exteros merito colatur. Valeas, nostrumque civem ames ac nobis faveas. Der Mann sagte dieses mit einer Herzlichkeit und einer gewissen klassischen Wichtig¬ keit, die ihm sehr wohl anstand.
Von Livius weg ging ich mit dem Livius im Ko¬ pfe gerades Weges durch seine alte trojanische Vater¬ stadt in das klassische Land hinein, das ehemahls so grosse Männer gab. Du weisst, dass ich sehr wenig Literator bin; weisst aber auch, dass ich von der Schule aus noch viel Vergnügen habe, dann und wann einen alten Knaster in seiner eigenen Sprache zu lesen. Li¬ vius war immer einer meiner Lieblinge, ob ich gleich Thucydides noch lieber habe. Ich wiederhole also wahrscheinlich zum zehentausendsten Mahle die Klage, dass wir ihn nicht mehr ganz besitzen, und finde den übereilten etwas rodomantadischen Lärm, den man vor einiger Zeit hier und da über seine Wiederfin¬ dung gemacht hat, sehr verzeihlich. Ein Gedanke knüpfte sich an den andern; und da fand ich denn in meinem Sinn, dass wir wohl schwerlich den ganzen Livius wieder haben werden. Freylich ist das zu be¬ dauern; denn gerade die wichtigsten Epochen der rö¬ mischen Geschichte für öffentliches Recht und Men¬ schenkunde, und wo sich unstreitig das Genie und die Freymüthigkeit des Livius in ihrem ganzen Gange ge¬ zeigt hat, der Sklavenkrieg und die Triumvirate sind verloren: aber was kann Klage helfen? Den Verlust erkläre ich mir so. Ich glaube durchaus nicht, dass er aus Zufall oder Vernachlässigung gekommen sey. Livius war ein freymüthiger, kühner, entschlossener Mann, ein warmer Patriot und Verehrer der Freyheit,
exteros merito colatur. Valeas, nostrumque civem ames ac nobis faveas. Der Mann sagte dieses mit einer Herzlichkeit und einer gewissen klassischen Wichtig¬ keit, die ihm sehr wohl anstand.
Von Livius weg ging ich mit dem Livius im Ko¬ pfe gerades Weges durch seine alte trojanische Vater¬ stadt in das klassische Land hinein, das ehemahls so groſse Männer gab. Du weiſst, daſs ich sehr wenig Literator bin; weiſst aber auch, daſs ich von der Schule aus noch viel Vergnügen habe, dann und wann einen alten Knaster in seiner eigenen Sprache zu lesen. Li¬ vius war immer einer meiner Lieblinge, ob ich gleich Thucydides noch lieber habe. Ich wiederhole also wahrscheinlich zum zehentausendsten Mahle die Klage, daſs wir ihn nicht mehr ganz besitzen, und finde den übereilten etwas rodomantadischen Lärm, den man vor einiger Zeit hier und da über seine Wiederfin¬ dung gemacht hat, sehr verzeihlich. Ein Gedanke knüpfte sich an den andern; und da fand ich denn in meinem Sinn, daſs wir wohl schwerlich den ganzen Livius wieder haben werden. Freylich ist das zu be¬ dauern; denn gerade die wichtigsten Epochen der rö¬ mischen Geschichte für öffentliches Recht und Men¬ schenkunde, und wo sich unstreitig das Genie und die Freymüthigkeit des Livius in ihrem ganzen Gange ge¬ zeigt hat, der Sklavenkrieg und die Triumvirate sind verloren: aber was kann Klage helfen? Den Verlust erkläre ich mir so. Ich glaube durchaus nicht, daſs er aus Zufall oder Vernachläſsigung gekommen sey. Livius war ein freymüthiger, kühner, entschlossener Mann, ein warmer Patriot und Verehrer der Freyheit,
<TEI><text><body><div><p><hirendition="#i"><pbfacs="#f0133"n="107"/>
exteros merito colatur. Valeas, nostrumque civem ames<lb/>
ac nobis faveas</hi>. Der Mann sagte dieses mit einer<lb/>
