hat schon als Assistent gegen mich geschrieben, Prof. Streng, gegenwärtig Professor der Geburtshilfe für Hebammen, hat sich in seinem Bericht über die Ergebnisse seiner Klinik als Epidemiker der Welt vorgeführt. Wir werden es nicht ver- säumen, die Ansichten dieser Gegner zu betrachten.
Scanzoni glaubt seine Aufgabe, nämlich Erforschung der wahren Ursache des Puerperalfiebers, auch dadurch zu lösen, dass er sämmtlichen angestellten und Privatärzten Prag's den Auftrag ertheilt, die Ursache des von ihnen in ihrer Privat- Praxis behandelten Puerperalfiebers den Bezirksvorständen zu melden; Scanzoni setzt also voraus, dass die angestellten und die Privatärzte Prag's mehr wissen über die Aetiologie des Kindbettfiebers als er selbst, denn wenn man gerade nicht scherzen will, frägt man in der Regel nur solche um Rath, bei denen man ein besseres Wissen voraussetzt. Ich muss gestehen, dass ich diese Ansicht Scanzoni's nicht theile, ich glaube viel- mehr, dass die angestellten und Privatärzte Prag's das berich- tet hätten, was selbe in der Schule gelernt. Sie hätten nämlich berichtet, so und so viele sind in Folge des Genius epidemicus erkrankt und gestorben, die Frau N. N. ist am Puerperalfieber erkrankt, weil sie zu frühe das Bett verlassen, Frau N. N. ist erkrankt, weil sie einen Diaetfehler begangen, Frau N. N. ist erkrankt, weil sie zu viele Visiten empfangen etc. etc. Von Dingen, die beim Puerperalfieber keine Rücksicht verdienen, haben selbe in der Schule natürlich nichts gehört, weil in der Schule die Zeit mit heilsameren Dingen zugebracht wird.
Die angestellten und Privatärzte Prag's hätten es daher in ihre Berichte nicht aufgenommen, dass die Hebamme der Frau, welche zu viele Visiten empfangen, zur selben gerufen wurde, als sie eben nach Hause kam von einer kranken Wöch- nerin, der sie wegen Endometritis septica Injectionen gemacht; bei der Frau, welche einen Diaetfehler begangen, hätte man als überflüssig nicht erwähnt, dass der gerufene Geburtshelfer eine halbe Stunde früher bei einer andern Frau durch Unter- suchung einen verjauchenden Medullarkrebs der Gebärmutter
hat schon als Assistent gegen mich geschrieben, Prof. Streng, gegenwärtig Professor der Geburtshilfe für Hebammen, hat sich in seinem Bericht über die Ergebnisse seiner Klinik als Epidemiker der Welt vorgeführt. Wir werden es nicht ver- säumen, die Ansichten dieser Gegner zu betrachten.
Scanzoni glaubt seine Aufgabe, nämlich Erforschung der wahren Ursache des Puerperalfiebers, auch dadurch zu lösen, dass er sämmtlichen angestellten und Privatärzten Prag’s den Auftrag ertheilt, die Ursache des von ihnen in ihrer Privat- Praxis behandelten Puerperalfiebers den Bezirksvorständen zu melden; Scanzoni setzt also voraus, dass die angestellten und die Privatärzte Prag’s mehr wissen über die Aetiologie des Kindbettfiebers als er selbst, denn wenn man gerade nicht scherzen will, frägt man in der Regel nur solche um Rath, bei denen man ein besseres Wissen voraussetzt. Ich muss gestehen, dass ich diese Ansicht Scanzoni’s nicht theile, ich glaube viel- mehr, dass die angestellten und Privatärzte Prag’s das berich- tet hätten, was selbe in der Schule gelernt. Sie hätten nämlich berichtet, so und so viele sind in Folge des Genius epidemicus erkrankt und gestorben, die Frau N. N. ist am Puerperalfieber erkrankt, weil sie zu frühe das Bett verlassen, Frau N. N. ist erkrankt, weil sie einen Diaetfehler begangen, Frau N. N. ist erkrankt, weil sie zu viele Visiten empfangen etc. etc. Von Dingen, die beim Puerperalfieber keine Rücksicht verdienen, haben selbe in der Schule natürlich nichts gehört, weil in der Schule die Zeit mit heilsameren Dingen zugebracht wird.
Die angestellten und Privatärzte Prag’s hätten es daher in ihre Berichte nicht aufgenommen, dass die Hebamme der Frau, welche zu viele Visiten empfangen, zur selben gerufen wurde, als sie eben nach Hause kam von einer kranken Wöch- nerin, der sie wegen Endometritis septica Injectionen gemacht; bei der Frau, welche einen Diaetfehler begangen, hätte man als überflüssig nicht erwähnt, dass der gerufene Geburtshelfer eine halbe Stunde früher bei einer andern Frau durch Unter- suchung einen verjauchenden Medullarkrebs der Gebärmutter
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hat schon als Assistent gegen mich geschrieben, Prof. Streng,
gegenwärtig Professor der Geburtshilfe für Hebammen, hat
sich in seinem Bericht über die Ergebnisse seiner Klinik als
Epidemiker der Welt vorgeführt. Wir werden es nicht ver-
säumen, die Ansichten dieser Gegner zu betrachten.
Scanzoni glaubt seine Aufgabe, nämlich Erforschung der
wahren Ursache des Puerperalfiebers, auch dadurch zu lösen,
dass er sämmtlichen angestellten und Privatärzten Prag’s den
Auftrag ertheilt, die Ursache des von ihnen in ihrer Privat-
Praxis behandelten Puerperalfiebers den Bezirksvorständen
zu melden; Scanzoni setzt also voraus, dass die angestellten
und die Privatärzte Prag’s mehr wissen über die Aetiologie
des Kindbettfiebers als er selbst, denn wenn man gerade nicht
scherzen will, frägt man in der Regel nur solche um Rath, bei
denen man ein besseres Wissen voraussetzt. Ich muss gestehen,
dass ich diese Ansicht Scanzoni’s nicht theile, ich glaube viel-
mehr, dass die angestellten und Privatärzte Prag’s das berich-
tet hätten, was selbe in der Schule gelernt. Sie hätten nämlich
berichtet, so und so viele sind in Folge des Genius epidemicus
erkrankt und gestorben, die Frau N. N. ist am Puerperalfieber
erkrankt, weil sie zu frühe das Bett verlassen, Frau N. N. ist
erkrankt, weil sie einen Diaetfehler begangen, Frau N. N. ist
erkrankt, weil sie zu viele Visiten empfangen etc. etc. Von
Dingen, die beim Puerperalfieber keine Rücksicht verdienen,
haben selbe in der Schule natürlich nichts gehört, weil in der
Schule die Zeit mit heilsameren Dingen zugebracht wird.
Die angestellten und Privatärzte Prag’s hätten es daher
in ihre Berichte nicht aufgenommen, dass die Hebamme der
Frau, welche zu viele Visiten empfangen, zur selben gerufen
wurde, als sie eben nach Hause kam von einer kranken Wöch-
nerin, der sie wegen Endometritis septica Injectionen gemacht;
bei der Frau, welche einen Diaetfehler begangen, hätte man
als überflüssig nicht erwähnt, dass der gerufene Geburtshelfer
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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/362>, abgerufen am 22.11.2024.
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