Messina ist reich an Statuen ihrer Könige, von denen einige nicht schlecht sind. Ich habe stunden¬ lang vor dem Bilde Philipps des zweyten gestanden, und die Geschichte aus seinem Gesichte gesucht. Mich däucht, er trägt sie darauf; und selbst Schiller scheint seinen Charakter desselben von so einem Kopfe genom¬ men zu haben. Die heilige Jungfrau ist bekanntlich die vorzügliche Patronin der Messinesen, und Du kannst nicht glauben, wie fest und heilig sie noch auf ihren Schutzbrief halten. Wenn sie hier nicht im Erd¬ beben hilft, so wie Agatha in Katanien den Berg nicht zähmt, so müssen freylich die Sünder gestraft werden. Ich hatte so eben Gelegenheit, eine grosse feyerliche Ceremonie ihr zu Ehren zu sehen. Die ganze Geistlichkeit mit einem ziemlich ansehnlichen Gefolge vom weltlichen Arm hielt das Palmenfest. Mich wundert nicht, dass die Palmen in Sicilien nicht besser fortkommen und immer seltener werden, wenn man sie alle Jahre auf diese Art so gewissenlos plün¬ dert. Alles trug Palmenzweige, und wer keinen von den Bäumen mehr haben konnte, der hatte sich einen schnitzen und färben lassen. Der Aufzug wäre pos¬ sierlich gewesen, wenn er nicht zu ernsthaft gewesen wäre. Ein Mönch predigte sodann in der Kathedral¬ kirche eine halbe Stunde von der heiligen Jungfrau und ihrem gewaltigen Kredit im Himmel, und ihrer besondern Gnade gegen die Stadt, und führte dafür Beweise an, wo selbst der ächteste gläubigste Katholik hätte ausrufen mögen: Credat Judaeus apella! Sodann kam der Erzbischof in einem Ungeheuern alten vergol¬ deten Staatswagen mit vier stattlichen Mauleseln, stieg
Messina ist reich an Statuen ihrer Könige, von denen einige nicht schlecht sind. Ich habe stunden¬ lang vor dem Bilde Philipps des zweyten gestanden, und die Geschichte aus seinem Gesichte gesucht. Mich däucht, er trägt sie darauf; und selbst Schiller scheint seinen Charakter desselben von so einem Kopfe genom¬ men zu haben. Die heilige Jungfrau ist bekanntlich die vorzügliche Patronin der Messinesen, und Du kannst nicht glauben, wie fest und heilig sie noch auf ihren Schutzbrief halten. Wenn sie hier nicht im Erd¬ beben hilft, so wie Agatha in Katanien den Berg nicht zähmt, so müssen freylich die Sünder gestraft werden. Ich hatte so eben Gelegenheit, eine groſse feyerliche Ceremonie ihr zu Ehren zu sehen. Die ganze Geistlichkeit mit einem ziemlich ansehnlichen Gefolge vom weltlichen Arm hielt das Palmenfest. Mich wundert nicht, daſs die Palmen in Sicilien nicht besser fortkommen und immer seltener werden, wenn man sie alle Jahre auf diese Art so gewissenlos plün¬ dert. Alles trug Palmenzweige, und wer keinen von den Bäumen mehr haben konnte, der hatte sich einen schnitzen und färben lassen. Der Aufzug wäre pos¬ sierlich gewesen, wenn er nicht zu ernsthaft gewesen wäre. Ein Mönch predigte sodann in der Kathedral¬ kirche eine halbe Stunde von der heiligen Jungfrau und ihrem gewaltigen Kredit im Himmel, und ihrer besondern Gnade gegen die Stadt, und führte dafür Beweise an, wo selbst der ächteste gläubigste Katholik hätte ausrufen mögen: Credat Judaeus apella! Sodann kam der Erzbischof in einem Ungeheuern alten vergol¬ deten Staatswagen mit vier stattlichen Mauleseln, stieg
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Messina ist reich an Statuen ihrer Könige, von
denen einige nicht schlecht sind. Ich habe stunden¬
lang vor dem Bilde Philipps des zweyten gestanden,
und die Geschichte aus seinem Gesichte gesucht. Mich
däucht, er trägt sie darauf; und selbst Schiller scheint
seinen Charakter desselben von so einem Kopfe genom¬
men zu haben. Die heilige Jungfrau ist bekanntlich
die vorzügliche Patronin der Messinesen, und Du
kannst nicht glauben, wie fest und heilig sie noch auf
ihren Schutzbrief halten. Wenn sie hier nicht im Erd¬
beben hilft, so wie Agatha in Katanien den Berg
nicht zähmt, so müssen freylich die Sünder gestraft
werden. Ich hatte so eben Gelegenheit, eine groſse
feyerliche Ceremonie ihr zu Ehren zu sehen. Die
ganze Geistlichkeit mit einem ziemlich ansehnlichen
Gefolge vom weltlichen Arm hielt das Palmenfest.
Mich wundert nicht, daſs die Palmen in Sicilien nicht
besser fortkommen und immer seltener werden, wenn
man sie alle Jahre auf diese Art so gewissenlos plün¬
dert. Alles trug Palmenzweige, und wer keinen von den
Bäumen mehr haben konnte, der hatte sich einen
schnitzen und färben lassen. Der Aufzug wäre pos¬
sierlich gewesen, wenn er nicht zu ernsthaft gewesen
wäre. Ein Mönch predigte sodann in der Kathedral¬
kirche eine halbe Stunde von der heiligen Jungfrau
und ihrem gewaltigen Kredit im Himmel, und ihrer
besondern Gnade gegen die Stadt, und führte dafür
Beweise an, wo selbst der ächteste gläubigste Katholik
hätte ausrufen mögen: Credat Judaeus apella! Sodann
kam der Erzbischof in einem Ungeheuern alten vergol¬
deten Staatswagen mit vier stattlichen Mauleseln, stieg
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/326>, abgerufen am 22.11.2024.
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