Semper, Karl: Die Philippinen und ihre Bewohner. Sechs Skizzen. Würzburg, 1869.geistlicher Gesang und die christliche Doctrin gelehrt. Dieser Unterricht aber geschieht noch lange nicht überall in spanischer Sprache; wenigstens ist die allgemeine Einführung derselben als Schulsprache noch so neuen Datum's, dass es noch lange dauern mag, bis sich überall der spanische Beamte selbst mit seinen nächsten Untergebenen wird in Spanisch unterhalten können. An der Ostküste Mindanao's, einer der ältesten und ergebensten Provinzen, wurde noch vor 40-50 Jahren nur der einheimische Dialect gesprochen, und die Priester bedienten sich hier sogar, wie man sagt, in ihrem officiellen Verkehr bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts hinein der alten malaiischen Buchstaben. Die Zahl derjenigen Eingebornen--die Spanier nennen sie immer Indier--welche lesen und schreiben können, soll ziemlich gross sein; aber bei der vollständigen Unzuverlässigkeit aller statistischen Angaben lässt sich hierüber nichts Sicheres behaupten. Im Jahre 1863 versuchte die spanische Regierung eine allgemeine Zählung der Kopfzahl mit Umgehung des bisher üblichen Systems der Tributzählung vorzunehmen, wobei auch angegeben werden sollte, wie viele des Lesens und Schreibens kundig wären. Das Factum, dass die Regierung niemals die Resultate dieser Zählung veröffentlichte, scheint für die damals oft gehörte Meinung zu sprechen, dass die ungeheuerlichsten Resultate herauskommen würden. Die überraschende Leichtigkeit endlich, mit welcher sich das Christenthum gleich im Anfang der Eroberung über die Inseln ausbreitete, lässt erwarten, dass es nur wie ein passendes Gewand die alten religiösen Gebräuche3 deckte, und sich theilweise wohl gar mit ihnen amalgamirte. Ehrliche Mönche hört man noch jetzt darüber klagen, dass dieselben Menschen heute in die Kirche gehen, um zu ihrem christlichen Gotte zu beten und morgen ihrem heidnischen Götzen, dem Diuata oder dem Anito bei der Aussaat oder der Erndte ihre Opfer bringen. An einzelnen Orten scheint sogar ein Rückfall in die alten heidnischen Zeiten stattgefunden zu haben. Es existirt in dem Archiv des Gouvernements von Cayan, Provinz Lepanto, im Nordwesten von Luzon, ein Document, aus welchem, wenn es überhaupt echt ist, hervorgeht, dass die Bewohner des Districts vor dem Jahre 1700 bereits zum grössten Theil Christen gewesen sind. Jetzt sind sie alle wieder Heiden. In der reichen Familie des Ygorroten Lacampa wird der Titel "Maestre de Campo" geistlicher Gesang und die christliche Doctrin gelehrt. Dieser Unterricht aber geschieht noch lange nicht überall in spanischer Sprache; wenigstens ist die allgemeine Einführung derselben als Schulsprache noch so neuen Datum’s, dass es noch lange dauern mag, bis sich überall der spanische Beamte selbst mit seinen nächsten Untergebenen wird in Spanisch unterhalten können. An der Ostküste Mindanao’s, einer der ältesten und ergebensten Provinzen, wurde noch vor 40–50 Jahren nur der einheimische Dialect gesprochen, und die Priester bedienten sich hier sogar, wie man sagt, in ihrem officiellen Verkehr bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts hinein der alten malaiischen Buchstaben. Die Zahl derjenigen Eingebornen—die Spanier nennen sie immer Indier—welche lesen und schreiben können, soll ziemlich gross sein; aber bei der vollständigen Unzuverlässigkeit aller statistischen Angaben lässt sich hierüber nichts Sicheres behaupten. Im Jahre 1863 versuchte die spanische Regierung eine allgemeine Zählung der Kopfzahl mit Umgehung des bisher üblichen Systems der Tributzählung vorzunehmen, wobei auch angegeben werden sollte, wie viele des Lesens und Schreibens kundig wären. Das Factum, dass die Regierung niemals die Resultate dieser Zählung veröffentlichte, scheint für die damals oft gehörte Meinung zu sprechen, dass die ungeheuerlichsten Resultate herauskommen würden. Die überraschende Leichtigkeit endlich, mit welcher sich das Christenthum gleich im Anfang der Eroberung über die Inseln ausbreitete, lässt erwarten, dass es nur wie ein passendes Gewand die alten religiösen Gebräuche3 deckte, und sich theilweise wohl gar mit ihnen amalgamirte. Ehrliche Mönche hört man noch jetzt darüber klagen, dass dieselben Menschen heute in die Kirche gehen, um zu ihrem christlichen Gotte zu beten und morgen ihrem heidnischen Götzen, dem Diuata oder dem Anito bei der Aussaat oder der Erndte ihre Opfer bringen. An einzelnen Orten scheint sogar ein Rückfall in die alten heidnischen Zeiten stattgefunden zu haben. Es existirt in dem Archiv des Gouvernements von Cayan, Provinz Lepanto, im Nordwesten von Luzon, ein Document, aus welchem, wenn es überhaupt echt ist, hervorgeht, dass die Bewohner des Districts vor dem Jahre 1700 bereits zum grössten Theil Christen gewesen sind. Jetzt sind sie alle wieder Heiden. In der reichen Familie des Ygorroten Lacampa wird der Titel “Maestre de Campo” <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0084" n="84"/> geistlicher Gesang und die christliche Doctrin gelehrt. Dieser Unterricht aber geschieht noch lange nicht überall in spanischer Sprache; wenigstens ist die