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Siemens, Werner von: Gesammelte Abhandlungen und Vorträge. Berlin, 1881.

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Wir lagerten uns hinter den Steinblöcken, welche vereinzelt auf
dem abgeplatteten Gipfel dieser Pyramide liegen, um uns von
den Anstrengungen unseres unfreiwilligen Wettlaufs zu erholen
und gegen den kalten, immer stärker blasenden Wind zu schützen.

Es war interessant zu beobachten, wie der aufgewirbelte
Wüstenstaub, der die Ebene bereits mit einem undurchsichtigen
gelben Schleier bedeckte, immer höher an der Pyramide empor-
stieg. Als er auch die höchsten Stufen derselben erreicht hatte,
vernahmen wir ein sausendes Geräusch, welches ich der wachsen-
den Gewalt des Windes zuschrieb. Die Araber, welche um uns
her auf den nächsten Stufen kauerten, sprangen jedoch mit dem
Rufe Chamsin plötzlich auf und hielten den ausgestreckten Zeige-
finger in die Höhe. Es liess sich jetzt ein eigenthümlich zischen-
der Ton, ähnlich dem Ton des "singenden" Wassers, hören.
Wir glaubten anfangs, die Araber brächten diesen Ton hervor,
doch überzeugte ich mich bald, dass derselbe ebenfalls entstand,
als ich mich auf den höchsten Punkt der Pyramide stellte und
meinen eigenen Zeigefinger hoch empor hielt. Dabei war ein
leises, kaum auffallendes Prickeln der dem Winde entgegenge-
richteten Hautfläche des Fingers bemerkbar. Ich konnte diese
von uns allen constatirte Thatsache nur als eine elektrische Er-
scheinung deuten, und als solche erwies sie sich auch in der
That. Als ich eine gefüllte Weinflasche, deren Kopf mit Stan-
niol bekleidet war, empor hielt, hörte ich denselben singenden
Ton wie bei Aufhebung des Fingers. Während dessen sprangen
von der Etiquette fortwährend kleine Funken zu meiner Hand
über und als ich darauf den Kopf der Flasche mit der anderen
Hand berührte, erhielt ich eine heftige elektrische Erschütterung,
während ein glänzender Funke vom metallenen Kopfe der Flasche
in meine Hand übersprang. Es ist klar, dass die durch den
feuchten Kork mit der Metallbelegung des Kopfes der Flasche
in leitender Verbindung stehende Flüssigkeit im Innern der-
selben, die innere Belegung einer Leydener Flasche bildete,
während Etiquette und Hand die abgeleitete äussere vertraten.
Auch eine entkorkte Flasche lud sich auf gleiche Weise, nament-
lich dann, wenn die Oeffnung gegen den Wind geneigt wurde,
wie Dr. Esselbach durch einen heftigen Schlag erkannte, den
er empfand, als er dieselbe an den Mund setzte. Als ich die

Wir lagerten uns hinter den Steinblöcken, welche vereinzelt auf
dem abgeplatteten Gipfel dieser Pyramide liegen, um uns von
den Anstrengungen unseres unfreiwilligen Wettlaufs zu erholen
und gegen den kalten, immer stärker blasenden Wind zu schützen.

