verstümmelt, wie wir ihn jetzt haben. So stelle ich mir die Sache vor. Und gesetzt die wichtigen Bruch¬ stücke fänden sich noch irgendwo in einem sel¬ tenen Exemplar unter einem Aschenhaufen des Vul¬ kans, so kannst Du, aus der Analogie der neuen Herr¬ scher mit den alten, ziemlich sicher darauf rechnen, dass wir die Schätze nicht erhalten werden; zumahl bey dem erneuerten und vergrösserten Argwohn, der seit einigen Jahrzehenden zwischen den Machthabern und den Beherrschten Statt hat. Wenn ich mich irre, soll es mir lieb seyn; denn ich wollte drey Fussreisen von der Elbe an den Liris machen, um dort von dem Livius den Spartakus zu lesen, den ich für einen der grössten und besten römischen Feldherren zu halten in Gefahr bin.
Unter diesen Ueberlegungen, deren Konsequenz ich Dir überlasse, wandelte ich die Strasse nach Ro¬ vigo fort. Diese Seite von Venedig ist nicht halb so schön als die andere von Treviso nach Mestre: die Ueberschwemmungen mit dem neuen Regenwasser hat¬ ten die Wege traurig zugerichtet, und ich zog sehr schwer durch den fetten Boden Italiens weiter. Ueber¬ all war der Segen des Himmels mit Verschwendung über die Gegend ausgeschüttet, und überall war in den Hütten die jämmerlichste Armuth. Vermuthlich war diess noch mit Folge des Kriegs. Nicht weit von Montselice kehrte ich zu Mittage an der Strasse in ei¬ nem Wirthshause ein, das nicht die schlimmste Miene hatte, und fand nichts, durchaus nichts, als etwas Wein. Ich wartete eine halbe Stunde und wollte viel zahlen, wenn man mir aus den benachbarten Häusern
verstümmelt, wie wir ihn jetzt haben. So stelle ich mir die Sache vor. Und gesetzt die wichtigen Bruch¬ stücke fänden sich noch irgendwo in einem sel¬ tenen Exemplar unter einem Aschenhaufen des Vul¬ kans, so kannst Du, aus der Analogie der neuen Herr¬ scher mit den alten, ziemlich sicher darauf rechnen, daſs wir die Schätze nicht erhalten werden; zumahl bey dem erneuerten und vergröſserten Argwohn, der seit einigen Jahrzehenden zwischen den Machthabern und den Beherrschten Statt hat. Wenn ich mich irre, soll es mir lieb seyn; denn ich wollte drey Fuſsreisen von der Elbe an den Liris machen, um dort von dem Livius den Spartakus zu lesen, den ich für einen der gröſsten und besten römischen Feldherren zu halten in Gefahr bin.
Unter diesen Ueberlegungen, deren Konsequenz ich Dir überlasse, wandelte ich die Straſse nach Ro¬ vigo fort. Diese Seite von Venedig ist nicht halb so schön als die andere von Treviso nach Mestre: die Ueberschwemmungen mit dem neuen Regenwasser hat¬ ten die Wege traurig zugerichtet, und ich zog sehr schwer durch den fetten Boden Italiens weiter. Ueber¬ all war der Segen des Himmels mit Verschwendung über die Gegend ausgeschüttet, und überall war in den Hütten die jämmerlichste Armuth. Vermuthlich war dieſs noch mit Folge des Kriegs. Nicht weit von Montselice kehrte ich zu Mittage an der Straſse in ei¬ nem Wirthshause ein, das nicht die schlimmste Miene hatte, und fand nichts, durchaus nichts, als etwas Wein. Ich wartete eine halbe Stunde und wollte viel zahlen, wenn man mir aus den benachbarten Häusern
<TEI><text><body><div><p><pbfacs="#f0135"n="109"/>
verstümmelt, wie wir ihn jetzt haben. So stelle ich<lb/>
mir die Sache vor. Und gesetzt die wichtigen Bruch¬<lb/>