allgemeine Einführung derselben als Schulsprache noch so neuen Datum’s, dass es noch lange dauern mag, bis sich überall der spanische Beamte selbst mit seinen nächsten Untergebenen wird in Spanisch unterhalten können. An der Ostküste Mindanao’s, einer der ältesten und ergebensten Provinzen, wurde noch vor 40–50 Jahren nur der einheimische Dialect gesprochen, und die Priester bedienten sich hier sogar, wie man sagt, in ihrem officiellen Verkehr bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts hinein der alten malaiischen Buchstaben. Die Zahl derjenigen Eingebornen—die Spanier nennen sie immer Indier—welche lesen und schreiben können, soll ziemlich gross sein; aber bei der vollständigen Unzuverlässigkeit aller statistischen Angaben lässt sich hierüber nichts Sicheres behaupten. Im Jahre 1863 versuchte die spanische Regierung eine allgemeine Zählung der Kopfzahl mit Umgehung des bisher üblichen Systems der Tributzählung vorzunehmen, wobei auch angegeben werden sollte, wie viele des Lesens und Schreibens kundig wären. Das Factum, dass die Regierung niemals die Resultate dieser Zählung veröffentlichte, scheint für die damals oft gehörte Meinung zu sprechen, dass die ungeheuerlichsten Resultate herauskommen würden. Die überraschende Leichtigkeit endlich, mit welcher sich das Christenthum gleich im Anfang der Eroberung über die Inseln ausbreitete, lässt erwarten, dass es nur wie ein passendes Gewand die alten religiösen Gebräuche<note xml:id="n6.3-sign" n="3" place="end" next="n6.3"/> deckte, und sich theilweise wohl gar mit ihnen amalgamirte. Ehrliche Mönche hört man noch jetzt darüber klagen, dass dieselben Menschen heute in die Kirche gehen, um zu ihrem christlichen Gotte zu beten und morgen ihrem heidnischen Götzen, dem Diuata oder dem Anito bei der Aussaat oder der Erndte ihre Opfer bringen. An einzelnen Orten scheint sogar ein Rückfall in die alten heidnischen Zeiten stattgefunden zu haben. Es existirt in dem Archiv des Gouvernements von Cayan, Provinz Lepanto, im Nordwesten von Luzon, ein Document, aus welchem, wenn es überhaupt echt ist, hervorgeht, dass die Bewohner des Districts vor dem Jahre 1700 bereits zum grössten Theil Christen gewesen sind. Jetzt sind sie alle wieder Heiden. In der reichen Familie des Ygorroten Lacampa wird <choice><sic>derTitel</sic><corr>der Titel</corr></choice> “Maestre de Campo” </p> </div> </body> </text> </TEI> [84/0084]
geistlicher Gesang und die christliche Doctrin gelehrt. Dieser Unterricht aber geschieht noch lange nicht überall in spanischer Sprache; wenigstens ist die allgemeine Einführung derselben als Schulsprache noch so neuen Datum’s, dass es noch lange dauern mag, bis sich überall der spanische Beamte selbst mit seinen nächsten Untergebenen wird in Spanisch unterhalten können. An der Ostküste Mindanao’s, einer der ältesten und ergebensten Provinzen, wurde noch vor 40–50 Jahren nur der einheimische Dialect gesprochen, und die Priester bedienten sich hier sogar, wie man sagt, in ihrem officiellen Verkehr bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts hinein der alten malaiischen Buchstaben. Die Zahl derjenigen Eingebornen—die Spanier nennen sie immer Indier—welche lesen und schreiben können, soll ziemlich gross sein; aber bei der vollständigen Unzuverlässigkeit aller statistischen Angaben lässt sich hierüber nichts Sicheres behaupten. Im Jahre 1863 versuchte die spanische Regierung eine allgemeine Zählung der Kopfzahl mit Umgehung des bisher üblichen Systems der Tributzählung vorzunehmen, wobei auch angegeben werden sollte, wie viele des Lesens und Schreibens kundig wären. Das Factum, dass die Regierung niemals die Resultate dieser Zählung veröffentlichte, scheint für die damals oft gehörte Meinung zu sprechen, dass die ungeheuerlichsten Resultate herauskommen würden. Die überraschende Leichtigkeit endlich, mit welcher sich das Christenthum gleich im Anfang der Eroberung über die Inseln ausbreitete, lässt erwarten, dass es nur wie ein passendes Gewand die alten religiösen Gebräuche
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deckte, und sich theilweise wohl gar mit ihnen amalgamirte. Ehrliche Mönche hört man noch jetzt darüber klagen, dass dieselben Menschen heute in die Kirche gehen, um zu ihrem christlichen Gotte zu beten und morgen ihrem heidnischen Götzen, dem Diuata oder dem Anito bei der Aussaat oder der Erndte ihre Opfer bringen. An einzelnen Orten scheint sogar ein Rückfall in die alten heidnischen Zeiten stattgefunden zu haben. Es existirt in dem Archiv des Gouvernements von Cayan, Provinz Lepanto, im Nordwesten von Luzon, ein Document, aus welchem, wenn es überhaupt echt ist, hervorgeht, dass die Bewohner des Districts vor dem Jahre 1700 bereits zum grössten Theil Christen gewesen sind. Jetzt sind sie alle wieder Heiden. In der reichen Familie des Ygorroten Lacampa wird der Titel “Maestre de Campo”
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Zitationshilfe: | Semper, Karl: Die Philippinen und ihre Bewohner. Sechs Skizzen. Würzburg, 1869, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semper_philippinen_1869/84>, abgerufen am 16.02.2025. |