Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

Bild:
<< vorherige Seite
Und machte sich zur Fahrt ins Licht bereit:
Da hab' ich denn in aller Stille
Die alte kumische Sibylle
Für Dich und mich um Rath gefragt;
Sie hat mir aber -- nichts gesagt.
Mit Danke nahm ich ihr Orakel an,
Und glaube, sie hat wohl gethan.

Kaum hatte ich diese Verschen kumisiert, als mein
Leiter mich aus meiner Andacht mit der Bemerkung
drollig genug weckte: Era questa Sibylla una grande
putana; e era qui un gabinetto segreto, dove fece
-- --
Hier brauchte er einige Töne, die in allen Sprachen
ziemlich verständlich sind. Nun war meine Prophe¬
tin sogleich eine Zigeunerin. Was doch die Phantasie
nicht alles macht, nachdem man nur die Sache ein
wenig höher oder tiefer nimmt! Die Leute fabeln hier,
dass aus der Höhle ein Gang nach Bajä und ein ande¬
rer nach Kumä gegangen sey, wo die Hexe ein zwey¬
tes Heiligthum hatte. Das ist sehr leicht möglich und
war vielleicht weiter nichts als der jetzige grosse Gang,
der nach dem Avernus und also nach Kumä offen
und nach dem Lukriner oder nach Bajä verschüttet ist.
Auch hier könnte er wieder sehr leicht geöffnet wer¬
den. Die ganze Anlage ist ein Werk der Kunst, viel¬
leicht durch die schöne romantische Lage der Berge
und Seen und einige Felsenspalten veranlasst; aber
vermuthlich von hohem Alter. Die Wasservögel
schwimmen recht lustig auf dem Avernus herum, und
die Luft war auch nicht leer von Geflügel; so

Und machte sich zur Fahrt ins Licht bereit:
Da hab' ich denn in aller Stille
Die alte kumische Sibylle
Für Dich und mich um Rath gefragt;
Sie hat mir aber — nichts gesagt.
Mit Danke nahm ich ihr Orakel an,
Und glaube, sie hat wohl gethan.

Kaum hatte ich diese Verschen kumisiert, als mein
Leiter mich aus meiner Andacht mit der Bemerkung
drollig genug weckte: Era questa Sibylla una grande
putana; e era qui un gabinetto segreto, dove fece
— —
Hier brauchte er einige Töne, die in allen Sprachen
ziemlich verständlich sind. Nun war meine Prophe¬
tin sogleich eine Zigeunerin. Was doch die Phantasie
nicht alles macht, nachdem man nur die Sache ein
wenig höher oder tiefer nimmt! Die Leute fabeln hier,
daſs aus der Höhle ein Gang nach Bajä und ein ande¬
rer nach Kumä gegangen sey, wo die Hexe ein zwey¬
tes Heiligthum hatte. Das ist sehr leicht möglich und
war vielleicht weiter nichts als der jetzige groſse Gang,
der nach dem Avernus und also nach Kumä offen
und nach dem Lukriner oder nach Bajä verschüttet ist.
Auch hier könnte er wieder sehr leicht geöffnet wer¬
den. Die ganze Anlage ist ein Werk der Kunst, viel¬
leicht durch die schöne romantische Lage der Berge
und Seen und einige Felsenspalten veranlaſst; aber
vermuthlich von hohem Alter. Die Wasservögel
schwimmen recht lustig auf dem Avernus herum, und
die Luft war auch nicht leer von Geflügel; so

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0361" n="335"/>
          <l>Und machte sich zur Fahrt ins Licht bereit:</l><lb/>
          <l>Da hab' ich denn in aller Stille</l><lb/>
          <l>Die alte kumische Sibylle</l><lb/>
          <l>Für Dich und mich um Rath gefragt;</l><lb/>
          <l>Sie hat mir aber &#x2014; nichts gesagt.</l><lb/>
          <l>Mit Danke nahm ich ihr Orakel an,</l><lb/>
          <l>Und glaube, sie hat wohl gethan.</l><lb/>
        </lg><lb/>
        <p>Kaum hatte ich diese Verschen kumisiert, als mein<lb/>
Leiter mich aus meiner Andacht mit der Bemerkung<lb/>
drollig genug weckte: <hi rendition="#i">Era questa Sibylla una grande<lb/>
putana; e era qui un gabinetto segreto, dove fece</hi> &#x2014; &#x2014;<lb/>
Hier brauchte er einige Töne, die in allen Sprachen<lb/>
ziemlich verständlich sind. Nun war meine Prophe¬<lb/>
tin sogleich eine Zigeunerin. Was doch die Phantasie<lb/>
nicht alles macht, nachdem man nur die Sache ein<lb/>
wenig höher oder tiefer nimmt! Die Leute fabeln hier,<lb/>
da&#x017F;s aus der Höhle ein Gang nach Bajä und ein ande¬<lb/>
rer nach Kumä gegangen sey, wo die Hexe ein zwey¬<lb/>
tes Heiligthum hatte. Das ist sehr leicht möglich und<lb/>
war vielleicht weiter nichts als der jetzige gro&#x017F;se Gang,<lb/>
der nach dem Avernus und also nach Kumä offen<lb/>
und nach dem Lukriner oder nach Bajä verschüttet ist.<lb/>
Auch hier könnte er wieder sehr leicht geöffnet wer¬<lb/>
den. Die ganze Anlage ist ein Werk der Kunst, viel¬<lb/>
leicht durch die schöne romantische Lage der Berge<lb/>
und Seen und einige Felsenspalten veranla&#x017F;st; aber<lb/>
vermuthlich von hohem Alter. Die Wasservögel<lb/>
schwimmen recht lustig auf dem Avernus herum, und<lb/>
die Luft war auch nicht leer von Geflügel; so<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[335/0361] Und machte sich zur Fahrt ins Licht bereit: Da hab' ich denn in aller Stille Die alte kumische Sibylle Für Dich und mich um Rath gefragt; Sie hat mir aber — nichts gesagt. Mit Danke nahm ich ihr Orakel an, Und glaube, sie hat wohl gethan. Kaum hatte ich diese Verschen kumisiert, als mein Leiter mich aus meiner Andacht mit der Bemerkung drollig genug weckte: Era questa Sibylla una grande putana; e era qui un gabinetto segreto, dove fece — — Hier brauchte er einige Töne, die in allen Sprachen ziemlich verständlich sind. Nun war meine Prophe¬ tin sogleich eine Zigeunerin. Was doch die Phantasie nicht alles macht, nachdem man nur die Sache ein wenig höher oder tiefer nimmt! Die Leute fabeln hier, daſs aus der Höhle ein Gang nach Bajä und ein ande¬ rer nach Kumä gegangen sey, wo die Hexe ein zwey¬ tes Heiligthum hatte. Das ist sehr leicht möglich und war vielleicht weiter nichts als der jetzige groſse Gang, der nach dem Avernus und also nach Kumä offen und nach dem Lukriner oder nach Bajä verschüttet ist. Auch hier könnte er wieder sehr leicht geöffnet wer¬ den. Die ganze Anlage ist ein Werk der Kunst, viel¬ leicht durch die schöne romantische Lage der Berge und Seen und einige Felsenspalten veranlaſst; aber vermuthlich von hohem Alter. Die Wasservögel schwimmen recht lustig auf dem Avernus herum, und die Luft war auch nicht leer von Geflügel; so

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/361
Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/361>, abgerufen am 22.11.2024.