über meine Verwegenheit, dass ich zu Fusse weiter reisen wollte. Hier hatte ich ein Unglück, das mich auch den Weg allein fortzusetzen zwang. Mein Be¬ gleiter von Agrigent war sehr fromm, es war Fasten; er ass so viel Paste, dass ich über seine Capacität er¬ staunte. Indess ein Sicilianer dieser Art hat seine Ta¬ lente, die unser einer nicht immer beurtheilen kann. Ich mochte nichts sagen; er hätte glauben können, es wäre wegen der Bezahlung. Wir gingen fort; aber kaum waren wir eine halbe Stunde gegangen, so fing die Paste an zu schwellen, und verursachte dem Men¬ schen fürchterliche Passionen. Ich fing nun an ihm den Sermon zu halten, warum er so viel von dem Zeug und nicht lieber etwas mit mir gegessen habe. Hier rührte ihn von neuem das Gewissen, und er be¬ kannte mir, er habe schon furchtbare Angst gehabt, dass er mit mir in der Fasten zu Fontana fredda eine halbe Taube gegessen. Sein Beichtvater habe ihn hart darüber angelassen. Die Sache ward nun schlimmer. Er fiel nieder, wälzte sich und schrie vor Schmerz und konnte durchaus nicht fort. Was sollte ich thun? Ich konnte hier nicht bleiben. Nachdem ich ihm so derb und sanft als möglich den Text über seinen un¬ vernünftigen Frass gelesen hatte, nahm ich ihm mei¬ nen Sack ab, übergab ihn seinem Freunde und Lands¬ manne, überliess ihn seinen Heiligen und ging weiter. Es war mir lieb, dass ich ihn so gut versorgt sah; ich hätte ihm nicht helfen können: doch that es mir um den armen dummen Teufel leid. Ich habe nachher erfahren, dass er sich erholt hat. Wenn er gestorben wäre, wäre es gewiss zum Wunder bloss darum gewe¬
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über meine Verwegenheit, daſs ich zu Fuſse weiter reisen wollte. Hier hatte ich ein Unglück, das mich auch den Weg allein fortzusetzen zwang. Mein Be¬ gleiter von Agrigent war sehr fromm, es war Fasten; er aſs so viel Paste, daſs ich über seine Capacität er¬ staunte. Indeſs ein Sicilianer dieser Art hat seine Ta¬ lente, die unser einer nicht immer beurtheilen kann. Ich mochte nichts sagen; er hätte glauben können, es wäre wegen der Bezahlung. Wir gingen fort; aber kaum waren wir eine halbe Stunde gegangen, so fing die Paste an zu schwellen, und verursachte dem Men¬ schen fürchterliche Passionen. Ich fing nun an ihm den Sermon zu halten, warum er so viel von dem Zeug und nicht lieber etwas mit mir gegessen habe. Hier rührte ihn von neuem das Gewissen, und er be¬ kannte mir, er habe schon furchtbare Angst gehabt, daſs er mit mir in der Fasten zu Fontana fredda eine halbe Taube gegessen. Sein Beichtvater habe ihn hart darüber angelassen. Die Sache ward nun schlimmer. Er fiel nieder, wälzte sich und schrie vor Schmerz und konnte durchaus nicht fort. Was sollte ich thun? Ich konnte hier nicht bleiben. Nachdem ich ihm so derb und sanft als möglich den Text über seinen un¬ vernünftigen Fraſs gelesen hatte, nahm ich ihm mei¬ nen Sack ab, übergab ihn seinem Freunde und Lands¬ manne, überlieſs ihn seinen Heiligen und ging weiter. Es war mir lieb, daſs ich ihn so gut versorgt sah; ich hätte ihm nicht helfen können: doch that es mir um den armen dummen Teufel leid. Ich habe nachher erfahren, daſs er sich erholt hat. Wenn er gestorben wäre, wäre es gewiſs zum Wunder bloſs darum gewe¬
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über meine Verwegenheit, daſs ich zu Fuſse weiter
reisen wollte. Hier hatte ich ein Unglück, das mich
auch den Weg allein fortzusetzen zwang. Mein Be¬
gleiter von Agrigent war sehr fromm, es war Fasten;
er aſs so viel Paste, daſs ich über seine Capacität er¬
staunte. Indeſs ein Sicilianer dieser Art hat seine Ta¬
lente, die unser einer nicht immer beurtheilen kann.
Ich mochte nichts sagen; er hätte glauben können, es
wäre wegen der Bezahlung. Wir gingen fort; aber
kaum waren wir eine halbe Stunde gegangen, so fing
die Paste an zu schwellen, und verursachte dem Men¬
schen fürchterliche Passionen. Ich fing nun an ihm
den Sermon zu halten, warum er so viel von dem
Zeug und nicht lieber etwas mit mir gegessen habe.
Hier rührte ihn von neuem das Gewissen, und er be¬
kannte mir, er habe schon furchtbare Angst gehabt,
daſs er mit mir in der Fasten zu Fontana fredda eine
halbe Taube gegessen. Sein Beichtvater habe ihn hart
darüber angelassen. Die Sache ward nun schlimmer.
Er fiel nieder, wälzte sich und schrie vor Schmerz
und konnte durchaus nicht fort. Was sollte ich thun?
Ich konnte hier nicht bleiben. Nachdem ich ihm so
derb und sanft als möglich den Text über seinen un¬
vernünftigen Fraſs gelesen hatte, nahm ich ihm mei¬
nen Sack ab, übergab ihn seinem Freunde und Lands¬
manne, überlieſs ihn seinen Heiligen und ging weiter.
Es war mir lieb, daſs ich ihn so gut versorgt sah; ich
hätte ihm nicht helfen können: doch that es mir um
den armen dummen Teufel leid. Ich habe nachher
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/251>, abgerufen am 22.11.2024.
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