ein trauriger Anblick war; und ich grämte mich nicht sehr, dass ich auf meiner Fahrt und wegen stürmi¬ schen Wetters wenig davon sehen konnte. So wie wir in Padua ankamen, ward das Wetter leidlich. Die Unterredung im Schiffe war bunt und kraus wie die Gesellschaft; aber es wurde durchaus nichts gespro¬ chen, was Bezug auf Politik gehabt hätte. Die ein¬ zige Bemerkung nehme ich aus, welche ein alter ziemlich ernsthafter Mann machte: es wäre nun zu hoffen, dass wir in dreyssig oder vierzig Jahren zu Fusse nach Venedig würden gehen können. Er deu¬ tete bloss kurz an, die alte Regierung habe ein Inter¬ esse gehabt die Stadt als Insel zu erhalten und habe sich die Räumung der Lagunen viel Geld kosten las¬ sen; die neue Regierung werde ein entgegengesetztes Interesse haben, und brauchte dann nicht viel Kosten darauf zu wenden, die Strasse von Mestre nach Vene¬ dig fest zu machen. Ich lasse die Hypothese dahin gestellt seyn.
Als ich in Padua meine Mahlzeit genommen hat¬ te, nahm ich meinen Tornister und machte dem hei¬ ligen Antonius meinen Besuch. Sogleich war ein Ci¬ cerone da, der mich führte, und meinte, ich könne ganz füglich, so betornistert wie ich wäre, überall herum laufen. Ich nahm das sehr gerne an, und wandelte in diesem etwas grotesken Aufzuge, mit aller Devotion, die man dem alten Volksglauben schuldig ist, in der gothischen Kathedrale herum. In der Kir¬ che drängten sich mit Gewalt noch zwey Ciceronen zu mir und liessen sich mit Gewalt nicht abweisen; sie waren weit besser als ich gekleidet und zeigten
ein trauriger Anblick war; und ich grämte mich nicht sehr, daſs ich auf meiner Fahrt und wegen stürmi¬ schen Wetters wenig davon sehen konnte. So wie wir in Padua ankamen, ward das Wetter leidlich. Die Unterredung im Schiffe war bunt und kraus wie die Gesellschaft; aber es wurde durchaus nichts gespro¬ chen, was Bezug auf Politik gehabt hätte. Die ein¬ zige Bemerkung nehme ich aus, welche ein alter ziemlich ernsthafter Mann machte: es wäre nun zu hoffen, daſs wir in dreyſsig oder vierzig Jahren zu Fuſse nach Venedig würden gehen können. Er deu¬ tete bloſs kurz an, die alte Regierung habe ein Inter¬ esse gehabt die Stadt als Insel zu erhalten und habe sich die Räumung der Lagunen viel Geld kosten las¬ sen; die neue Regierung werde ein entgegengesetztes Interesse haben, und brauchte dann nicht viel Kosten darauf zu wenden, die Straſse von Mestre nach Vene¬ dig fest zu machen. Ich lasse die Hypothese dahin gestellt seyn.
Als ich in Padua meine Mahlzeit genommen hat¬ te, nahm ich meinen Tornister und machte dem hei¬ ligen Antonius meinen Besuch. Sogleich war ein Ci¬ cerone da, der mich führte, und meinte, ich könne ganz füglich, so betornistert wie ich wäre, überall herum laufen. Ich nahm das sehr gerne an, und wandelte in diesem etwas grotesken Aufzuge, mit aller Devotion, die man dem alten Volksglauben schuldig ist, in der gothischen Kathedrale herum. In der Kir¬ che drängten sich mit Gewalt noch zwey Ciceronen zu mir und lieſsen sich mit Gewalt nicht abweisen; sie waren weit besser als ich gekleidet und zeigten
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ein trauriger Anblick war; und ich grämte mich nicht
sehr, daſs ich auf meiner Fahrt und wegen stürmi¬
schen Wetters wenig davon sehen konnte. So wie
wir in Padua ankamen, ward das Wetter leidlich.
Die Unterredung im Schiffe war bunt und kraus wie
die Gesellschaft; aber es wurde durchaus nichts gespro¬
chen, was Bezug auf Politik gehabt hätte. Die ein¬
zige Bemerkung nehme ich aus, welche ein alter
ziemlich ernsthafter Mann machte: es wäre nun zu
hoffen, daſs wir in dreyſsig oder vierzig Jahren zu
Fuſse nach Venedig würden gehen können. Er deu¬
tete bloſs kurz an, die alte Regierung habe ein Inter¬
esse gehabt die Stadt als Insel zu erhalten und habe
sich die Räumung der Lagunen viel Geld kosten las¬
sen; die neue Regierung werde ein entgegengesetztes
Interesse haben, und brauchte dann nicht viel Kosten
darauf zu wenden, die Straſse von Mestre nach Vene¬
dig fest zu machen. Ich lasse die Hypothese dahin
gestellt seyn.
Als ich in Padua meine Mahlzeit genommen hat¬
te, nahm ich meinen Tornister und machte dem hei¬
ligen Antonius meinen Besuch. Sogleich war ein Ci¬
cerone da, der mich führte, und meinte, ich könne
ganz füglich, so betornistert wie ich wäre, überall
herum laufen. Ich nahm das sehr gerne an, und
wandelte in diesem etwas grotesken Aufzuge, mit aller
Devotion, die man dem alten Volksglauben schuldig
ist, in der gothischen Kathedrale herum. In der Kir¬
che drängten sich mit Gewalt noch zwey Ciceronen
zu mir und lieſsen sich mit Gewalt nicht abweisen;
sie waren weit besser als ich gekleidet und zeigten
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/131>, abgerufen am 27.11.2024.
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