Deshalb nennt er nun meine Entdeckung eine Hypothese. Wir bleiben dabei, dass wir eine Entdeckung gemacht, und glauben den Grund, warum unsere in Wien gemachte Ent- deckung in Prag zur Hypothese degradirt wurde, darin zu finden, dass Scanzoni über die wesentlichsten Punkte dieser Entdeckung nicht aufgeklärt ist, wir haben schon nachgewiesen, dass Scanzoni von den drei Quellen des zersetzten Stoffes nur eine kennt; und selbst mit dieser scheint er nicht ganz im Reinen zu sein, denn er sagt, dass seine Schüler oft im Ver- laufe von mehreren Tagen nicht mit Leichen in Berührung kommen. Ein jeder Schüler bleibt 2 Monate auf dem praktisch- geburtshilflichen Curse; in Wien sind 42 Schüler, wie viele in Prag seien, wissen wir nicht, nehmen aber willkürlich an, es seien deren 20; wenn diese 20 Schüler nur wöchentlich einmal mit einer Leiche in Berührung kommen, so gibt das 160 Be- rührungen für 2 Monate und 960 für 1 Jahr, hinreichend, um die grossartigen Erfahrungen Scanzoni's in Bezug auf die An- zahl der beobachteten Puerperalfieberfälle im Prager Gebär- hause zu erklären, und hinreichend, um 31 Wöchnerinnen zu- fällig und 19 ohne nachweisbare Ursache sterben zu lassen, bei schlecht beaufsichtigten Chlorwaschungen.
Und wenn Scanzoni sagt, dass diese Hypothese auf das Prager Gebärhaus auch deshalb keine Anwendung finden könne, weil daselbst nur äusserst wenige Mütter nach der Ent- bindung, während welcher die zur Aufnahme deletaerer Stoffe disponirenden Verletzungen der Genitalien entstehen, so kön- nen wir Scanzoni versichern, dass auch in Wien äusserst wenige Mütter nach der Entbindung untersucht werden, aber durch diesen Ausspruch hat Scanzoni bewiesen, dass er im Irrthum ist über die Stelle, wo der zersetzte Stoff resorbirt wird, und über die Zeit, wann der zersetzte Stoff resorbirt wird.
Die Stelle, wo der zersetzte Stoff resorbirt wird, ist die innere Fläche des Uterus vom inneren Muttermunde nach auf- wärts, wo der Uterus in Folge der Schwangerschaft die Schleimhaut verloren; durch Verletzungen kann allerdings eine
Deshalb nennt er nun meine Entdeckung eine Hypothese. Wir bleiben dabei, dass wir eine Entdeckung gemacht, und glauben den Grund, warum unsere in Wien gemachte Ent- deckung in Prag zur Hypothese degradirt wurde, darin zu finden, dass Scanzoni über die wesentlichsten Punkte dieser Entdeckung nicht aufgeklärt ist, wir haben schon nachgewiesen, dass Scanzoni von den drei Quellen des zersetzten Stoffes nur eine kennt; und selbst mit dieser scheint er nicht ganz im Reinen zu sein, denn er sagt, dass seine Schüler oft im Ver- laufe von mehreren Tagen nicht mit Leichen in Berührung kommen. Ein jeder Schüler bleibt 2 Monate auf dem praktisch- geburtshilflichen Curse; in Wien sind 42 Schüler, wie viele in Prag seien, wissen wir nicht, nehmen aber willkürlich an, es seien deren 20; wenn diese 20 Schüler nur wöchentlich einmal mit einer Leiche in Berührung kommen, so gibt das 160 Be- rührungen für 2 Monate und 960 für 1 Jahr, hinreichend, um die grossartigen Erfahrungen Scanzoni’s in Bezug auf die An- zahl der beobachteten Puerperalfieberfälle im Prager Gebär- hause zu erklären, und hinreichend, um 31 Wöchnerinnen zu- fällig und 19 ohne nachweisbare Ursache sterben zu lassen, bei schlecht beaufsichtigten Chlorwaschungen.
Und wenn Scanzoni sagt, dass diese Hypothese auf das Prager Gebärhaus auch deshalb keine Anwendung finden könne, weil daselbst nur äusserst wenige Mütter nach der Ent- bindung, während welcher die zur Aufnahme deletaerer Stoffe disponirenden Verletzungen der Genitalien entstehen, so kön- nen wir Scanzoni versichern, dass auch in Wien äusserst wenige Mütter nach der Entbindung untersucht werden, aber durch diesen Ausspruch hat Scanzoni bewiesen, dass er im Irrthum ist über die Stelle, wo der zersetzte Stoff resorbirt wird, und über die Zeit, wann der zersetzte Stoff resorbirt wird.
Die Stelle, wo der zersetzte Stoff resorbirt wird, ist die innere Fläche des Uterus vom inneren Muttermunde nach auf- wärts, wo der Uterus in Folge der Schwangerschaft die Schleimhaut verloren; durch Verletzungen kann allerdings eine
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Deshalb nennt er nun meine Entdeckung eine Hypothese.
Wir bleiben dabei, dass wir eine Entdeckung gemacht, und
glauben den Grund, warum unsere in Wien gemachte Ent-
deckung in Prag zur Hypothese degradirt wurde, darin zu
finden, dass Scanzoni über die wesentlichsten Punkte dieser
Entdeckung nicht aufgeklärt ist, wir haben schon nachgewiesen,
dass Scanzoni von den drei Quellen des zersetzten Stoffes nur
eine kennt; und selbst mit dieser scheint er nicht ganz im
Reinen zu sein, denn er sagt, dass seine Schüler oft im Ver-
laufe von mehreren Tagen nicht mit Leichen in Berührung
kommen. Ein jeder Schüler bleibt 2 Monate auf dem praktisch-
geburtshilflichen Curse; in Wien sind 42 Schüler, wie viele in
Prag seien, wissen wir nicht, nehmen aber willkürlich an, es
seien deren 20; wenn diese 20 Schüler nur wöchentlich einmal
mit einer Leiche in Berührung kommen, so gibt das 160 Be-
rührungen für 2 Monate und 960 für 1 Jahr, hinreichend, um
die grossartigen Erfahrungen Scanzoni’s in Bezug auf die An-
zahl der beobachteten Puerperalfieberfälle im Prager Gebär-
hause zu erklären, und hinreichend, um 31 Wöchnerinnen zu-
fällig und 19 ohne nachweisbare Ursache sterben zu lassen,
bei schlecht beaufsichtigten Chlorwaschungen.
Und wenn Scanzoni sagt, dass diese Hypothese auf das
Prager Gebärhaus auch deshalb keine Anwendung finden
könne, weil daselbst nur äusserst wenige Mütter nach der Ent-
bindung, während welcher die zur Aufnahme deletaerer Stoffe
disponirenden Verletzungen der Genitalien entstehen, so kön-
nen wir Scanzoni versichern, dass auch in Wien äusserst
wenige Mütter nach der Entbindung untersucht werden, aber
durch diesen Ausspruch hat Scanzoni bewiesen, dass er im
Irrthum ist über die Stelle, wo der zersetzte Stoff resorbirt
wird, und über die Zeit, wann der zersetzte Stoff resorbirt wird.
Die Stelle, wo der zersetzte Stoff resorbirt wird, ist die
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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/346>, abgerufen am 22.11.2024.
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