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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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Pfarrer hätte ich wohl gehen sollen, wie ich nachher
überlegte um meine Schuldigkeit ganz gethan zu ha¬
ben. Aber das Unwesen wurmte mich zu sehr; ich
gab dem Heiligen im Geiste drey Nasenstüber, dass er
seine Leute so schlecht in der Zucht hielt, und schritt
ganz trotzig an dem Berge durch die Schlucht hinun¬
ter in die Nacht hinein. Die tiefe Dämmerung, wo
man doch im Zimmer noch nicht Licht hatte, und
mein halb pohlnischer Anzug mochten mir auch wohl
einen Streich gespielt haben: denn ich glaube fast,
wenn wir einander hätten hell ins Gesicht sehen kön¬
nen, es wäre etwas glimpflicher gegangen. Die Ge¬
gend war nun voll Räuber und Wölfe, wie man mir
erzählt hatte; ich marschierte also auf gutes Glück gera¬
dezu. Ungefähr eine halbe Stunde von dem Heiligen
traf ich wieder ein Wirthshaus, das klein und erbärm¬
lich genug im Mondschein dort stand. Sehr ermüdet
und etwas durchfroren trat ich wieder ein und legte
wieder ab. Da sassen drey Mädchen, von denen aber
keine eine Sylbe deutsch sprach, und sangen bey ei¬
nem kleinen Lichtchen ihrer kleinen Schwester ein
gar liebliches krainerisches Trio vor, um sie einzu¬
schläfern. Endlich kam der Wirth, der etwas deutsch
radbrechte: dieser gab mir Brot, Wurst und Wein und
ein Kopfkissen auf das Stroh. Ich war sehr froh dass
man mir kein Bett anbot; denn mein Lager war un¬
streitig das beste im ganzen Hause. Es war mir lieb,
bey dieser Gelegenheit eine gewöhnliche krainerische
Wirthschaft zu sehen, die dem Ansehen nach noch
nicht die schlechteste war und die doch nicht viel bes¬
ser schien als man sie bey den Letten und Esthen in

Pfarrer hätte ich wohl gehen sollen, wie ich nachher
überlegte um meine Schuldigkeit ganz gethan zu ha¬
ben. Aber das Unwesen wurmte mich zu sehr; ich
gab dem Heiligen im Geiste drey Nasenstüber, daſs er
seine Leute so schlecht in der Zucht hielt, und schritt
ganz trotzig an dem Berge durch die Schlucht hinun¬
ter in die Nacht hinein. Die tiefe Dämmerung, wo
man doch im Zimmer noch nicht Licht hatte, und
mein halb pohlnischer Anzug mochten mir auch wohl
einen Streich gespielt haben: denn ich glaube fast,
wenn wir einander hätten hell ins Gesicht sehen kön¬
nen, es wäre etwas glimpflicher gegangen. Die Ge¬
gend war nun voll Räuber und Wölfe, wie man mir
erzählt hatte; ich marschierte also auf gutes Glück gera¬
dezu. Ungefähr eine halbe Stunde von dem Heiligen
traf ich wieder ein Wirthshaus, das klein und erbärm¬
lich genug im Mondschein dort stand. Sehr ermüdet
und etwas durchfroren trat ich wieder ein und legte
wieder ab. Da saſsen drey Mädchen, von denen aber
keine eine Sylbe deutsch sprach, und sangen bey ei¬
nem kleinen Lichtchen ihrer kleinen Schwester ein
gar liebliches krainerisches Trio vor, um sie einzu¬
schläfern. Endlich kam der Wirth, der etwas deutsch
radbrechte: dieser gab mir Brot, Wurst und Wein und
ein Kopfkissen auf das Stroh. Ich war sehr froh daſs
man mir kein Bett anbot; denn mein Lager war un¬
streitig das beste im ganzen Hause. Es war mir lieb,
bey dieser Gelegenheit eine gewöhnliche krainerische
Wirthschaft zu sehen, die dem Ansehen nach noch
nicht die schlechteste war und die doch nicht viel bes¬
ser schien als man sie bey den Letten und Esthen in

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[66/0092] Pfarrer hätte ich wohl gehen sollen, wie ich nachher überlegte um meine Schuldigkeit ganz gethan zu ha¬ ben. Aber das Unwesen wurmte mich zu sehr; ich gab dem Heiligen im Geiste drey Nasenstüber, daſs er seine Leute so schlecht in der Zucht hielt, und schritt ganz trotzig an dem Berge durch die Schlucht hinun¬ ter in die Nacht hinein. Die tiefe Dämmerung, wo man doch im Zimmer noch nicht Licht hatte, und mein halb pohlnischer Anzug mochten mir auch wohl einen Streich gespielt haben: denn ich glaube fast, wenn wir einander hätten hell ins Gesicht sehen kön¬ nen, es wäre etwas glimpflicher gegangen. Die Ge¬ gend war nun voll Räuber und Wölfe, wie man mir erzählt hatte; ich marschierte also auf gutes Glück gera¬ dezu. Ungefähr eine halbe Stunde von dem Heiligen traf ich wieder ein Wirthshaus, das klein und erbärm¬ lich genug im Mondschein dort stand. Sehr ermüdet und etwas durchfroren trat ich wieder ein und legte wieder ab. Da saſsen drey Mädchen, von denen aber keine eine Sylbe deutsch sprach, und sangen bey ei¬ nem kleinen Lichtchen ihrer kleinen Schwester ein gar liebliches krainerisches Trio vor, um sie einzu¬ schläfern. Endlich kam der Wirth, der etwas deutsch radbrechte: dieser gab mir Brot, Wurst und Wein und ein Kopfkissen auf das Stroh. Ich war sehr froh daſs man mir kein Bett anbot; denn mein Lager war un¬ streitig das beste im ganzen Hause. Es war mir lieb, bey dieser Gelegenheit eine gewöhnliche krainerische Wirthschaft zu sehen, die dem Ansehen nach noch nicht die schlechteste war und die doch nicht viel bes¬ ser schien als man sie bey den Letten und Esthen in

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/92>, abgerufen am 21.11.2024.