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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861.

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dem Leichenbefunde bei Kolletschka antrafen wie bei den
Wöchnerinnen, so ist der Schluss, dass Kolletschka an der-
selben Krankheit gestorben, an welcher ich so viele hundert
Wöchnerinnen sterben sah, ebenfalls ein berechtigter. Die
veranlassende Ursache der Krankheit bei Professor Kol-
letschka
war bekannt, nämlich es wurde die Wunde, welche
ihm mit dem Sectionsmesser beigebracht wurde, gleichzeitig
mit Cadavertheilen verunreiniget. Nicht die Wunde, sondern
das Verunreinigtwerden der Wunde durch Cadavertheile hat
den Tod herbeigeführt. Kolletschka ist ja nicht der Erste,
der auf diese Weise gestorben. Ich musste anerkennen: wenn
die Voraussetzung, dass die Krankheit Kolletschka's und die
Krankheit, an welcher ich so viele Wöchnerinnen sterben sah,
identisch seien, so müsse sie bei den Wöchnerinnen durch die-
selbe erzeugende Ursache, durch welche erzeugende Ursache
sie bei Kolletschka hervorgebracht wurde, erzeugt werden.
Bei Kolletschka waren die erzeugende Ursache Cadaver-
theile, welche ihm in's Gefässsystem gebracht wurden. Ich
musste mir die Frage aufwerfen: Werden denn den Indivi-
duen, welche ich an einer identischen Krankheit sterben sah,
auch Cadavertheile in das Gefässsystem eingebracht? Auf
diese Frage musste ich mit Ja antworten.

Bei der anatomischen Richtung der Wiener medicini-
schen Schule haben die Professoren, Assistenten und Schüler
häufig Gelegenheit, mit Leichen in Berührung zu kommen.
Dass nach der gewöhnlichen Art des Waschens der Hände
mit Seife die an der Hand klebenden Cadavertheile nicht
sämmtlich entfernt werden, beweist der cadaveröse Geruch,
welchen die Hand für längere oder kürzere Zeit behält. Bei
der Untersuchung der Schwangeren, Kreissenden und Wöch-
nerinnen wird die mit Cadavertheilen verunreinigte Hand mit
den Genitalien dieser Individuen in Berührung gebracht, da-
durch werden die Genitalien dieser Individuen mit Cadaver-
theilen in Berührung gebracht, dadurch die Möglichkeit der Re-
sorption, und mittelst Resorption Einbringung von Cadaver-

dem Leichenbefunde bei Kolletschka antrafen wie bei den
Wöchnerinnen, so ist der Schluss, dass Kolletschka an der-
selben Krankheit gestorben, an welcher ich so viele hundert
Wöchnerinnen sterben sah, ebenfalls ein berechtigter. Die
veranlassende Ursache der Krankheit bei Professor Kol-
letschka
war bekannt, nämlich es wurde die Wunde, welche
ihm mit dem Sectionsmesser beigebracht wurde, gleichzeitig
mit Cadavertheilen verunreiniget. Nicht die Wunde, sondern
das Verunreinigtwerden der Wunde durch Cadavertheile hat
den Tod herbeigeführt. Kolletschka ist ja nicht der Erste,
der auf diese Weise gestorben. Ich musste anerkennen: wenn
die Voraussetzung, dass die Krankheit Kolletschka’s und die
Krankheit, an welcher ich so viele Wöchnerinnen sterben sah,
identisch seien, so müsse sie bei den Wöchnerinnen durch die-
selbe erzeugende Ursache, durch welche erzeugende Ursache
sie bei Kolletschka hervorgebracht wurde, erzeugt werden.
Bei Kolletschka waren die erzeugende Ursache Cadaver-
theile, welche ihm in’s Gefässsystem gebracht wurden. Ich
musste mir die Frage aufwerfen: Werden denn den Indivi-
duen, welche ich an einer identischen Krankheit sterben sah,
auch Cadavertheile in das Gefässsystem eingebracht? Auf
diese Frage musste ich mit Ja antworten.

Bei der anatomischen Richtung der Wiener medicini-
schen Schule haben die Professoren, Assistenten und Schüler
häufig Gelegenheit, mit Leichen in Berührung zu kommen.
Dass nach der gewöhnlichen Art des Waschens der Hände
mit Seife die an der Hand klebenden Cadavertheile nicht
sämmtlich entfernt werden, beweist der cadaveröse Geruch,
welchen die Hand für längere oder kürzere Zeit behält. Bei
der Untersuchung der Schwangeren, Kreissenden und Wöch-
nerinnen wird die mit Cadavertheilen verunreinigte Hand mit
den Genitalien dieser Individuen in Berührung gebracht, da-
durch werden die Genitalien dieser Individuen mit Cadaver-
theilen in Berührung gebracht, dadurch die Möglichkeit der Re-
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[54/0066] dem Leichenbefunde bei Kolletschka antrafen wie bei den Wöchnerinnen, so ist der Schluss, dass Kolletschka an der- selben Krankheit gestorben, an welcher ich so viele hundert Wöchnerinnen sterben sah, ebenfalls ein berechtigter. Die veranlassende Ursache der Krankheit bei Professor Kol- letschka war bekannt, nämlich es wurde die Wunde, welche ihm mit dem Sectionsmesser beigebracht wurde, gleichzeitig mit Cadavertheilen verunreiniget. Nicht die Wunde, sondern das Verunreinigtwerden der Wunde durch Cadavertheile hat den Tod herbeigeführt. Kolletschka ist ja nicht der Erste, der auf diese Weise gestorben. Ich musste anerkennen: wenn die Voraussetzung, dass die Krankheit Kolletschka’s und die Krankheit, an welcher ich so viele Wöchnerinnen sterben sah, identisch seien, so müsse sie bei den Wöchnerinnen durch die- selbe erzeugende Ursache, durch welche erzeugende Ursache sie bei Kolletschka hervorgebracht wurde, erzeugt werden. Bei Kolletschka waren die erzeugende Ursache Cadaver- theile, welche ihm in’s Gefässsystem gebracht wurden. Ich musste mir die Frage aufwerfen: Werden denn den Indivi- duen, welche ich an einer identischen Krankheit sterben sah, auch Cadavertheile in das Gefässsystem eingebracht? Auf diese Frage musste ich mit Ja antworten. Bei der anatomischen Richtung der Wiener medicini- schen Schule haben die Professoren, Assistenten und Schüler häufig Gelegenheit, mit Leichen in Berührung zu kommen. Dass nach der gewöhnlichen Art des Waschens der Hände mit Seife die an der Hand klebenden Cadavertheile nicht sämmtlich entfernt werden, beweist der cadaveröse Geruch, welchen die Hand für längere oder kürzere Zeit behält. Bei der Untersuchung der Schwangeren, Kreissenden und Wöch- nerinnen wird die mit Cadavertheilen verunreinigte Hand mit den Genitalien dieser Individuen in Berührung gebracht, da- durch werden die Genitalien dieser Individuen mit Cadaver- theilen in Berührung gebracht, dadurch die Möglichkeit der Re- sorption, und mittelst Resorption Einbringung von Cadaver-

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Zitationshilfe: Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/66>, abgerufen am 24.11.2024.