schon deshalb keine Anwendung finden könne, weil da- selbst einestheils nur äusserst wenige Mütter nach der Ent- bindung, während welcher die zur Aufnahme deletaerer Stoffe disponirenden Verletzungen der Genitalien entstehen, unter- sucht werden, anderentheils die im Gebärhaus prakticirenden Schüler nur ausnahmsweise, oft im Verlaufe von mehreren Tagen gar nicht mit Leichen in Berührung kommen, was ge- wiss jeder mit den Verhältnissen unserer Anstalt Vertraute bestätigen wird.«
Der Leser hat gesehen, dass bisher Scanzoni immer von einer Entdeckung gesprochen, und dass er den Thatsachen und Schlüssen, auf welche diese Entdeckung basirt, keinen andern Vorwurf machte, als den, dass selbe nicht neu seien; dass die Thatsachen nicht wahr, oder dass die Schlüsse irrig seien, hat Scanzoni nirgends nachgewiesen. Nur das letzte Resultat dieser Thatsachen und Schlüsse, nämlich dass das Kindbett- fieber durch die Resorption eines zersetzten Stoffes entstehe, hat Scanzoni durch die Experimente, die er in Prag gemacht, nicht bestätiget gefunden; seine Experimente haben dargethan, dass im Monate März und April 1848 im Prager Gebärhause 31 Wöchnerinnen zufällig gestorben seien, dass dieses zufällige Sterben im Mai durch einen günstigeren Genius epidemicus auf Eine Todte beschränkt wurde, und dass im Juni, Juli und August 19 Wöchnerinnen ohne irgend eine nachweisbare Ursache verschieden seien.
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sache dieser Todesfälle ermitteln können, aber ob der zersetzte
Stoff auf eine oder die andere Weise den Individuen in grösse-
rer oder geringerer Ausdehnung eingebracht werde, wodurch
nicht nur die Erkrankungen, sondern auch ob viele oder wenige,
das heisst die Schwankungen der Erkrankungen abhängig sind,
das ist eine für Scanzoni nicht nachweisbare Ursache, sowie er
keine Anhaltspunkte hat, um diese Schwankungen zu erklären.
Scanzoni sagt ferner: »Nicht unerwähnt können wir es
übrigens lassen, dass auf die Prager Gebäranstalt die von Dr.
Semmelweis aufgestellte, von Prof. Skoda verfochtene Hypo-
these schon deshalb keine Anwendung finden könne, weil da-
selbst einestheils nur äusserst wenige Mütter nach der Ent-
bindung, während welcher die zur Aufnahme deletaerer Stoffe
disponirenden Verletzungen der Genitalien entstehen, unter-
sucht werden, anderentheils die im Gebärhaus prakticirenden
Schüler nur ausnahmsweise, oft im Verlaufe von mehreren
Tagen gar nicht mit Leichen in Berührung kommen, was ge-
wiss jeder mit den Verhältnissen unserer Anstalt Vertraute
bestätigen wird.«
Der Leser hat gesehen, dass bisher Scanzoni immer von
einer Entdeckung gesprochen, und dass er den Thatsachen und
Schlüssen, auf welche diese Entdeckung basirt, keinen andern
Vorwurf machte, als den, dass selbe nicht neu seien; dass die
Thatsachen nicht wahr, oder dass die Schlüsse irrig seien,
hat Scanzoni nirgends nachgewiesen. Nur das letzte Resultat
dieser Thatsachen und Schlüsse, nämlich dass das Kindbett-
fieber durch die Resorption eines zersetzten Stoffes entstehe,
hat Scanzoni durch die Experimente, die er in Prag gemacht,
nicht bestätiget gefunden; seine Experimente haben dargethan,
dass im Monate März und April 1848 im Prager Gebärhause
31 Wöchnerinnen zufällig gestorben seien, dass dieses zufällige
Sterben im Mai durch einen günstigeren Genius epidemicus
auf Eine Todte beschränkt wurde, und dass im Juni, Juli und
August 19 Wöchnerinnen ohne irgend eine nachweisbare
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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/345>, abgerufen am 22.11.2024.
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