Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

ist er nicht mehr der Liebling seiner Freunde und
der Grazien, der die Freude bey den Fittichen zu hal¬
ten verstand und sie rund umher gab. Wo auch seine
Asche ruht, ein Biederer müsse hingehen und sie seg¬
nen. Keine seiner Schwachheiten werde gedacht; er
machte durch sein Herz gut, was sein Kopf versah.

Nun ging ich vergnügt und froh die schöne ma¬
gische Gegend hinauf und hinab, bis hinunter wo der
Nachricht zufolge ehemahls Ciceros Formiä stand, bis
an den Liris hinab. Langsam wallte ich dahin; mich
däuchte ich sähe die Schatten des Redners und des
Feldherrn, des Tullius und des Marius, daher ziehen.
Hier legte der Patriot den Kopf zur Sänfte heraus,
und liess sich von dem Hauptmann, dem er das Leben
gerettet hatte, entschlossen den Lohn für seine Philip¬
piken zahlen. Es ist mir der ehrwürdigste Moment in
Ciceros Leben; der einzige vielleicht, wo er wirklich
ganz rein als selbständiger Mann gehandelt hat. Als
er gegen Verres sprach, war es vielleicht Ruhmsucht
von der Rednerbühne zu glänzen; Gefahr war nicht
dabey: als er gegen Katilina donnerte, stand seine Exi¬
stenz auf dem Spiel und er hatte keine andere Wahl
als zu handeln oder mit zu Grunde zu gehen; als er
gegen Antonius wüthete, trieben ihn wahrscheinlich
Hass und Partheysucht. Im Glück prahlte er, im Un¬
glück jammerte er: er zeigte in seinem ganzen Leben
oft viel Ehrlichkeit und Wohlwollen; aber nur im
Tode den Muth, der dem Manne ziemt. Sein Tod
hat mich in gewisser Rücksicht mit seinem Leben aus¬
gesöhnt; so wie es Männer in der Geschichte giebt,
deren Tod fast das Verdienst ihres Lebens auslöscht,

12

ist er nicht mehr der Liebling seiner Freunde und
der Grazien, der die Freude bey den Fittichen zu hal¬
ten verstand und sie rund umher gab. Wo auch seine
Asche ruht, ein Biederer müsse hingehen und sie seg¬
nen. Keine seiner Schwachheiten werde gedacht; er
machte durch sein Herz gut, was sein Kopf versah.

Nun ging ich vergnügt und froh die schöne ma¬
gische Gegend hinauf und hinab, bis hinunter wo der
Nachricht zufolge ehemahls Ciceros Formiä stand, bis
an den Liris hinab. Langsam wallte ich dahin; mich
däuchte ich sähe die Schatten des Redners und des
Feldherrn, des Tullius und des Marius, daher ziehen.
Hier legte der Patriot den Kopf zur Sänfte heraus,
und lieſs sich von dem Hauptmann, dem er das Leben
gerettet hatte, entschlossen den Lohn für seine Philip¬
piken zahlen. Es ist mir der ehrwürdigste Moment in
Ciceros Leben; der einzige vielleicht, wo er wirklich
ganz rein als selbständiger Mann gehandelt hat. Als
er gegen Verres sprach, war es vielleicht Ruhmsucht
von der Rednerbühne zu glänzen; Gefahr war nicht
dabey: als er gegen Katilina donnerte, stand seine Exi¬
stenz auf dem Spiel und er hatte keine andere Wahl
als zu handeln oder mit zu Grunde zu gehen; als er
gegen Antonius wüthete, trieben ihn wahrscheinlich
Haſs und Partheysucht. Im Glück prahlte er, im Un¬
glück jammerte er: er zeigte in seinem ganzen Leben
oft viel Ehrlichkeit und Wohlwollen; aber nur im
Tode den Muth, der dem Manne ziemt. Sein Tod
hat mich in gewisser Rücksicht mit seinem Leben aus¬
gesöhnt; so wie es Männer in der Geschichte giebt,
deren Tod fast das Verdienst ihres Lebens auslöscht,

