busen von Salerne hat. Ich konnte mich nicht ent¬ halten, dem jungen artigen Manne das schlimme Be¬ tragen seines Kameraden zu erzählen. Ich bin nicht gesonnen, sagte ich, mich in[...] der Fremde in Hän¬ del einzulassen; aber wenn ich den Namen des Offi¬ zieres wüsste und einige Tage hier bliebe, würde ich doch vielleicht seinen Chef fragen, ob dieses hier in der Disciplin gut heisse. Der junge Mann fing nun eine grosse lange Klage über viele Dinge an, die ich ihm sehr gern glaubte. Wir gingen eben vor einem Gefängnisse vorbey, aus dessen Gittern ein Kerl sah und uns anredete. Dieser Mensch hat vierzig umge¬ bracht, sagte der Offizier, als wir weiter gingen. Ich sah ihn an. Hoffentlich kann es ihm nicht bewiesen werden; erwiederte ich. -- Doch, doch; für wenig¬ stens die Hälfte könnte der Beweis komplett geführt werden. Mich überlief ein kalter Schauder: und die Regierung? fragte ich. Ach Gott, die Regierung, sagte er ganz leise, -- braucht ihn. Hier fasste es mich wie die Hölle. Ich hatte dergleichen Dinge oft gehört; jetzt sollte ich es sogar sehen. Freund, wenn ich ein Neapolitaner wäre, ich wäre in Versuchung aus ergrimmter Ehrlichkeit ein Bandit zu werden und mit dem Minister anzufangen. Welche Regierung ist das, die so entsetzlich mit dem Leben ihrer Bürger umgeht! Kann man sich eine grössere Summe von Abscheulichkeit und Niederträchtigkeit denken? Jetzt wird er hoffentlich seine Strafe bekommen; sagte ich zu meinem unbekannten Freunde. Ach nein, antwor¬ tete er; jetzt sitzt er wegen eines kleinen Subordina¬ tionsfehlers, und morgen früh kommt er los. -- Wie¬
busen von Salerne hat. Ich konnte mich nicht ent¬ halten, dem jungen artigen Manne das schlimme Be¬ tragen seines Kameraden zu erzählen. Ich bin nicht gesonnen, sagte ich, mich in[…] der Fremde in Hän¬ del einzulassen; aber wenn ich den Namen des Offi¬ zieres wüſste und einige Tage hier bliebe, würde ich doch vielleicht seinen Chef fragen, ob dieses hier in der Disciplin gut heiſse. Der junge Mann fing nun eine groſse lange Klage über viele Dinge an, die ich ihm sehr gern glaubte. Wir gingen eben vor einem Gefängnisse vorbey, aus dessen Gittern ein Kerl sah und uns anredete. Dieser Mensch hat vierzig umge¬ bracht, sagte der Offizier, als wir weiter gingen. Ich sah ihn an. Hoffentlich kann es ihm nicht bewiesen werden; erwiederte ich. — Doch, doch; für wenig¬ stens die Hälfte könnte der Beweis komplett geführt werden. Mich überlief ein kalter Schauder: und die Regierung? fragte ich. Ach Gott, die Regierung, sagte er ganz leise, — braucht ihn. Hier faſste es mich wie die Hölle. Ich hatte dergleichen Dinge oft gehört; jetzt sollte ich es sogar sehen. Freund, wenn ich ein Neapolitaner wäre, ich wäre in Versuchung aus ergrimmter Ehrlichkeit ein Bandit zu werden und mit dem Minister anzufangen. Welche Regierung ist das, die so entsetzlich mit dem Leben ihrer Bürger umgeht! Kann man sich eine gröſsere Summe von Abscheulichkeit und Niederträchtigkeit denken? Jetzt wird er hoffentlich seine Strafe bekommen; sagte ich zu meinem unbekannten Freunde. Ach nein, antwor¬ tete er; jetzt sitzt er wegen eines kleinen Subordina¬ tionsfehlers, und morgen früh kommt er los. — Wie¬
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busen von Salerne hat. Ich konnte mich nicht ent¬
halten, dem jungen artigen Manne das schlimme Be¬
tragen seines Kameraden zu erzählen. Ich bin nicht
gesonnen, sagte ich, mich in der Fremde in Hän¬
del einzulassen; aber wenn ich den Namen des Offi¬
zieres wüſste und einige Tage hier bliebe, würde ich
doch vielleicht seinen Chef fragen, ob dieses hier in
der Disciplin gut heiſse. Der junge Mann fing nun
eine groſse lange Klage über viele Dinge an, die ich
ihm sehr gern glaubte. Wir gingen eben vor einem
Gefängnisse vorbey, aus dessen Gittern ein Kerl sah
und uns anredete. Dieser Mensch hat vierzig umge¬
bracht, sagte der Offizier, als wir weiter gingen. Ich
sah ihn an. Hoffentlich kann es ihm nicht bewiesen
werden; erwiederte ich. — Doch, doch; für wenig¬
stens die Hälfte könnte der Beweis komplett geführt
werden. Mich überlief ein kalter Schauder: und die
Regierung? fragte ich. Ach Gott, die Regierung,
sagte er ganz leise, — braucht ihn. Hier faſste es
mich wie die Hölle. Ich hatte dergleichen Dinge oft
gehört; jetzt sollte ich es sogar sehen. Freund, wenn
ich ein Neapolitaner wäre, ich wäre in Versuchung
aus ergrimmter Ehrlichkeit ein Bandit zu werden und
mit dem Minister anzufangen. Welche Regierung ist
das, die so entsetzlich mit dem Leben ihrer Bürger
umgeht! Kann man sich eine gröſsere Summe von
Abscheulichkeit und Niederträchtigkeit denken? Jetzt
wird er hoffentlich seine Strafe bekommen; sagte ich
zu meinem unbekannten Freunde. Ach nein, antwor¬
tete er; jetzt sitzt er wegen eines kleinen Subordina¬
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/377>, abgerufen am 22.11.2024.
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