Der Weg zwischen Triest und Venedig ist ausser¬ ordentlich wasserreich; sehr viele grosse und kleine Flüsse kommen rechts von den Bergen herab, unter denen der Tagliamento und die Piave die vorzüglich¬ sten sind. Zwischen Codroipo und Valvasone ging ich über den Tagliamento in vier Stationen, auf dem Rü¬ cken eines grossen ehrenfesten Charons, der seine lan¬ gen Fischerstiefeln bis an die Taille hinauf zog. Der Fluss war jetzt ziemlich klein; und dieses ist zu sol¬ cher Zeit die Methode Fussgänger überzusetzen. Sein Bett ist über eine Viertelstunde breit und zeigt, wie wild er seyn muss, wenn er das Bergwasser herab wälzt. Wenn die Bäche gross sind, mag die Reise hier immer bedenklich seyn; denn man kann durch¬ aus an den Betten sehen, welche ungeheuere Wasser¬ menge dann überall herabströmt. Jetzt sind alle Was¬ ser so schön und hell, dass ich überall trinke: denn für mich geht nichts über schönes Wasser. Die Wohl¬ that und den Werth davon zu empfinden, musst Du dich von den Engländern einmahl nach Amerika transportieren lassen, wo man in dem stinkenden Wasser fingerlange Fasern von Unrath findet, die Nase zuhalten muss, wenn man es durch ein Tuch geschla¬ gen trinken will, und doch noch froh ist, wenn man die kocytische Tunke zur Stillung des brennenden Durstes nur noch erhält. So ging es uns, als wir in den amerikanischen Krieg zogen, wo ich die Ehre hatte dem König die dreyzehn Provinzen mit verlie¬ ren zu helfen.
In Pordenone traf ich das erste Mahl eine öffent¬ liche Mummerey von Gassenmaskerade, musste bey
Der Weg zwischen Triest und Venedig ist auſser¬ ordentlich wasserreich; sehr viele groſse und kleine Flüsse kommen rechts von den Bergen herab, unter denen der Tagliamento und die Piave die vorzüglich¬ sten sind. Zwischen Codroipo und Valvasone ging ich über den Tagliamento in vier Stationen, auf dem Rü¬ cken eines groſsen ehrenfesten Charons, der seine lan¬ gen Fischerstiefeln bis an die Taille hinauf zog. Der Fluſs war jetzt ziemlich klein; und dieses ist zu sol¬ cher Zeit die Methode Fuſsgänger überzusetzen. Sein Bett ist über eine Viertelstunde breit und zeigt, wie wild er seyn muſs, wenn er das Bergwasser herab wälzt. Wenn die Bäche groſs sind, mag die Reise hier immer bedenklich seyn; denn man kann durch¬ aus an den Betten sehen, welche ungeheuere Wasser¬ menge dann überall herabströmt. Jetzt sind alle Was¬ ser so schön und hell, daſs ich überall trinke: denn für mich geht nichts über schönes Wasser. Die Wohl¬ that und den Werth davon zu empfinden, muſst Du dich von den Engländern einmahl nach Amerika transportieren lassen, wo man in dem stinkenden Wasser fingerlange Fasern von Unrath findet, die Nase zuhalten muſs, wenn man es durch ein Tuch geschla¬ gen trinken will, und doch noch froh ist, wenn man die kocytische Tunke zur Stillung des brennenden Durstes nur noch erhält. So ging es uns, als wir in den amerikanischen Krieg zogen, wo ich die Ehre hatte dem König die dreyzehn Provinzen mit verlie¬ ren zu helfen.
In Pordenone traf ich das erste Mahl eine öffent¬ liche Mummerey von Gassenmaskerade, muſste bey
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Der Weg zwischen Triest und Venedig ist auſser¬
ordentlich wasserreich; sehr viele groſse und kleine
Flüsse kommen rechts von den Bergen herab, unter
denen der Tagliamento und die Piave die vorzüglich¬
sten sind. Zwischen Codroipo und Valvasone ging ich
über den Tagliamento in vier Stationen, auf dem Rü¬
cken eines groſsen ehrenfesten Charons, der seine lan¬
gen Fischerstiefeln bis an die Taille hinauf zog. Der
Fluſs war jetzt ziemlich klein; und dieses ist zu sol¬
cher Zeit die Methode Fuſsgänger überzusetzen. Sein
Bett ist über eine Viertelstunde breit und zeigt, wie
wild er seyn muſs, wenn er das Bergwasser herab
wälzt. Wenn die Bäche groſs sind, mag die Reise
hier immer bedenklich seyn; denn man kann durch¬
aus an den Betten sehen, welche ungeheuere Wasser¬
menge dann überall herabströmt. Jetzt sind alle Was¬
ser so schön und hell, daſs ich überall trinke: denn
für mich geht nichts über schönes Wasser. Die Wohl¬
that und den Werth davon zu empfinden, muſst Du
dich von den Engländern einmahl nach Amerika
transportieren lassen, wo man in dem stinkenden
Wasser fingerlange Fasern von Unrath findet, die Nase
zuhalten muſs, wenn man es durch ein Tuch geschla¬
gen trinken will, und doch noch froh ist, wenn man
die kocytische Tunke zur Stillung des brennenden
Durstes nur noch erhält. So ging es uns, als wir in
den amerikanischen Krieg zogen, wo ich die Ehre
hatte dem König die dreyzehn Provinzen mit verlie¬
ren zu helfen.
In Pordenone traf ich das erste Mahl eine öffent¬
liche Mummerey von Gassenmaskerade, muſste bey
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/116>, abgerufen am 25.11.2024.
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