stücke fänden sich noch irgendwo in einem sel¬<lb/>
tenen Exemplar unter einem Aschenhaufen des Vul¬<lb/>
kans, so kannst Du, aus der Analogie der neuen Herr¬<lb/>
scher mit den alten, ziemlich sicher darauf rechnen,<lb/>
daſs wir die Schätze nicht erhalten werden; zumahl<lb/>
bey dem erneuerten und vergröſserten Argwohn, der<lb/>
seit einigen Jahrzehenden zwischen den Machthabern<lb/>
und den Beherrschten Statt hat. Wenn ich mich irre,<lb/>
soll es mir lieb seyn; denn ich wollte drey Fuſsreisen<lb/>
von der Elbe an den Liris machen, um dort von dem<lb/>
Livius den Spartakus zu lesen, den ich für einen der<lb/>
gröſsten und besten römischen Feldherren zu halten<lb/>
in Gefahr bin.</p><lb/><p>Unter diesen Ueberlegungen, deren Konsequenz<lb/>
ich Dir überlasse, wandelte ich die Straſse nach Ro¬<lb/>
vigo fort. Diese Seite von Venedig ist nicht halb so<lb/>
schön als die andere von Treviso nach Mestre: die<lb/>
Ueberschwemmungen mit dem neuen Regenwasser hat¬<lb/>
ten die Wege traurig zugerichtet, und ich zog sehr<lb/>
schwer durch den fetten Boden Italiens weiter. Ueber¬<lb/>
all war der Segen des Himmels mit Verschwendung<lb/>
über die Gegend ausgeschüttet, und überall war in<lb/>
den Hütten die jämmerlichste Armuth. Vermuthlich<lb/>
war dieſs noch mit Folge des Kriegs. Nicht weit von<lb/>
Montselice kehrte ich zu Mittage an der Straſse in ei¬<lb/>
nem Wirthshause ein, das nicht die schlimmste Miene<lb/>
hatte, und fand nichts, durchaus nichts, als etwas<lb/>
Wein. Ich wartete eine halbe Stunde und wollte viel<lb/>
zahlen, wenn man mir aus den benachbarten Häusern<lb/></p></div></body></text></TEI>
[109/0135]
verstümmelt, wie wir ihn jetzt haben. So stelle ich
mir die Sache vor. Und gesetzt die wichtigen Bruch¬
stücke fänden sich noch irgendwo in einem sel¬
tenen Exemplar unter einem Aschenhaufen des Vul¬
kans, so kannst Du, aus der Analogie der neuen Herr¬
scher mit den alten, ziemlich sicher darauf rechnen,
daſs wir die Schätze nicht erhalten werden; zumahl
bey dem erneuerten und vergröſserten Argwohn, der
seit einigen Jahrzehenden zwischen den Machthabern
und den Beherrschten Statt hat. Wenn ich mich irre,
soll es mir lieb seyn; denn ich wollte drey Fuſsreisen
von der Elbe an den Liris machen, um dort von dem
Livius den Spartakus zu lesen, den ich für einen der
gröſsten und besten römischen Feldherren zu halten
in Gefahr bin.
Unter diesen Ueberlegungen, deren Konsequenz
ich Dir überlasse, wandelte ich die Straſse nach Ro¬
vigo fort. Diese Seite von Venedig ist nicht halb so
schön als die andere von Treviso nach Mestre: die
Ueberschwemmungen mit dem neuen Regenwasser hat¬
ten die Wege traurig zugerichtet, und ich zog sehr
schwer durch den fetten Boden Italiens weiter. Ueber¬
all war der Segen des Himmels mit Verschwendung
über die Gegend ausgeschüttet, und überall war in
den Hütten die jämmerlichste Armuth. Vermuthlich
war dieſs noch mit Folge des Kriegs. Nicht weit von
Montselice kehrte ich zu Mittage an der Straſse in ei¬
nem Wirthshause ein, das nicht die schlimmste Miene
hatte, und fand nichts, durchaus nichts, als etwas
Wein. Ich wartete eine halbe Stunde und wollte viel
zahlen, wenn man mir aus den benachbarten Häusern
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/135>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.