serlichen hier. Sie exercierten eben auf dem grossen Platze vor dem Thore. Der Ort ist militärisch nicht ganz zu verachten, wenn er gut vertheidigt wird. Man kann nach allen Seiten hübsch rasieren, und er kann von keiner nahen Anhöhe bestrichen werden.
In Udine feyerte ich den neun und zwanzigsten Januar meinen Geburtstag, und höre wie. Ich hatte mir natürlich den Tag vorher schon vorgenommen, ihn recht stattlich zu begehen, und also vor allen Din¬ gen hier Ruhetag zu halten. Der Name Udine klang mir so schön, war mir aus der Künstlergeschichte be¬ kannt, und war überdiess der Geburtsort unserer bra¬ ven Grassi in Dresden und Wien. Die grosse feyer¬ lich tönende Abendglocke verkündigte mir in der dun¬ keln Ferne, denn es war schon Nacht als ich ankam, eine ansehnliche Stadt. Vor Campo Formido war ich im Dunkeln vorbey gegangen. Am Thore zu Udine stand eine östreichische Wache, die mich examinierte. Ich bat um einen Grenadier, der mich in ein gutes Wirthshaus bringen sollte. Gewährt. Aber ein gutes Wirthshaus war nicht zu finden. Ueberall wo ich hinein trat, sassen, standen und lagen eine Menge gemeiner Kerle bacchantisch vor ungeheuer grossen Weinfässern, als ob sie mit Bürger bey Ja und Nein vor dem Zapfen sterben wollten. Es kam mir vor, als ob Bürger hier seine Uebersetzung gemacht haben müsse; denn der lateinische Text des alten englischen Bischofs hat die¬ ses Bild nicht. In dem ersten und zweyten dieser Häuser hatte ich nicht Lust zu bleiben; im dritten wollte man mich nicht behalten. Ruhig, dachte ich; du gehst auf die Wache: morgen wird sichs schon fin¬
serlichen hier. Sie exercierten eben auf dem groſsen Platze vor dem Thore. Der Ort ist militärisch nicht ganz zu verachten, wenn er gut vertheidigt wird. Man kann nach allen Seiten hübsch rasieren, und er kann von keiner nahen Anhöhe bestrichen werden.
In Udine feyerte ich den neun und zwanzigsten Januar meinen Geburtstag, und höre wie. Ich hatte mir natürlich den Tag vorher schon vorgenommen, ihn recht stattlich zu begehen, und also vor allen Din¬ gen hier Ruhetag zu halten. Der Name Udine klang mir so schön, war mir aus der Künstlergeschichte be¬ kannt, und war überdieſs der Geburtsort unserer bra¬ ven Grassi in Dresden und Wien. Die groſse feyer¬ lich tönende Abendglocke verkündigte mir in der dun¬ keln Ferne, denn es war schon Nacht als ich ankam, eine ansehnliche Stadt. Vor Campo Formido war ich im Dunkeln vorbey gegangen. Am Thore zu Udine stand eine östreichische Wache, die mich examinierte. Ich bat um einen Grenadier, der mich in ein gutes Wirthshaus bringen sollte. Gewährt. Aber ein gutes Wirthshaus war nicht zu finden. Ueberall wo ich hinein trat, saſsen, standen und lagen eine Menge gemeiner Kerle bacchantisch vor ungeheuer groſsen Weinfässern, als ob sie mit Bürger bey Ja und Nein vor dem Zapfen sterben wollten. Es kam mir vor, als ob Bürger hier seine Uebersetzung gemacht haben müsse; denn der lateinische Text des alten englischen Bischofs hat die¬ ses Bild nicht. In dem ersten und zweyten dieser Häuser hatte ich nicht Lust zu bleiben; im dritten wollte man mich nicht behalten. Ruhig, dachte ich; du gehst auf die Wache: morgen wird sichs schon fin¬
<TEI><text><body><div><p><pbfacs="#f0112"n="86"/>
serlichen hier. Sie exercierten eben auf dem groſsen<lb/>
Platze vor dem Thore. Der Ort ist militärisch nicht<lb/>