12
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0203" n="177"/>
ist er nicht mehr der Liebling seiner Freunde und<lb/>
der Grazien, der die Freude bey den Fittichen zu hal¬<lb/>
ten verstand und sie rund umher gab. Wo auch seine<lb/>
Asche ruht, ein Biederer müsse hingehen und sie seg¬<lb/>
nen. Keine seiner Schwachheiten werde gedacht; er<lb/>
machte durch sein Herz gut, was sein Kopf versah.</p><lb/>
        <p>Nun ging ich vergnügt und froh die schöne ma¬<lb/>
gische Gegend hinauf und hinab, bis hinunter wo der<lb/>
Nachricht zufolge ehemahls Ciceros Formiä stand, bis<lb/>
an den Liris hinab. Langsam wallte ich dahin; mich<lb/>
däuchte ich sähe die Schatten des Redners und des<lb/>
Feldherrn, des Tullius und des Marius, daher ziehen.<lb/>
Hier legte der Patriot den Kopf zur Sänfte heraus,<lb/>
und lie&#x017F;s sich von dem Hauptmann, dem er das Leben<lb/>
gerettet hatte, entschlossen den Lohn für seine Philip¬<lb/>
piken zahlen. Es ist mir der ehrwürdigste Moment in<lb/>
Ciceros Leben; der einzige vielleicht, wo er wirklich<lb/>
ganz rein als selbständiger Mann gehandelt hat. Als<lb/>
er gegen Verres sprach, war es vielleicht Ruhmsucht<lb/>
von der Rednerbühne zu glänzen; Gefahr war nicht<lb/>
dabey: als er gegen Katilina donnerte, stand seine Exi¬<lb/>
stenz auf dem Spiel und er hatte keine andere Wahl<lb/>
als zu handeln oder mit zu Grunde zu gehen; als er<lb/>
gegen Antonius wüthete, trieben ihn wahrscheinlich<lb/>
Ha&#x017F;s und Partheysucht. Im Glück prahlte er, im Un¬<lb/>
glück jammerte er: er zeigte in seinem ganzen Leben<lb/>
oft viel Ehrlichkeit und Wohlwollen; aber nur im<lb/>
Tode den Muth, der dem Manne ziemt. Sein Tod<lb/>
hat mich in gewisser Rücksicht mit seinem Leben aus¬<lb/>
gesöhnt; so wie es Männer in der Geschichte giebt,<lb/>
deren Tod fast das Verdienst ihres Lebens auslöscht,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">12<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[177/0203] ist er nicht mehr der Liebling seiner Freunde und der Grazien, der die Freude bey den Fittichen zu hal¬ ten verstand und sie rund umher gab. Wo auch seine Asche ruht, ein Biederer müsse hingehen und sie seg¬ nen. Keine seiner Schwachheiten werde gedacht; er machte durch sein Herz gut, was sein Kopf versah. Nun ging ich vergnügt und froh die schöne ma¬ gische Gegend hinauf und hinab, bis hinunter wo der Nachricht zufolge ehemahls Ciceros Formiä stand, bis an den Liris hinab. Langsam wallte ich dahin; mich däuchte ich sähe die Schatten des Redners und des Feldherrn, des Tullius und des Marius, daher ziehen. Hier legte der Patriot den Kopf zur Sänfte heraus, und lieſs sich von dem Hauptmann, dem er das Leben gerettet hatte, entschlossen den Lohn für seine Philip¬ piken zahlen. Es ist mir der ehrwürdigste Moment in Ciceros Leben; der einzige vielleicht, wo er wirklich ganz rein als selbständiger Mann gehandelt hat. Als er gegen Verres sprach, war es vielleicht Ruhmsucht von der Rednerbühne zu glänzen; Gefahr war nicht dabey: als er gegen Katilina donnerte, stand seine Exi¬ stenz auf dem Spiel und er hatte keine andere Wahl als zu handeln oder mit zu Grunde zu gehen; als er gegen Antonius wüthete, trieben ihn wahrscheinlich Haſs und Partheysucht. Im Glück prahlte er, im Un¬ glück jammerte er: er zeigte in seinem ganzen Leben oft viel Ehrlichkeit und Wohlwollen; aber nur im Tode den Muth, der dem Manne ziemt. Sein Tod hat mich in gewisser Rücksicht mit seinem Leben aus¬ gesöhnt; so wie es Männer in der Geschichte giebt, deren Tod fast das Verdienst ihres Lebens auslöscht, 12

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/203
Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/203>, abgerufen am 27.11.2024.