te, war nur einige Mahl ein Stündchen reines helles Wetter, aber nie einen ganzen Tag; und die Wiener klagen, dass dieses fast beständig so ist. Da ging ich denn so finster zuweilen allein für mich auf dem Walle und etymologisierte eins. Vindobana, quia dat vinum bonum; Danubius, qui dat nubes; und dergleichen mehr: wer weiss, ob die Römer bey ihrer Nomenkla¬ tur nicht so gedacht haben. Wenn Füger, Retzer, Ratschky, Miller und einige andere nicht gewesen wären, die mir zuweilen ein Viertelstündchen schenk¬ ten, ich hätte den dritten Tag vor Angst meinen Tor¬ nister wieder packen müssen.
Von dem Wiener Theaterwesen kann ich Dir nicht viel Erbauliches sagen. Die Gesellschaft des Na¬ tionaltheaters ist abwechselnd in der Burg und am Kärnthner Thore, und spielt so gut sie kann. Das männliche Personale ist nicht so arm als das weibliche; aber Brockmann steht doch so isoliert dort und ragt über die andern so sehr empor, dass er durch seine Ueberlegenheit die Harmonie merklich stört. Die an¬ dern, unter denen zwar einige gute sind, können ihm nicht nacharbeiten, und so geht er oft zu ihnen zurück; zumahl da auch seine schöne Periode nun vorbey ist. Man gab eben das Trauerspiel Regulus. Ich gestehe Dir, dass es mir ungewöhnlich viel Vergnügen ge¬ macht hat; vielleicht schon desswegen, weil es einen meiner Lieblingsgegenstände aus der Geschichte behan¬ delte. Ich halte das Stück für recht gut gearbeitet, so viel ich aus einer einzigen Vorstellung urtheilen kann, wo ich mich aber unwillkührlich mehr zum Genuss hingab, als vielleicht zur Kritik nöthig war. Es sind
te, war nur einige Mahl ein Stündchen reines helles Wetter, aber nie einen ganzen Tag; und die Wiener klagen, daſs dieses fast beständig so ist. Da ging ich denn so finster zuweilen allein für mich auf dem Walle und etymologisierte eins. Vindobana, quia dat vinum bonum; Danubius, qui dat nubes; und dergleichen mehr: wer weiſs, ob die Römer bey ihrer Nomenkla¬ tur nicht so gedacht haben. Wenn Füger, Retzer, Ratschky, Miller und einige andere nicht gewesen wären, die mir zuweilen ein Viertelstündchen schenk¬ ten, ich hätte den dritten Tag vor Angst meinen Tor¬ nister wieder packen müssen.
Von dem Wiener Theaterwesen kann ich Dir nicht viel Erbauliches sagen. Die Gesellschaft des Na¬ tionaltheaters ist abwechselnd in der Burg und am Kärnthner Thore, und spielt so gut sie kann. Das männliche Personale ist nicht so arm als das weibliche; aber Brockmann steht doch so isoliert dort und ragt über die andern so sehr empor, daſs er durch seine Ueberlegenheit die Harmonie merklich stört. Die an¬ dern, unter denen zwar einige gute sind, können ihm nicht nacharbeiten, und so geht er oft zu ihnen zurück; zumahl da auch seine schöne Periode nun vorbey ist. Man gab eben das Trauerspiel Regulus. Ich gestehe Dir, daſs es mir ungewöhnlich viel Vergnügen ge¬ macht hat; vielleicht schon deſswegen, weil es einen meiner Lieblingsgegenstände aus der Geschichte behan¬ delte. Ich halte das Stück für recht gut gearbeitet, so viel ich aus einer einzigen Vorstellung urtheilen kann, wo ich mich aber unwillkührlich mehr zum Genuſs hingab, als vielleicht zur Kritik nöthig war. Es sind
<TEI><text><body><div><p><pbfacs="#f0058"n="32"/>
te, war nur einige Mahl ein Stündchen reines helles<lb/>
Wetter, aber nie einen ganzen Tag; und die Wiener<lb/>
klagen, daſs dieses fast beständig so ist. Da ging ich<lb/>
