Ich bat die guten Bruttier um Verzeihung für mein Misstrauen und meinen Unglauben, und wanderte für¬ bass. Der Hunger fing an mir ziemlich unbequem zu werden, als ich rechts am Wege ein ziemlich schmu¬ tziges Schild erblickte und nach einem Frühstück fragte. Da war nichts als Klage über Brotmangel. Endlich fand sich, da ich viel bat und viel bot, doch noch Wein und Brot. Das Brot war schlecht, aber der Wein desto besser. Ich war nüchtern, hatte schon viel Weg gemacht, war warm und trank in grossen Zügen das Rebengeschenk, das wie die Gabe aus Gal¬ liens Kampanien perlte und wie Nektar hinunter glitt. Ich trank reichlich, denn ich war durstig; und als ich die Kaupone verliess, war es als schwebte ich davon, und als wäre mir der Geist des Gottes sogar in die Fersen gefahren. So viel erinnere ich mich, ich machte Verse, die mir in meiner Seligkeit ganz gut vorkamen. Schade, dass ich nicht Zeit und Stimmung hatte sie aufzuschreiben; so würdest Du doch wenig¬ stens sehen, wie mir Lyäus dichten hilft; denn meine übrige Arbeit ist sehr nüchtern. Die Feldarbeiter be¬ trachteten mich aufmerksam, wie ich den Weg dahin schaukelte; und ich glaube, ich tanzte die Verse ab. Da fragte mich ganz pathetisch ein Eselstreiber: Vo¬ lete andare a Cavallo, Signore? Ich sah seine Kaval¬ lerie an, rieb mir zweifelnd die Augen und dachte: Sonst macht wohl der Wein die Esel zu Pferden: hat er denn hier die Pferde zu Eseln gemacht? Aber ich mochte reiben und gucken, so viel ich wollte, und meine Nase komisch mit dem Hofmannischen Glase bebrillen; die Erscheinungen blieben Esel; und ich
Ich bat die guten Bruttier um Verzeihung für mein Miſstrauen und meinen Unglauben, und wanderte für¬ baſs. Der Hunger fing an mir ziemlich unbequem zu werden, als ich rechts am Wege ein ziemlich schmu¬ tziges Schild erblickte und nach einem Frühstück fragte. Da war nichts als Klage über Brotmangel. Endlich fand sich, da ich viel bat und viel bot, doch noch Wein und Brot. Das Brot war schlecht, aber der Wein desto besser. Ich war nüchtern, hatte schon viel Weg gemacht, war warm und trank in groſsen Zügen das Rebengeschenk, das wie die Gabe aus Gal¬ liens Kampanien perlte und wie Nektar hinunter glitt. Ich trank reichlich, denn ich war durstig; und als ich die Kaupone verlieſs, war es als schwebte ich davon, und als wäre mir der Geist des Gottes sogar in die Fersen gefahren. So viel erinnere ich mich, ich machte Verse, die mir in meiner Seligkeit ganz gut vorkamen. Schade, daſs ich nicht Zeit und Stimmung hatte sie aufzuschreiben; so würdest Du doch wenig¬ stens sehen, wie mir Lyäus dichten hilft; denn meine übrige Arbeit ist sehr nüchtern. Die Feldarbeiter be¬ trachteten mich aufmerksam, wie ich den Weg dahin schaukelte; und ich glaube, ich tanzte die Verse ab. Da fragte mich ganz pathetisch ein Eselstreiber: Vo¬ lete andare a Cavallo, Signore? Ich sah seine Kaval¬ lerie an, rieb mir zweifelnd die Augen und dachte: Sonst macht wohl der Wein die Esel zu Pferden: hat er denn hier die Pferde zu Eseln gemacht? Aber ich mochte reiben und gucken, so viel ich wollte, und meine Nase komisch mit dem Hofmannischen Glase bebrillen; die Erscheinungen blieben Esel; und ich
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Ich bat die guten Bruttier um Verzeihung für mein
Miſstrauen und meinen Unglauben, und wanderte für¬
baſs. Der Hunger fing an mir ziemlich unbequem zu
werden, als ich rechts am Wege ein ziemlich schmu¬
tziges Schild erblickte und nach einem Frühstück
fragte. Da war nichts als Klage über Brotmangel.
Endlich fand sich, da ich viel bat und viel bot, doch
noch Wein und Brot. Das Brot war schlecht, aber
der Wein desto besser. Ich war nüchtern, hatte schon
viel Weg gemacht, war warm und trank in groſsen
Zügen das Rebengeschenk, das wie die Gabe aus Gal¬
liens Kampanien perlte und wie Nektar hinunter glitt.
Ich trank reichlich, denn ich war durstig; und als ich
die Kaupone verlieſs, war es als schwebte ich davon,
und als wäre mir der Geist des Gottes sogar in die
Fersen gefahren. So viel erinnere ich mich, ich
machte Verse, die mir in meiner Seligkeit ganz gut
vorkamen. Schade, daſs ich nicht Zeit und Stimmung
hatte sie aufzuschreiben; so würdest Du doch wenig¬
stens sehen, wie mir Lyäus dichten hilft; denn meine
übrige Arbeit ist sehr nüchtern. Die Feldarbeiter be¬
trachteten mich aufmerksam, wie ich den Weg dahin
schaukelte; und ich glaube, ich tanzte die Verse ab.
Da fragte mich ganz pathetisch ein Eselstreiber: Vo¬
lete andare a Cavallo, Signore? Ich sah seine Kaval¬
lerie an, rieb mir zweifelnd die Augen und dachte:
Sonst macht wohl der Wein die Esel zu Pferden: hat
er denn hier die Pferde zu Eseln gemacht? Aber ich
mochte reiben und gucken, so viel ich wollte, und
meine Nase komisch mit dem Hofmannischen Glase
bebrillen; die Erscheinungen blieben Esel; und ich
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/165>, abgerufen am 30.11.2024.
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