allerdings mehrere kleine Verzeichnungen in den Cha¬ raktern; aber das Ganze hat doch durchaus einen sehr festen, ernsthaften, nicht unrömischen Gang: die Spra¬ che ist meistens rein und edel, und ich war zufrieden. Zum Meisterwerke fehlt ihm freylich noch manches; aber Apollo gebe uns nur mehrere solche Stücke, so haben wir Hoffnung auch jene zu erhalten. Es wird mir noch lange einen grossen Genuss gewähren, Brock¬ mann in der Rolle des Regulus gesehen zu haben. Der weibliche Theil der Gesellschaft, der auf den meisten Theatern etwas arm zu seyn pflegt, ist es hier vorzüg¬ lich; und man ist genöthigt die Rolle der ersten Lieb¬ haberin einer Person zu geben, die mit aller Ehre Aebtissin in Quedlinburg oder Gandersheim werden könnte. Die Dame ist gut, auch gute Schauspielerin; aber nicht für dieses Fach.
Die Italiäner sind verhältnissmässig nicht besser. Man trillert sehr viel, und singt sehr wenig. Der Ka¬ strat Marchesi kombabusiert einen Helden so unbarm¬ herzig in seine eigene verstümmelte Natur hinein, dass es für die Ohren des Mannes ein Jammer ist; und ich begreife nicht, wie man mit solcher Unmenschlichkeit so traurige Missgriffe in die Aesthetik hat thun können. Das mögen die Italiäner, wie vielen andern Unsinn, bey der gesunden Vernunft verantworten, wenn sie können.
Ich, meines Theils, will keine Helden,
Die uns, entmannt und kaum noch mädchenhaft, Sogleich den Mangel ihrer Kraft Im ersten Tone quiekend melden,
3
allerdings mehrere kleine Verzeichnungen in den Cha¬ raktern; aber das Ganze hat doch durchaus einen sehr festen, ernsthaften, nicht unrömischen Gang: die Spra¬ che ist meistens rein und edel, und ich war zufrieden. Zum Meisterwerke fehlt ihm freylich noch manches; aber Apollo gebe uns nur mehrere solche Stücke, so haben wir Hoffnung auch jene zu erhalten. Es wird mir noch lange einen groſsen Genuſs gewähren, Brock¬ mann in der Rolle des Regulus gesehen zu haben. Der weibliche Theil der Gesellschaft, der auf den meisten Theatern etwas arm zu seyn pflegt, ist es hier vorzüg¬ lich; und man ist genöthigt die Rolle der ersten Lieb¬ haberin einer Person zu geben, die mit aller Ehre Aebtissin in Quedlinburg oder Gandersheim werden könnte. Die Dame ist gut, auch gute Schauspielerin; aber nicht für dieses Fach.
Die Italiäner sind verhältniſsmäſsig nicht besser. Man trillert sehr viel, und singt sehr wenig. Der Ka¬ strat Marchesi kombabusiert einen Helden so unbarm¬ herzig in seine eigene verstümmelte Natur hinein, daſs es für die Ohren des Mannes ein Jammer ist; und ich begreife nicht, wie man mit solcher Unmenschlichkeit so traurige Miſsgriffe in die Aesthetik hat thun können. Das mögen die Italiäner, wie vielen andern Unsinn, bey der gesunden Vernunft verantworten, wenn sie können.