denn so finster zuweilen allein für mich auf dem Walle<lb/>
und etymologisierte eins. <hirendition="#i">Vindobana</hi>, <hirendition="#i">quia dat vinum<lb/>
bonum; Danubius</hi>, <hirendition="#i">qui dat nubes;</hi> und dergleichen<lb/>
mehr: wer weiſs, ob die Römer bey ihrer Nomenkla¬<lb/>
tur nicht so gedacht haben. Wenn Füger, Retzer,<lb/>
Ratschky, Miller und einige andere nicht gewesen<lb/>
wären, die mir zuweilen ein Viertelstündchen schenk¬<lb/>
ten, ich hätte den dritten Tag vor Angst meinen Tor¬<lb/>
nister wieder packen müssen.</p><lb/><p>Von dem Wiener Theaterwesen kann ich Dir<lb/>
nicht viel Erbauliches sagen. Die Gesellschaft des Na¬<lb/>
tionaltheaters ist abwechselnd in der Burg und am<lb/>
Kärnthner Thore, und spielt so gut sie kann. Das<lb/>
männliche Personale ist nicht so arm als das weibliche;<lb/>
aber Brockmann steht doch so isoliert dort und ragt<lb/>
über die andern so sehr empor, daſs er durch seine<lb/>
Ueberlegenheit die Harmonie merklich stört. Die an¬<lb/>
dern, unter denen zwar einige gute sind, können ihm<lb/>
nicht nacharbeiten, und so geht er oft zu ihnen zurück;<lb/>
zumahl da auch seine schöne Periode nun vorbey ist.<lb/>
Man gab eben das Trauerspiel Regulus. Ich gestehe<lb/>
Dir, daſs es mir ungewöhnlich viel Vergnügen ge¬<lb/>
macht hat; vielleicht schon deſswegen, weil es einen<lb/>
meiner Lieblingsgegenstände aus der Geschichte behan¬<lb/>
delte. Ich halte das Stück für recht gut gearbeitet, so<lb/>
viel ich aus einer einzigen Vorstellung urtheilen kann,<lb/>
wo ich mich aber unwillkührlich mehr zum Genuſs<lb/>
hingab, als vielleicht zur Kritik nöthig war. Es sind<lb/></p></div></body></text></TEI>
[32/0058]
te, war nur einige Mahl ein Stündchen reines helles
Wetter, aber nie einen ganzen Tag; und die Wiener
klagen, daſs dieses fast beständig so ist. Da ging ich
denn so finster zuweilen allein für mich auf dem Walle
und etymologisierte eins. Vindobana, quia dat vinum
bonum; Danubius, qui dat nubes; und dergleichen
mehr: wer weiſs, ob die Römer bey ihrer Nomenkla¬
tur nicht so gedacht haben. Wenn Füger, Retzer,
Ratschky, Miller und einige andere nicht gewesen
wären, die mir zuweilen ein Viertelstündchen schenk¬
ten, ich hätte den dritten Tag vor Angst meinen Tor¬
nister wieder packen müssen.
Von dem Wiener Theaterwesen kann ich Dir
nicht viel Erbauliches sagen. Die Gesellschaft des Na¬
tionaltheaters ist abwechselnd in der Burg und am
Kärnthner Thore, und spielt so gut sie kann. Das
männliche Personale ist nicht so arm als das weibliche;
aber Brockmann steht doch so isoliert dort und ragt
über die andern so sehr empor, daſs er durch seine
Ueberlegenheit die Harmonie merklich stört. Die an¬
dern, unter denen zwar einige gute sind, können ihm
nicht nacharbeiten, und so geht er oft zu ihnen zurück;
zumahl da auch seine schöne Periode nun vorbey ist.
Man gab eben das Trauerspiel Regulus. Ich gestehe
Dir, daſs es mir ungewöhnlich viel Vergnügen ge¬
macht hat; vielleicht schon deſswegen, weil es einen
meiner Lieblingsgegenstände aus der Geschichte behan¬
delte. Ich halte das Stück für recht gut gearbeitet, so
viel ich aus einer einzigen Vorstellung urtheilen kann,
wo ich mich aber unwillkührlich mehr zum Genuſs
hingab, als vielleicht zur Kritik nöthig war. Es sind
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/58>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.