Herzlichkeit und einer gewissen klassischen Wichtig¬<lb/>
keit, die ihm sehr wohl anstand.</p><lb/><p>Von Livius weg ging ich mit dem Livius im Ko¬<lb/>
pfe gerades Weges durch seine alte trojanische Vater¬<lb/>
stadt in das klassische Land hinein, das ehemahls so<lb/>
groſse Männer gab. Du weiſst, daſs ich sehr wenig<lb/>
Literator bin; weiſst aber auch, daſs ich von der Schule<lb/>
aus noch viel Vergnügen habe, dann und wann einen<lb/>
alten Knaster in seiner eigenen Sprache zu lesen. Li¬<lb/>
vius war immer einer meiner Lieblinge, ob ich gleich<lb/>
Thucydides noch lieber habe. Ich wiederhole also<lb/>
wahrscheinlich zum zehentausendsten Mahle die Klage,<lb/>
daſs wir ihn nicht mehr ganz besitzen, und finde den<lb/>
übereilten etwas rodomantadischen Lärm, den man<lb/>
vor einiger Zeit hier und da über seine Wiederfin¬<lb/>
dung gemacht hat, sehr verzeihlich. Ein Gedanke<lb/>
knüpfte sich an den andern; und da fand ich denn in<lb/>
meinem Sinn, daſs wir wohl schwerlich den ganzen<lb/>
Livius wieder haben werden. Freylich ist das zu be¬<lb/>
dauern; denn gerade die wichtigsten Epochen der rö¬<lb/>
mischen Geschichte für öffentliches Recht und Men¬<lb/>
schenkunde, und wo sich unstreitig das Genie und die<lb/>
Freymüthigkeit des Livius in ihrem ganzen Gange ge¬<lb/>
zeigt hat, der Sklavenkrieg und die Triumvirate sind<lb/>
verloren: aber was kann Klage helfen? Den Verlust<lb/>
erkläre ich mir so. Ich glaube durchaus nicht, daſs<lb/>
er aus Zufall oder Vernachläſsigung gekommen sey.<lb/>
Livius war ein freymüthiger, kühner, entschlossener<lb/>
Mann, ein warmer Patriot und Verehrer der Freyheit,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[107/0133]
exteros merito colatur. Valeas, nostrumque civem ames
ac nobis faveas. Der Mann sagte dieses mit einer
Herzlichkeit und einer gewissen klassischen Wichtig¬
keit, die ihm sehr wohl anstand.
Von Livius weg ging ich mit dem Livius im Ko¬
pfe gerades Weges durch seine alte trojanische Vater¬
stadt in das klassische Land hinein, das ehemahls so
groſse Männer gab. Du weiſst, daſs ich sehr wenig
Literator bin; weiſst aber auch, daſs ich von der Schule
aus noch viel Vergnügen habe, dann und wann einen
alten Knaster in seiner eigenen Sprache zu lesen. Li¬
vius war immer einer meiner Lieblinge, ob ich gleich
Thucydides noch lieber habe. Ich wiederhole also
wahrscheinlich zum zehentausendsten Mahle die Klage,
daſs wir ihn nicht mehr ganz besitzen, und finde den
übereilten etwas rodomantadischen Lärm, den man
vor einiger Zeit hier und da über seine Wiederfin¬
dung gemacht hat, sehr verzeihlich. Ein Gedanke
knüpfte sich an den andern; und da fand ich denn in
meinem Sinn, daſs wir wohl schwerlich den ganzen
Livius wieder haben werden. Freylich ist das zu be¬
dauern; denn gerade die wichtigsten Epochen der rö¬
mischen Geschichte für öffentliches Recht und Men¬
schenkunde, und wo sich unstreitig das Genie und die
Freymüthigkeit des Livius in ihrem ganzen Gange ge¬
zeigt hat, der Sklavenkrieg und die Triumvirate sind
verloren: aber was kann Klage helfen? Den Verlust
erkläre ich mir so. Ich glaube durchaus nicht, daſs
er aus Zufall oder Vernachläſsigung gekommen sey.
Livius war ein freymüthiger, kühner, entschlossener
Mann, ein warmer Patriot und Verehrer der Freyheit,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/133>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.