Bette neben mir mit dem Hauptschlüssel abgeholt. Hätte ich nun die Sache nicht gründlich erfahren, wer weiss was ich mir noch für Einbildungen gemacht hätte.
Jetzt ist meine Seele voll von einem einzigen Ge¬ genstande, von Canovas Hebe. Ich weiss nicht, ob Du die liebenswürdige Göttin dieses Künstlers schon kennst; mich wird sie lange, vielleicht immer beherr¬ schen. Fast glaube ich nun, dass die Neuen die Al¬ ten erreicht haben. Sie soll eines der jüngsten Werke des Mannes seyn, die ewige Jugend. Sie steht in dem Hause Alberici, und der Besitzer scheint den ganzen Werth des Schatzes zu fühlen. Er hat der Göttin ei¬ nen der besten Plätze, ein schönes helles Zimmer nach dem grossen Kanal, angewiesen. Ich will, ich darf keine Beschreibung wagen; aber ich möchte weissagen, dass sie die Angebetete der Künstler und ihre Wallfahrt werden wird. Ich habe die Mediceerin noch nicht gesehen; aber nach allen guten Abgüssen von ihr zu urtheilen, ist hier für mich mehr als alle veneres cupidinesque.
Ich stand von süssem Rausche trunken,
Wie in ein Meer von Seligkeit versunken, Mit Ehrfurcht vor der Göttin da, Die hold auf mich herunter sah, Und meine Seele war in Funken: Hier thronte mehr als Amathusia. Ich war der Sterblichkeit entflogen, Und meine stillen Blicke sogen Aus ihrem Blick Ambrosia Und Nektar in dem Göttersaale;
Bette neben mir mit dem Hauptschlüssel abgeholt. Hätte ich nun die Sache nicht gründlich erfahren, wer weiſs was ich mir noch für Einbildungen gemacht hätte.
Jetzt ist meine Seele voll von einem einzigen Ge¬ genstande, von Canovas Hebe. Ich weiſs nicht, ob Du die liebenswürdige Göttin dieses Künstlers schon kennst; mich wird sie lange, vielleicht immer beherr¬ schen. Fast glaube ich nun, daſs die Neuen die Al¬ ten erreicht haben. Sie soll eines der jüngsten Werke des Mannes seyn, die ewige Jugend. Sie steht in dem Hause Alberici, und der Besitzer scheint den ganzen Werth des Schatzes zu fühlen. Er hat der Göttin ei¬ nen der besten Plätze, ein schönes helles Zimmer nach dem groſsen Kanal, angewiesen. Ich will, ich darf keine Beschreibung wagen; aber ich möchte weissagen, daſs sie die Angebetete der Künstler und ihre Wallfahrt werden wird. Ich habe die Mediceerin noch nicht gesehen; aber nach allen guten Abgüssen von ihr zu urtheilen, ist hier für mich mehr als alle veneres cupidinesque.
Ich stand von süſsem Rausche trunken,
Wie in ein Meer von Seligkeit versunken, Mit Ehrfurcht vor der Göttin da, Die hold auf mich herunter sah, Und meine Seele war in Funken: Hier thronte mehr als Amathusia. Ich war der Sterblichkeit entflogen, Und meine stillen Blicke sogen Aus ihrem Blick Ambrosia Und Nektar in dem Göttersaale;
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Bette neben mir mit dem Hauptschlüssel abgeholt.
Hätte ich nun die Sache nicht gründlich erfahren, wer
weiſs was ich mir noch für Einbildungen gemacht hätte.
Jetzt ist meine Seele voll von einem einzigen Ge¬
genstande, von Canovas Hebe. Ich weiſs nicht, ob
Du die liebenswürdige Göttin dieses Künstlers schon
kennst; mich wird sie lange, vielleicht immer beherr¬
schen. Fast glaube ich nun, daſs die Neuen die Al¬
ten erreicht haben. Sie soll eines der jüngsten Werke
des Mannes seyn, die ewige Jugend. Sie steht in dem
Hause Alberici, und der Besitzer scheint den ganzen
Werth des Schatzes zu fühlen. Er hat der Göttin ei¬
nen der besten Plätze, ein schönes helles Zimmer
nach dem groſsen Kanal, angewiesen. Ich will, ich
darf keine Beschreibung wagen; aber ich möchte
weissagen, daſs sie die Angebetete der Künstler und ihre
Wallfahrt werden wird. Ich habe die Mediceerin
noch nicht gesehen; aber nach allen guten Abgüssen
von ihr zu urtheilen, ist hier für mich mehr als alle
veneres cupidinesque.
Ich stand von süſsem Rausche trunken,
Wie in ein Meer von Seligkeit versunken,
Mit Ehrfurcht vor der Göttin da,
Die hold auf mich herunter sah,
Und meine Seele war in Funken:
Hier thronte mehr als Amathusia.
Ich war der Sterblichkeit entflogen,
Und meine stillen Blicke sogen
Aus ihrem Blick Ambrosia
Und Nektar in dem Göttersaale;
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/126>, abgerufen am 26.11.2024.
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