geburtshilflichen Schulen niemals den Gebärenden, so viel wir wenigstens in Erfahrung bringen konnten, verschlossen. Der Unterricht findet seit der Gründung dieses Gebärhauses ununterbrochen auch während der Ferialzeit statt. In den letzten Decennien wurden hier jährlich 150 bis 200 Geburts- helfer und 260 bis 300 Hebammen ausgebildet."
Mit dieser Schilderung der beiden Kliniken wollte Carl Braun den Leser wieder mit einigen Uebelständen der I. Kli- nik bekannt machen, aus welchen an der Schule für Aerzte ganz ungezwungen eine um einige Procent höhere Differenz- zahl der Mortalitätslisten erklärt werden kann, ohne zu der des directen Beweises entbehrenden, auf Vermuthungen basirten Hypothese der cadaverösen Infection flüchten zu müssen.
Wir haben schon einmal erwähnt, dass Carl Braun mit den ungünstigen Verhältnissen der I. Klinik in einer Zeit Be- kanntschaft machte, in welcher diese ungünstigen Verhält- nisse nicht nur keinen Unterschied in der Grösse der Sterb- lichkeit an beiden Abtheilungen bedingen konnten, sondern in welcher Zeit die Sterblichkeit trotz der ungünstigen Ver- hältnisse der I. Klinik manchmal an der II. Klinik grösser war. So starben im Jahre 1851 an der II. Klinik bei 799 we- niger verpflegten Wöchnerinnen 46, im Jahre 1852 starben an der II. Klinik bei 1111 weniger verpflegten Wöchnerinnen 11 Wöchnerinnen mehr als an der I. Klinik.
Es ist mithin mit mathematischer Gewissheit bewiesen, dass diese ungünstigen Umstände der I. Klinik die grössere Sterblichkeit nicht hervorgebracht haben zur Zeit, als an der I. Klinik in Wirklichkeit eine grössere Sterblichkeit herrschte.
Wir fühlen uns daher der Verpflichtung enthoben, Punct für Punct nachzuweisen, wie Carl Braun zum Theil diese Uebelstände entstellt, um selbe an der I. Klinik noch ungün- stiger, an der II. Klinik günstiger erscheinen zu lassen, als selbe in Wirklichkeit sind; nur mit zwei Puncten machen wir eine Ausnahme.
Die I. Klinik hatte zu meiner Zeit 8 Säle, jetzt hat selbe
geburtshilflichen Schulen niemals den Gebärenden, so viel wir wenigstens in Erfahrung bringen konnten, verschlossen. Der Unterricht findet seit der Gründung dieses Gebärhauses ununterbrochen auch während der Ferialzeit statt. In den letzten Decennien wurden hier jährlich 150 bis 200 Geburts- helfer und 260 bis 300 Hebammen ausgebildet.«
Mit dieser Schilderung der beiden Kliniken wollte Carl Braun den Leser wieder mit einigen Uebelständen der I. Kli- nik bekannt machen, aus welchen an der Schule für Aerzte ganz ungezwungen eine um einige Procent höhere Differenz- zahl der Mortalitätslisten erklärt werden kann, ohne zu der des directen Beweises entbehrenden, auf Vermuthungen basirten Hypothese der cadaverösen Infection flüchten zu müssen.
Wir haben schon einmal erwähnt, dass Carl Braun mit den ungünstigen Verhältnissen der I. Klinik in einer Zeit Be- kanntschaft machte, in welcher diese ungünstigen Verhält- nisse nicht nur keinen Unterschied in der Grösse der Sterb- lichkeit an beiden Abtheilungen bedingen konnten, sondern in welcher Zeit die Sterblichkeit trotz der ungünstigen Ver- hältnisse der I. Klinik manchmal an der II. Klinik grösser war. So starben im Jahre 1851 an der II. Klinik bei 799 we- niger verpflegten Wöchnerinnen 46, im Jahre 1852 starben an der II. Klinik bei 1111 weniger verpflegten Wöchnerinnen 11 Wöchnerinnen mehr als an der I. Klinik.
Es ist mithin mit mathematischer Gewissheit bewiesen, dass diese ungünstigen Umstände der I. Klinik die grössere Sterblichkeit nicht hervorgebracht haben zur Zeit, als an der I. Klinik in Wirklichkeit eine grössere Sterblichkeit herrschte.
Wir fühlen uns daher der Verpflichtung enthoben, Punct für Punct nachzuweisen, wie Carl Braun zum Theil diese Uebelstände entstellt, um selbe an der I. Klinik noch ungün- stiger, an der II. Klinik günstiger erscheinen zu lassen, als selbe in Wirklichkeit sind; nur mit zwei Puncten machen wir eine Ausnahme.
Die I. Klinik hatte zu meiner Zeit 8 Säle, jetzt hat selbe
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geburtshilflichen Schulen niemals den Gebärenden, so viel
wir wenigstens in Erfahrung bringen konnten, verschlossen.
Der Unterricht findet seit der Gründung dieses Gebärhauses
ununterbrochen auch während der Ferialzeit statt. In den
letzten Decennien wurden hier jährlich 150 bis 200 Geburts-
helfer und 260 bis 300 Hebammen ausgebildet.«
Mit dieser Schilderung der beiden Kliniken wollte Carl
Braun den Leser wieder mit einigen Uebelständen der I. Kli-
nik bekannt machen, aus welchen an der Schule für Aerzte
ganz ungezwungen eine um einige Procent höhere Differenz-
zahl der Mortalitätslisten erklärt werden kann, ohne zu der des
directen Beweises entbehrenden, auf Vermuthungen basirten
Hypothese der cadaverösen Infection flüchten zu müssen.
Wir haben schon einmal erwähnt, dass Carl Braun mit
den ungünstigen Verhältnissen der I. Klinik in einer Zeit Be-
kanntschaft machte, in welcher diese ungünstigen Verhält-
nisse nicht nur keinen Unterschied in der Grösse der Sterb-
lichkeit an beiden Abtheilungen bedingen konnten, sondern
in welcher Zeit die Sterblichkeit trotz der ungünstigen Ver-
hältnisse der I. Klinik manchmal an der II. Klinik grösser
war. So starben im Jahre 1851 an der II. Klinik bei 799 we-
niger verpflegten Wöchnerinnen 46, im Jahre 1852 starben an
der II. Klinik bei 1111 weniger verpflegten Wöchnerinnen 11
Wöchnerinnen mehr als an der I. Klinik.
Es ist mithin mit mathematischer Gewissheit bewiesen,
dass diese ungünstigen Umstände der I. Klinik die grössere
Sterblichkeit nicht hervorgebracht haben zur Zeit, als an der
I. Klinik in Wirklichkeit eine grössere Sterblichkeit herrschte.
Wir fühlen uns daher der Verpflichtung enthoben, Punct
für Punct nachzuweisen, wie Carl Braun zum Theil diese
Uebelstände entstellt, um selbe an der I. Klinik noch ungün-
stiger, an der II. Klinik günstiger erscheinen zu lassen, als
selbe in Wirklichkeit sind; nur mit zwei Puncten machen wir
eine Ausnahme.
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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 522. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/534>, abgerufen am 22.11.2024.
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