Ich, meines Theils, will keine Helden,
Die uns, entmannt und kaum noch mädchenhaft, Sogleich den Mangel ihrer Kraft Im ersten Tone quiekend melden,
3
<TEI><text><body><div><p><pbfacs="#f0059"n="33"/>
allerdings mehrere kleine Verzeichnungen in den Cha¬<lb/>
raktern; aber das Ganze hat doch durchaus einen sehr<lb/>
festen, ernsthaften, nicht unrömischen Gang: die Spra¬<lb/>
che ist meistens rein und edel, und ich war zufrieden.<lb/>
Zum Meisterwerke fehlt ihm freylich noch manches;<lb/>
aber Apollo gebe uns nur mehrere solche Stücke, so<lb/>
haben wir Hoffnung auch jene zu erhalten. Es wird<lb/>
mir noch lange einen groſsen Genuſs gewähren, Brock¬<lb/>
mann in der Rolle des Regulus gesehen zu haben. Der<lb/>
weibliche Theil der Gesellschaft, der auf den meisten<lb/>
Theatern etwas arm zu seyn pflegt, ist es hier vorzüg¬<lb/>
lich; und man ist genöthigt die Rolle der ersten Lieb¬<lb/>
haberin einer Person zu geben, die mit aller Ehre<lb/>
Aebtissin in Quedlinburg oder Gandersheim werden<lb/>
könnte. Die Dame ist gut, auch gute Schauspielerin;<lb/>
aber nicht für dieses Fach.</p><lb/><p>Die Italiäner sind verhältniſsmäſsig nicht besser.<lb/>
Man trillert sehr viel, und singt sehr wenig. Der Ka¬<lb/>
strat Marchesi kombabusiert einen Helden so unbarm¬<lb/>
herzig in seine eigene verstümmelte Natur hinein, daſs<lb/>
es für die Ohren des Mannes ein Jammer ist; und ich<lb/>
begreife nicht, wie man mit solcher Unmenschlichkeit<lb/>
so traurige Miſsgriffe in die Aesthetik hat thun können.<lb/>
Das mögen die Italiäner, wie vielen andern Unsinn,<lb/>
bey der gesunden Vernunft verantworten, wenn sie<lb/>
können.</p><lb/><lgtype="poem"><lrendition="#et">Ich, meines Theils, will keine Helden,</l><lb/><l>Die uns, entmannt und kaum noch mädchenhaft,</l><lb/><l>Sogleich den Mangel ihrer Kraft</l><lb/><l>Im ersten Tone quiekend melden,</l><lb/><fwplace="bottom"type="sig">3<lb/></fw></lg></div></body></text></TEI>
[33/0059]
allerdings mehrere kleine Verzeichnungen in den Cha¬
raktern; aber das Ganze hat doch durchaus einen sehr
festen, ernsthaften, nicht unrömischen Gang: die Spra¬
che ist meistens rein und edel, und ich war zufrieden.
Zum Meisterwerke fehlt ihm freylich noch manches;
aber Apollo gebe uns nur mehrere solche Stücke, so
haben wir Hoffnung auch jene zu erhalten. Es wird
mir noch lange einen groſsen Genuſs gewähren, Brock¬
mann in der Rolle des Regulus gesehen zu haben. Der
weibliche Theil der Gesellschaft, der auf den meisten
Theatern etwas arm zu seyn pflegt, ist es hier vorzüg¬
lich; und man ist genöthigt die Rolle der ersten Lieb¬
haberin einer Person zu geben, die mit aller Ehre
Aebtissin in Quedlinburg oder Gandersheim werden
könnte. Die Dame ist gut, auch gute Schauspielerin;
aber nicht für dieses Fach.
Die Italiäner sind verhältniſsmäſsig nicht besser.
Man trillert sehr viel, und singt sehr wenig. Der Ka¬
strat Marchesi kombabusiert einen Helden so unbarm¬
herzig in seine eigene verstümmelte Natur hinein, daſs
es für die Ohren des Mannes ein Jammer ist; und ich
begreife nicht, wie man mit solcher Unmenschlichkeit
so traurige Miſsgriffe in die Aesthetik hat thun können.
Das mögen die Italiäner, wie vielen andern Unsinn,
bey der gesunden Vernunft verantworten, wenn sie
können.
Ich, meines Theils, will keine Helden,
Die uns, entmannt und kaum noch mädchenhaft,
Sogleich den Mangel ihrer Kraft
Im ersten Tone quiekend melden,
3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/59>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.