Die medicinische Facultät zu Würzburg kann sich bei Scanzoni bedanken, dass er sie so auf's Eis geführt.
Dr. Hermann Lebert, Professor in Breslau.
Wir würden Lebert nicht anführen, da er zu unbedeu- tend als Opponent ist, als dass es sich der Mühe lohnen würde, ihn zu berücksichtigen; aber Lebert ist ein Beleg dafür, dass Kiwisch nicht das Recht hat, zu behaupten, er habe schon 1842 gewusst, dass das Puerperalfieber so entstehe, wie ich es erst 1847 lehre, denn Lebert sein Schüler weiss noch 1859 nicht, wie das Puerperalfieber entsteht. Lebert definirt das Kindbettfieber noch 1859 folgender Weise: "Das Puerperal- fieber ist eine fieberhafte, den Wöchnerinnen eigenthümliche Krankheit, welche miasmatischen Ursprungs, zuletzt ein Blut- leiden setzt, das nach seiner verschiedenen Eigenthümlichkeit mannigfache örtliche (meist entzündliche) Erscheinungen her- vorruft, welcher jedoch das gemeinschaftliche Merkmal zu- kommt, dass sie sich im Krankheitsbeginne vorzugsweise im Gebärorgane localisiren, und selten gleichzeitig, meist erst später, in jenen Gebilden des übrigen Organismus auftreten, welche mit der zunächst ergriffenen Parthie der Gebärmutter organisch verbunden oder anatomisch-analog sind." Und über das, was Kiwisch schon im Jahre 1842 gewusst haben will, über meine Lehre nämlich, spricht sich Lebert folgenderweise aus: "Ob directe Inoculation durch Leichengift der an diesem Uebel Verstorbenen stattfinden könne, wie dies Semmelweis förmlich zu einem System erhoben hat, ist zweifelhaft; jeden- falls wäre auch dieses nur eine der vielen Möglichkeiten der Uebertragung." Wenn Lebert in die Sache nicht gehörig ein- geweiht ist, so wäre es besser gewesen, zu schweigen, als sich ein Urtheil anzumassen; oder wusste Lebert, dass die Sterb- lichkeit der I. Klinik, welche bis 518 Todte im Jahre stieg, durch Verhütung der directen Inoculation bis auf 45 Todte im Jahre 1848 herabgedrückt wurde, und hält es dennoch für zweifelhaft, ob das Puerperalfieber durch directe Inoculation
Die medicinische Facultät zu Würzburg kann sich bei Scanzoni bedanken, dass er sie so auf’s Eis geführt.
Dr. Hermann Lebert, Professor in Breslau.
Wir würden Lebert nicht anführen, da er zu unbedeu- tend als Opponent ist, als dass es sich der Mühe lohnen würde, ihn zu berücksichtigen; aber Lebert ist ein Beleg dafür, dass Kiwisch nicht das Recht hat, zu behaupten, er habe schon 1842 gewusst, dass das Puerperalfieber so entstehe, wie ich es erst 1847 lehre, denn Lebert sein Schüler weiss noch 1859 nicht, wie das Puerperalfieber entsteht. Lebert definirt das Kindbettfieber noch 1859 folgender Weise: »Das Puerperal- fieber ist eine fieberhafte, den Wöchnerinnen eigenthümliche Krankheit, welche miasmatischen Ursprungs, zuletzt ein Blut- leiden setzt, das nach seiner verschiedenen Eigenthümlichkeit mannigfache örtliche (meist entzündliche) Erscheinungen her- vorruft, welcher jedoch das gemeinschaftliche Merkmal zu- kommt, dass sie sich im Krankheitsbeginne vorzugsweise im Gebärorgane localisiren, und selten gleichzeitig, meist erst später, in jenen Gebilden des übrigen Organismus auftreten, welche mit der zunächst ergriffenen Parthie der Gebärmutter organisch verbunden oder anatomisch-analog sind.« Und über das, was Kiwisch schon im Jahre 1842 gewusst haben will, über meine Lehre nämlich, spricht sich Lebert folgenderweise aus: »Ob directe Inoculation durch Leichengift der an diesem Uebel Verstorbenen stattfinden könne, wie dies Semmelweis förmlich zu einem System erhoben hat, ist zweifelhaft; jeden- falls wäre auch dieses nur eine der vielen Möglichkeiten der Uebertragung.« Wenn Lebert in die Sache nicht gehörig ein- geweiht ist, so wäre es besser gewesen, zu schweigen, als sich ein Urtheil anzumassen; oder wusste Lebert, dass die Sterb- lichkeit der I. Klinik, welche bis 518 Todte im Jahre stieg, durch Verhütung der directen Inoculation bis auf 45 Todte im Jahre 1848 herabgedrückt wurde, und hält es dennoch für zweifelhaft, ob das Puerperalfieber durch directe Inoculation
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Die medicinische Facultät zu Würzburg kann sich bei
Scanzoni bedanken, dass er sie so auf’s Eis geführt.
Dr. Hermann Lebert, Professor in Breslau.
Wir würden Lebert nicht anführen, da er zu unbedeu-
tend als Opponent ist, als dass es sich der Mühe lohnen würde,
ihn zu berücksichtigen; aber Lebert ist ein Beleg dafür, dass
Kiwisch nicht das Recht hat, zu behaupten, er habe schon
1842 gewusst, dass das Puerperalfieber so entstehe, wie ich
es erst 1847 lehre, denn Lebert sein Schüler weiss noch 1859
nicht, wie das Puerperalfieber entsteht. Lebert definirt das
Kindbettfieber noch 1859 folgender Weise: »Das Puerperal-
fieber ist eine fieberhafte, den Wöchnerinnen eigenthümliche
Krankheit, welche miasmatischen Ursprungs, zuletzt ein Blut-
leiden setzt, das nach seiner verschiedenen Eigenthümlichkeit
mannigfache örtliche (meist entzündliche) Erscheinungen her-
vorruft, welcher jedoch das gemeinschaftliche Merkmal zu-
kommt, dass sie sich im Krankheitsbeginne vorzugsweise im
Gebärorgane localisiren, und selten gleichzeitig, meist erst
später, in jenen Gebilden des übrigen Organismus auftreten,
welche mit der zunächst ergriffenen Parthie der Gebärmutter
organisch verbunden oder anatomisch-analog sind.« Und über
das, was Kiwisch schon im Jahre 1842 gewusst haben will,
über meine Lehre nämlich, spricht sich Lebert folgenderweise
aus: »Ob directe Inoculation durch Leichengift der an diesem
Uebel Verstorbenen stattfinden könne, wie dies Semmelweis
förmlich zu einem System erhoben hat, ist zweifelhaft; jeden-
falls wäre auch dieses nur eine der vielen Möglichkeiten der
Uebertragung.« Wenn Lebert in die Sache nicht gehörig ein-
geweiht ist, so wäre es besser gewesen, zu schweigen, als
sich ein Urtheil anzumassen; oder wusste Lebert, dass die Sterb-
lichkeit der I. Klinik, welche bis 518 Todte im Jahre stieg,
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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/448>, abgerufen am 23.11.2024.
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