ganz zu verachten, wenn er gut vertheidigt wird.<lb/>
Man kann nach allen Seiten hübsch rasieren, und er<lb/>
kann von keiner nahen Anhöhe bestrichen werden.</p><lb/><p>In Udine feyerte ich den neun und zwanzigsten<lb/>
Januar meinen Geburtstag, und höre wie. Ich hatte<lb/>
mir natürlich den Tag vorher schon vorgenommen,<lb/>
ihn recht stattlich zu begehen, und also vor allen Din¬<lb/>
gen hier Ruhetag zu halten. Der Name Udine klang<lb/>
mir so schön, war mir aus der Künstlergeschichte be¬<lb/>
kannt, und war überdieſs der Geburtsort unserer bra¬<lb/>
ven Grassi in Dresden und Wien. Die groſse feyer¬<lb/>
lich tönende Abendglocke verkündigte mir in der dun¬<lb/>
keln Ferne, denn es war schon Nacht als ich ankam,<lb/>
eine ansehnliche Stadt. Vor Campo Formido war ich<lb/>
im Dunkeln vorbey gegangen. Am Thore zu Udine<lb/>
stand eine östreichische Wache, die mich examinierte.<lb/>
Ich bat um einen Grenadier, der mich in ein gutes<lb/>
Wirthshaus bringen sollte. Gewährt. Aber ein gutes<lb/>
Wirthshaus war nicht zu finden. Ueberall wo ich hinein<lb/>
trat, saſsen, standen und lagen eine Menge gemeiner<lb/>
Kerle bacchantisch vor ungeheuer groſsen Weinfässern,<lb/>
als ob sie mit Bürger bey Ja und Nein vor dem Zapfen<lb/>
sterben wollten. Es kam mir vor, als ob Bürger hier<lb/>
seine Uebersetzung gemacht haben müsse; denn der<lb/>
lateinische Text des alten englischen Bischofs hat die¬<lb/>
ses Bild nicht. In dem ersten und zweyten dieser<lb/>
Häuser hatte ich nicht Lust zu bleiben; im dritten<lb/>
wollte man mich nicht behalten. Ruhig, dachte ich;<lb/>
du gehst auf die Wache: morgen wird sichs schon fin¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[86/0112]
serlichen hier. Sie exercierten eben auf dem groſsen
Platze vor dem Thore. Der Ort ist militärisch nicht
ganz zu verachten, wenn er gut vertheidigt wird.
Man kann nach allen Seiten hübsch rasieren, und er
kann von keiner nahen Anhöhe bestrichen werden.
In Udine feyerte ich den neun und zwanzigsten
Januar meinen Geburtstag, und höre wie. Ich hatte
mir natürlich den Tag vorher schon vorgenommen,
ihn recht stattlich zu begehen, und also vor allen Din¬
gen hier Ruhetag zu halten. Der Name Udine klang
mir so schön, war mir aus der Künstlergeschichte be¬
kannt, und war überdieſs der Geburtsort unserer bra¬
ven Grassi in Dresden und Wien. Die groſse feyer¬
lich tönende Abendglocke verkündigte mir in der dun¬
keln Ferne, denn es war schon Nacht als ich ankam,
eine ansehnliche Stadt. Vor Campo Formido war ich
im Dunkeln vorbey gegangen. Am Thore zu Udine
stand eine östreichische Wache, die mich examinierte.
Ich bat um einen Grenadier, der mich in ein gutes
Wirthshaus bringen sollte. Gewährt. Aber ein gutes
Wirthshaus war nicht zu finden. Ueberall wo ich hinein
trat, saſsen, standen und lagen eine Menge gemeiner
Kerle bacchantisch vor ungeheuer groſsen Weinfässern,
als ob sie mit Bürger bey Ja und Nein vor dem Zapfen
sterben wollten. Es kam mir vor, als ob Bürger hier
seine Uebersetzung gemacht haben müsse; denn der
lateinische Text des alten englischen Bischofs hat die¬
ses Bild nicht. In dem ersten und zweyten dieser
Häuser hatte ich nicht Lust zu bleiben; im dritten
wollte man mich nicht behalten. Ruhig, dachte ich;
du gehst auf die Wache: morgen wird sichs schon fin¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/112>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.