Siegemund, Justine: Königliche Preußische und Chur-Brandenburgische Hof-Wehe-Mutter. Cölln (Spree), 1690.Das IV. Capitel gen ließ/ und aber mir unbekant war/ ob es gut oder böse wäre/auch das Kind über Verhoffen noch lebete/ so zog es das Aerm- lein an sich/ und rückte sich durch dieses Rücken der Kopff selber in die Geburt/ folgte also noch eine natürliche Geburt/ aber ein schwaches Kind. Diese Geburt widerfuhr mir so glücklich unwis- send/ und ich war dabey so klug/ wie zuvor. Itzo aber/ weil mir die Sache besser bekant worden/ halte ich dafür: daß sich das Kind an dem Schoßbeine mit dem Kopffe gehalten und gekrümmet gestanden/ dabey die Geburt leer geblieben. Als aber das Kind des Aermleins durch das Zurückbringen ist mächtig worden an sich zu ziehen/ so hat sich das Haupt abrücken müs- sen/ da es denn geheißen: Was Gott wil erqvicken/ kan sich nicht erdrücken. Mir halff aber diese Geburt nicht mehr/ denn daß ich wissen lernete/ wie des Kindes Haupt die gantze Geburt füllete/ und daß es so hart wäre/ und näher zum Durchbruch rücken kön- te. Dabey überkahm ich ein solch Verlangen mehr zu erfahren/ und halff mir die Wehe-Frau treulich dazu/ bath mich bey alle Ge- bährende Frauen/ die sie hatte/ zu hülffe/ und ich meinte auch wun- der/ wie ich paßirte/ daß an mir wahr ward das Sprichwort: Lust und Liebe zu einem Dinge macht alle Müh und Arbeit ge- ringe. Also kam ich bey den Bauer-Weibern/ wenn sie schon Gefahr hatten/ in Ruff/ daß sie mich auf andere Dörffer holeten. Muß also bekennen/ daß ich durch die viele Ubung bey allerhand unrechten Geburten meine meiste Wissenschafft überkommen. Denn ihrer viel haben mich um Gottes Willen zu Hülffe gebe- ten/ so habe ich auch allen Fleiß angewendet/ wie ich den Kindern beykommen können/ die Frauen zu retten/ in dem bey allen Ret- tungen/ wo ich zu Hülffe geruffen worden/ schon die meisten Kinder seyn todt gewesen. Und ist mir auch/ (dem allerhöchsten GOtt sey Danck) durch Göttlichen Seegen noch allemal so glücklich/ als menschlicher Hülffe möglich/ gangen/ GOtt helffe weiter! Daß ich aber weiter fortfahre solche Geburten der Händlein ausführlich zu machen/ nach dem sie mir nun besser bekant worden/ wie
Das IV. Capitel gen ließ/ und aber mir unbekant war/ ob es gut oder boͤſe waͤre/auch das Kind uͤber Verhoffen noch lebete/ ſo zog es das Aerm- lein an ſich/ und ruͤckte ſich durch dieſes Ruͤcken der Kopff ſelber in die Geburt/ folgte alſo noch eine natuͤrliche Geburt/ aber ein ſchwaches Kind. Dieſe Geburt widerfuhr mir ſo gluͤcklich unwiſ- ſend/ und ich war dabey ſo klug/ wie zuvor. Itzo aber/ weil mir die Sache beſſer bekant worden/ halte ich dafuͤr: daß ſich das Kind an dem Schoßbeine mit dem Kopffe gehalten und gekruͤm̃et geſtanden/ dabey die Geburt leer geblieben. Als aber das Kind des Aermleins durch das Zuruͤckbringen iſt maͤchtig worden an ſich zu ziehen/ ſo hat ſich das Haupt abruͤcken muͤſ- ſen/ da es denn geheißen: Was Gott wil erqvicken/ kan ſich nicht erdruͤcken. Mir halff aber dieſe Geburt nicht mehr/ denn daß ich wiſſen lernete/ wie des Kindes Haupt die gantze Geburt fuͤllete/ und daß es ſo hart waͤre/ und naͤher zum Durchbruch ruͤcken koͤn- te. Dabey uͤberkahm ich ein ſolch Verlangen mehr zu erfahren/ und halff mir die Wehe-Frau treulich dazu/ bath mich bey alle Ge- baͤhrende Frauen/ die ſie hatte/ zu huͤlffe/ und ich meinte auch wun- der/ wie ich paßirte/ daß an mir wahr ward das Sprichwort: Luſt und Liebe zu einem Dinge macht alle Muͤh und Arbeit ge- ringe. Alſo kam ich bey den Bauer-Weibern/ wenn ſie ſchon Gefahr hatten/ in Ruff/ daß ſie mich auf andere Doͤrffer holeten. Muß alſo bekennen/ daß ich durch die viele Ubung bey allerhand unrechten Geburten meine meiſte Wiſſenſchafft uͤberkommen. Denn ihrer viel haben mich um Gottes Willen zu Huͤlffe gebe- ten/ ſo habe ich auch allen Fleiß angewendet/ wie ich den Kindern beykommen koͤnnen/ die Frauen zu retten/ in dem bey allen Ret- tungen/ wo ich zu Huͤlffe geruffen worden/ ſchon die meiſten Kinder ſeyn todt geweſen. Und iſt mir auch/ (dem allerhoͤchſten GOtt ſey Danck) durch Goͤttlichen Seegen noch allemal ſo gluͤcklich/ als menſchlicher Huͤlffe moͤglich/ gangen/ GOtt helffe weiter! Daß ich aber weiter fortfahre ſolche Geburten der Haͤndlein ausfuͤhrlich zu machen/ nach dem ſie mir nun beſſer bekant worden/ wie
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Das IV. Capitel
gen ließ/ und aber mir unbekant war/ ob es gut oder boͤſe waͤre/
auch das Kind uͤber Verhoffen noch lebete/ ſo zog es das Aerm-
lein an ſich/ und ruͤckte ſich durch dieſes Ruͤcken der Kopff ſelber
in die Geburt/ folgte alſo noch eine natuͤrliche Geburt/ aber ein
ſchwaches Kind. Dieſe Geburt widerfuhr mir ſo gluͤcklich unwiſ-
ſend/ und ich war dabey ſo klug/ wie zuvor. Itzo aber/ weil mir die
Sache beſſer bekant worden/ halte ich dafuͤr: daß ſich das Kind
an dem Schoßbeine mit dem Kopffe gehalten und gekruͤm̃et
geſtanden/ dabey die Geburt leer geblieben. Als aber das
Kind des Aermleins durch das Zuruͤckbringen iſt maͤchtig
worden an ſich zu ziehen/ ſo hat ſich das Haupt abruͤcken muͤſ-
ſen/ da es denn geheißen: Was Gott wil erqvicken/ kan ſich
nicht erdruͤcken. Mir halff aber dieſe Geburt nicht mehr/ denn daß
ich wiſſen lernete/ wie des Kindes Haupt die gantze Geburt fuͤllete/
und daß es ſo hart waͤre/ und naͤher zum Durchbruch ruͤcken koͤn-
te. Dabey uͤberkahm ich ein ſolch Verlangen mehr zu erfahren/
und halff mir die Wehe-Frau treulich dazu/ bath mich bey alle Ge-
baͤhrende Frauen/ die ſie hatte/ zu huͤlffe/ und ich meinte auch wun-
der/ wie ich paßirte/ daß an mir wahr ward das Sprichwort:
Luſt und Liebe zu einem Dinge macht alle Muͤh und Arbeit ge-
ringe. Alſo kam ich bey den Bauer-Weibern/ wenn ſie ſchon
Gefahr hatten/ in Ruff/ daß ſie mich auf andere Doͤrffer holeten.
Muß alſo bekennen/ daß ich durch die viele Ubung bey allerhand
unrechten Geburten meine meiſte Wiſſenſchafft uͤberkommen.
Denn ihrer viel haben mich um Gottes Willen zu Huͤlffe gebe-
ten/ ſo habe ich auch allen Fleiß angewendet/ wie ich den Kindern
beykommen koͤnnen/ die Frauen zu retten/ in dem bey allen Ret-
tungen/ wo ich zu Huͤlffe geruffen worden/ ſchon die meiſten Kinder
ſeyn todt geweſen. Und iſt mir auch/ (dem allerhoͤchſten GOtt ſey
Danck) durch Goͤttlichen Seegen noch allemal ſo gluͤcklich/ als
menſchlicher Huͤlffe moͤglich/ gangen/ GOtt helffe weiter!
Daß ich aber weiter fortfahre ſolche Geburten der Haͤndlein
ausfuͤhrlich zu machen/ nach dem ſie mir nun beſſer bekant worden/
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Zitationshilfe: | Siegemund, Justine: Königliche Preußische und Chur-Brandenburgische Hof-Wehe-Mutter. Cölln (Spree), 1690, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siegemund_unterricht_1690/103>, abgerufen am 16.02.2025. |