die Behauptung, dass das Puerperalfieber ausser dem Gebär- hause nicht epidemisch vorkommt, einige ernste Einwendungen machen. Ich kann aus meiner Praxis eine hinreichende Anzahl von Fällen aufzählen (und gewiss können es Viele mit mir), wo die Erkrankung sowohl als der rapide Verlauf und die unauf- haltsame Tödtlichkeit die grösste Aehnlichkeit, ja volle Identität mit jenen Fällen darbieten, die während einer verheerenden Spitalendemie vorkommen." Ich glaube es Lumpe auf's Wort, dass er eine hinreichende Anzahl von Puerperalfieberfällen in seiner Privatpraxis hatte, wir haben ja gesehen, dass Lumpe als Assistent beinahe täglich eine Todte geliefert und im Jahre 1850, nachdem im Jahre 1847 das puerperale Columbus-Ei entdeckt wurde, findet er, dass die pia desideria der Humanität der unerbittlichen Logik und der exacten Wissenschaft gegen- über nicht Stand halten, ein Geburtshelfer mit solcher exacten Wissenschaft muss einer hinreichenden Zahl Wöchnerinnen anstatt Rettung Verderben bringen.
Falls Lumpe verbesserlich ist, wird eine Zeit kommen, wo er, wenn auch nicht der Welt, doch sich selbst wird ge- stehen müssen, Semmel weis hat Recht, wie selten im Vergleiche mit früher beobachte ich jetzt das Puerperalfieber.
Nachdem Dr. Lumpe gesagt, dass das Leichengift durch 8 Monate kein Gift war, und dass es dann wieder eines war, wofür es in der ganzen Natur keine Analogie gebe, nachdem er nachgewiesen, dass die Sterblichkeit desto grösser war, je geringer die Gelegenheit zur Verunreinigung der Hände war, und dass die Sterblichkeit desto kleiner war, je grösser die Möglichkeit zur Verunreinigung der Hände. Nachdem er nach- gewiesen, dass gerade die am häufigst Untersuchten am sel- tensten sterben, zieht er den Schluss, dass er meine Lehre ad absurdum gebracht, und dass er in alle Ewigkeit behaupten wird, dass der mit Leichengift imprägnirte untersuchende Finger nicht der eigentliche Faden sei, an dem die Infections- krystalle anschiessen. Nachdem Lumpe das alles klar bewiesen, sagt er Folgendes: "Wenn ich durch alles bisher Gesagte die
die Behauptung, dass das Puerperalfieber ausser dem Gebär- hause nicht epidemisch vorkommt, einige ernste Einwendungen machen. Ich kann aus meiner Praxis eine hinreichende Anzahl von Fällen aufzählen (und gewiss können es Viele mit mir), wo die Erkrankung sowohl als der rapide Verlauf und die unauf- haltsame Tödtlichkeit die grösste Aehnlichkeit, ja volle Identität mit jenen Fällen darbieten, die während einer verheerenden Spitalendemie vorkommen.« Ich glaube es Lumpe auf’s Wort, dass er eine hinreichende Anzahl von Puerperalfieberfällen in seiner Privatpraxis hatte, wir haben ja gesehen, dass Lumpe als Assistent beinahe täglich eine Todte geliefert und im Jahre 1850, nachdem im Jahre 1847 das puerperale Columbus-Ei entdeckt wurde, findet er, dass die pia desideria der Humanität der unerbittlichen Logik und der exacten Wissenschaft gegen- über nicht Stand halten, ein Geburtshelfer mit solcher exacten Wissenschaft muss einer hinreichenden Zahl Wöchnerinnen anstatt Rettung Verderben bringen.
Falls Lumpe verbesserlich ist, wird eine Zeit kommen, wo er, wenn auch nicht der Welt, doch sich selbst wird ge- stehen müssen, Semmel weis hat Recht, wie selten im Vergleiche mit früher beobachte ich jetzt das Puerperalfieber.
Nachdem Dr. Lumpe gesagt, dass das Leichengift durch 8 Monate kein Gift war, und dass es dann wieder eines war, wofür es in der ganzen Natur keine Analogie gebe, nachdem er nachgewiesen, dass die Sterblichkeit desto grösser war, je geringer die Gelegenheit zur Verunreinigung der Hände war, und dass die Sterblichkeit desto kleiner war, je grösser die Möglichkeit zur Verunreinigung der Hände. Nachdem er nach- gewiesen, dass gerade die am häufigst Untersuchten am sel- tensten sterben, zieht er den Schluss, dass er meine Lehre ad absurdum gebracht, und dass er in alle Ewigkeit behaupten wird, dass der mit Leichengift imprägnirte untersuchende Finger nicht der eigentliche Faden sei, an dem die Infections- krystalle anschiessen. Nachdem Lumpe das alles klar bewiesen, sagt er Folgendes: »Wenn ich durch alles bisher Gesagte die
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die Behauptung, dass das Puerperalfieber ausser dem Gebär-
hause nicht epidemisch vorkommt, einige ernste Einwendungen
machen. Ich kann aus meiner Praxis eine hinreichende Anzahl
von Fällen aufzählen (und gewiss können es Viele mit mir), wo
die Erkrankung sowohl als der rapide Verlauf und die unauf-
haltsame Tödtlichkeit die grösste Aehnlichkeit, ja volle Identität
mit jenen Fällen darbieten, die während einer verheerenden
Spitalendemie vorkommen.« Ich glaube es Lumpe auf’s Wort,
dass er eine hinreichende Anzahl von Puerperalfieberfällen in
seiner Privatpraxis hatte, wir haben ja gesehen, dass Lumpe
als Assistent beinahe täglich eine Todte geliefert und im Jahre
1850, nachdem im Jahre 1847 das puerperale Columbus-Ei
entdeckt wurde, findet er, dass die pia desideria der Humanität
der unerbittlichen Logik und der exacten Wissenschaft gegen-
über nicht Stand halten, ein Geburtshelfer mit solcher exacten
Wissenschaft muss einer hinreichenden Zahl Wöchnerinnen
anstatt Rettung Verderben bringen.
Falls Lumpe verbesserlich ist, wird eine Zeit kommen,
wo er, wenn auch nicht der Welt, doch sich selbst wird ge-
stehen müssen, Semmel weis hat Recht, wie selten im Vergleiche
mit früher beobachte ich jetzt das Puerperalfieber.
Nachdem Dr. Lumpe gesagt, dass das Leichengift durch
8 Monate kein Gift war, und dass es dann wieder eines war,
wofür es in der ganzen Natur keine Analogie gebe, nachdem
er nachgewiesen, dass die Sterblichkeit desto grösser war, je
geringer die Gelegenheit zur Verunreinigung der Hände war,
und dass die Sterblichkeit desto kleiner war, je grösser die
Möglichkeit zur Verunreinigung der Hände. Nachdem er nach-
gewiesen, dass gerade die am häufigst Untersuchten am sel-
tensten sterben, zieht er den Schluss, dass er meine Lehre ad
absurdum gebracht, und dass er in alle Ewigkeit behaupten
wird, dass der mit Leichengift imprägnirte untersuchende
Finger nicht der eigentliche Faden sei, an dem die Infections-
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sagt er Folgendes: »Wenn ich durch alles bisher Gesagte die
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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/465>, abgerufen am 22.11.2024.
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