so muss diese Wahrheit zum Bewusstsein sämmtlicher Bethei- ligten gebracht werden.
Nachdem es sich gezeigt, dass das Plus der Sterblichkeit an der ersten Gebärklinik im Vergleich zur zweiten in den Cadaver- und Jauchetheilen zu suchen sei, mit welchen die Hände der Untersuchenden verunreinigt sind, konnte man sich die bisher unerklärlichen, an der ersten Gebärklinik vor- kommenden Erscheinungen ganz ungezwungen erklären. In den Morgenstunden hält täglich der Professor mit den Schü- lern, in den Nachmittagsstunden der Assistent mit den Schü- lern eine allgemeine Visite, bei welcher sämmtliche anwesen- den Kreissenden und Schwangeren zum Behufe des Unferrich- tes von den Schülern untersucht werden. Der Assistent muss vor der Morgenvisite des Professors sämmtliche Kreissenden untersuchen, um dem Professor Rapport abstatten zu können. In der Zwischenzeit unternimmt der Assistent, je nach Zeit und Bedürfniss, mit den Schülern die Untersuchungen; wenn daher eine Kreissende wegen zögerndem Verlauf der Eröff- nungsperiode ein oder mehrere Tage am Kreissezimmer zu- brachte, so wurde sie gewiss wiederholt mit von Cadaver- und Jauchetheilen verunreinigten Händen untersucht, und auf diese Weise bei ihr das Kindbettfieber hervorgebracht, und darum starben, wie wir oben schon erwähnten, diese Individuen bei- nahe ausnahmslos sämmtlich.
Nachdem in Folge der Chlorwaschungen nur mit reinen Händen untersucht wurde, hörte die Sterblichkeit bei jenen, welche eine zögernde Eröffnungsperiode darboten, auf, und der zögernde Verlauf der Eröffnungsperiode wurde so unge- fährlich, wie er es schon früher auf der zweiten Abthei- lung war.
Um das, was wir nun sagen wollen, verständlich zu ma- chen, wollen wir hier den Begriff des Kindbettfiebers, wie wir ihn uns construiren, theilweise anticipiren.
Das Erste ist die Resorption eines faulen, thierisch-orga- nischen Körpers; in Folge dieser Resorption tritt eine Blut-
so muss diese Wahrheit zum Bewusstsein sämmtlicher Bethei- ligten gebracht werden.
Nachdem es sich gezeigt, dass das Plus der Sterblichkeit an der ersten Gebärklinik im Vergleich zur zweiten in den Cadaver- und Jauchetheilen zu suchen sei, mit welchen die Hände der Untersuchenden verunreinigt sind, konnte man sich die bisher unerklärlichen, an der ersten Gebärklinik vor- kommenden Erscheinungen ganz ungezwungen erklären. In den Morgenstunden hält täglich der Professor mit den Schü- lern, in den Nachmittagsstunden der Assistent mit den Schü- lern eine allgemeine Visite, bei welcher sämmtliche anwesen- den Kreissenden und Schwangeren zum Behufe des Unferrich- tes von den Schülern untersucht werden. Der Assistent muss vor der Morgenvisite des Professors sämmtliche Kreissenden untersuchen, um dem Professor Rapport abstatten zu können. In der Zwischenzeit unternimmt der Assistent, je nach Zeit und Bedürfniss, mit den Schülern die Untersuchungen; wenn daher eine Kreissende wegen zögerndem Verlauf der Eröff- nungsperiode ein oder mehrere Tage am Kreissezimmer zu- brachte, so wurde sie gewiss wiederholt mit von Cadaver- und Jauchetheilen verunreinigten Händen untersucht, und auf diese Weise bei ihr das Kindbettfieber hervorgebracht, und darum starben, wie wir oben schon erwähnten, diese Individuen bei- nahe ausnahmslos sämmtlich.
Nachdem in Folge der Chlorwaschungen nur mit reinen Händen untersucht wurde, hörte die Sterblichkeit bei jenen, welche eine zögernde Eröffnungsperiode darboten, auf, und der zögernde Verlauf der Eröffnungsperiode wurde so unge- fährlich, wie er es schon früher auf der zweiten Abthei- lung war.
Um das, was wir nun sagen wollen, verständlich zu ma- chen, wollen wir hier den Begriff des Kindbettfiebers, wie wir ihn uns construiren, theilweise anticipiren.
Das Erste ist die Resorption eines faulen, thierisch-orga- nischen Körpers; in Folge dieser Resorption tritt eine Blut-
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so muss diese Wahrheit zum Bewusstsein sämmtlicher Bethei-
ligten gebracht werden.
Nachdem es sich gezeigt, dass das Plus der Sterblichkeit
an der ersten Gebärklinik im Vergleich zur zweiten in den
Cadaver- und Jauchetheilen zu suchen sei, mit welchen die
Hände der Untersuchenden verunreinigt sind, konnte man
sich die bisher unerklärlichen, an der ersten Gebärklinik vor-
kommenden Erscheinungen ganz ungezwungen erklären. In
den Morgenstunden hält täglich der Professor mit den Schü-
lern, in den Nachmittagsstunden der Assistent mit den Schü-
lern eine allgemeine Visite, bei welcher sämmtliche anwesen-
den Kreissenden und Schwangeren zum Behufe des Unferrich-
tes von den Schülern untersucht werden. Der Assistent muss
vor der Morgenvisite des Professors sämmtliche Kreissenden
untersuchen, um dem Professor Rapport abstatten zu können.
In der Zwischenzeit unternimmt der Assistent, je nach Zeit
und Bedürfniss, mit den Schülern die Untersuchungen; wenn
daher eine Kreissende wegen zögerndem Verlauf der Eröff-
nungsperiode ein oder mehrere Tage am Kreissezimmer zu-
brachte, so wurde sie gewiss wiederholt mit von Cadaver- und
Jauchetheilen verunreinigten Händen untersucht, und auf diese
Weise bei ihr das Kindbettfieber hervorgebracht, und darum
starben, wie wir oben schon erwähnten, diese Individuen bei-
nahe ausnahmslos sämmtlich.
Nachdem in Folge der Chlorwaschungen nur mit reinen
Händen untersucht wurde, hörte die Sterblichkeit bei jenen,
welche eine zögernde Eröffnungsperiode darboten, auf, und
der zögernde Verlauf der Eröffnungsperiode wurde so unge-
fährlich, wie er es schon früher auf der zweiten Abthei-
lung war.
Um das, was wir nun sagen wollen, verständlich zu ma-
chen, wollen wir hier den Begriff des Kindbettfiebers, wie
wir ihn uns construiren, theilweise anticipiren.
Das Erste ist die Resorption eines faulen, thierisch-orga-
nischen Körpers; in Folge dieser Resorption tritt eine Blut-
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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/78>, abgerufen am 09.11.2024.
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