Es war interessant zu beobachten, wie der aufgewirbelte
Wüstenstaub, der die Ebene bereits mit einem undurchsichtigen
gelben Schleier bedeckte, immer höher an der Pyramide empor-
stieg. Als er auch die höchsten Stufen derselben erreicht hatte,
vernahmen wir ein sausendes Geräusch, welches ich der wachsen-
den Gewalt des Windes zuschrieb. Die Araber, welche um uns
her auf den nächsten Stufen kauerten, sprangen jedoch mit dem
Rufe Chamsin plötzlich auf und hielten den ausgestreckten Zeige-
finger in die Höhe. Es liess sich jetzt ein eigenthümlich zischen-
der Ton, ähnlich dem Ton des „singenden“ Wassers, hören.
Wir glaubten anfangs, die Araber brächten diesen Ton hervor,
doch überzeugte ich mich bald, dass derselbe ebenfalls entstand,
als ich mich auf den höchsten Punkt der Pyramide stellte und
meinen eigenen Zeigefinger hoch empor hielt. Dabei war ein
leises, kaum auffallendes Prickeln der dem Winde entgegenge-
richteten Hautfläche des Fingers bemerkbar. Ich konnte diese
von uns allen constatirte Thatsache nur als eine elektrische Er-
scheinung deuten, und als solche erwies sie sich auch in der
That. Als ich eine gefüllte Weinflasche, deren Kopf mit Stan-
niol bekleidet war, empor hielt, hörte ich denselben singenden
Ton wie bei Aufhebung des Fingers. Während dessen sprangen
von der Etiquette fortwährend kleine Funken zu meiner Hand
über und als ich darauf den Kopf der Flasche mit der anderen
Hand berührte, erhielt ich eine heftige elektrische Erschütterung,
während ein glänzender Funke vom metallenen Kopfe der Flasche
in meine Hand übersprang. Es ist klar, dass die durch den
feuchten Kork mit der Metallbelegung des Kopfes der Flasche
in leitender Verbindung stehende Flüssigkeit im Innern der-
selben, die innere Belegung einer Leydener Flasche bildete,
während Etiquette und Hand die abgeleitete äussere vertraten.
Auch eine entkorkte Flasche lud sich auf gleiche Weise, nament-
lich dann, wenn die Oeffnung gegen den Wind geneigt wurde,
wie Dr. Esselbach durch einen heftigen Schlag erkannte, den
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[226/0244] Wir lagerten uns hinter den Steinblöcken, welche vereinzelt auf dem abgeplatteten Gipfel dieser Pyramide liegen, um uns von den Anstrengungen unseres unfreiwilligen Wettlaufs zu erholen und gegen den kalten, immer stärker blasenden Wind zu schützen. Es war interessant zu beobachten, wie der aufgewirbelte Wüstenstaub, der die Ebene bereits mit einem undurchsichtigen gelben Schleier bedeckte, immer höher an der Pyramide empor- stieg. Als er auch die höchsten Stufen derselben erreicht hatte, vernahmen wir ein sausendes Geräusch, welches ich der wachsen- den Gewalt des Windes zuschrieb. Die Araber, welche um uns her auf den nächsten Stufen kauerten, sprangen jedoch mit dem Rufe Chamsin plötzlich auf und hielten den ausgestreckten Zeige- finger in die Höhe. Es liess sich jetzt ein eigenthümlich zischen- der Ton, ähnlich dem Ton des „singenden“ Wassers, hören. Wir glaubten anfangs, die Araber brächten diesen Ton hervor, doch überzeugte ich mich bald, dass derselbe ebenfalls entstand, als ich mich auf den höchsten Punkt der Pyramide stellte und meinen eigenen Zeigefinger hoch empor hielt. Dabei war ein leises, kaum auffallendes Prickeln der dem Winde entgegenge- richteten Hautfläche des Fingers bemerkbar. Ich konnte diese von uns allen constatirte Thatsache nur als eine elektrische Er- scheinung deuten, und als solche erwies sie sich auch in der That. Als ich eine gefüllte Weinflasche, deren Kopf mit Stan- niol bekleidet war, empor hielt, hörte ich denselben singenden Ton wie bei Aufhebung des Fingers. Während dessen sprangen von der Etiquette fortwährend kleine Funken zu meiner Hand über und als ich darauf den Kopf der Flasche mit der anderen Hand berührte, erhielt ich eine heftige elektrische Erschütterung, während ein glänzender Funke vom metallenen Kopfe der Flasche in meine Hand übersprang. Es ist klar, dass die durch den feuchten Kork mit der Metallbelegung des Kopfes der Flasche in leitender Verbindung stehende Flüssigkeit im Innern der- selben, die innere Belegung einer Leydener Flasche bildete, während Etiquette und Hand die abgeleitete äussere vertraten. Auch eine entkorkte Flasche lud sich auf gleiche Weise, nament- lich dann, wenn die Oeffnung gegen den Wind geneigt wurde, wie Dr. Esselbach durch einen heftigen Schlag erkannte, den er empfand, als er dieselbe an den Mund setzte. Als ich die

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Zitationshilfe: Siemens, Werner von: Gesammelte Abhandlungen und Vorträge. Berlin, 1881, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siemens_abhandlungen_1881/244>, abgerufen am 23.11.2024.