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Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.

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Sievers Briefe
waren, wurde ich dann stattlich bewirthet; wir tranken
Kümüß und aßen gekochtes Hammelfleisch ohne Brod,
Salz, Gabel und Löffel, nach der Landesgewohnheit, mit
den Händen. Das Schlachten der Thiere geschiehet im-
mer durch Männer, und öfters unter Hersagen eines Ge-
bets, nach mahometanischer Art, so wie auch das Ko-
chen, Zerschneiden, Auftragen u. s. w. das Geschäft der
Männer ist. Nachdem wir abgegessen hatten, wurde der
Rest dem in ihrem Winkel vom Eingange zur Rechten
sitzenden Frauensvolke gegeben; denn diese essen nie mit
den Männern zusammen, sondern sind unterdessen, so
wie fast zu allen Zeiten, mit irgend einer Handarbeit
beschäftiget. Einige davon z. B. brachten ihre vielen
Haarflechten auf dem Kopfe in Ordnung, andere span-
nen mit der Spindel durch Drehen in der Hand Zwirn
aus Kameelswolle u. s. w. Die Weiber haben mit ih-
ren Haaren jederzeit viel Arbeit, weil darinn eine große
Zierde besteht. Denen Männern ists damit desto leich-
ter, die Baarthaare zupfen sie sich zum Theil mit Zan-
gen aus. Zwey Männer machten eine wie gewöhnlich
beynahe monotonische Tafelmusik; einer davon spielte
auf einer Ellen langen, mit Bindfaden zusammengebun-
denen, aus zwey Hälften bestehenden, weißen, hölzernen,
etwa Daumens dicken Schallmey. Jndem er hinein
bließ, gab er seine singende Baßstimme mit dazu, und
gab dann mit den Fingern auf den Löchern einige Töne
an bis ein Athemzug ausgeblasen war, womit er es
lange genug aushielt. Jn der Ferne klingt diese Musik
wie ein Dudelsack; die Leute, die viel und öfters dieses

bla-

Sievers Briefe
waren, wurde ich dann ſtattlich bewirthet; wir tranken
Kuͤmuͤß und aßen gekochtes Hammelfleiſch ohne Brod,
Salz, Gabel und Loͤffel, nach der Landesgewohnheit, mit
den Haͤnden. Das Schlachten der Thiere geſchiehet im-
mer durch Maͤnner, und oͤfters unter Herſagen eines Ge-
bets, nach mahometaniſcher Art, ſo wie auch das Ko-
chen, Zerſchneiden, Auftragen u. ſ. w. das Geſchaͤft der
Maͤnner iſt. Nachdem wir abgegeſſen hatten, wurde der
Reſt dem in ihrem Winkel vom Eingange zur Rechten
ſitzenden Frauensvolke gegeben; denn dieſe eſſen nie mit
den Maͤnnern zuſammen, ſondern ſind unterdeſſen, ſo
wie faſt zu allen Zeiten, mit irgend einer Handarbeit
beſchaͤftiget. Einige davon z. B. brachten ihre vielen
Haarflechten auf dem Kopfe in Ordnung, andere ſpan-
nen mit der Spindel durch Drehen in der Hand Zwirn
aus Kameelswolle u. ſ. w. Die Weiber haben mit ih-
ren Haaren jederzeit viel Arbeit, weil darinn eine große
Zierde beſteht. Denen Maͤnnern iſts damit deſto leich-
ter, die Baarthaare zupfen ſie ſich zum Theil mit Zan-
gen aus. Zwey Maͤnner machten eine wie gewoͤhnlich
beynahe monotoniſche Tafelmuſik; einer davon ſpielte
auf einer Ellen langen, mit Bindfaden zuſammengebun-
denen, aus zwey Haͤlften beſtehenden, weißen, hoͤlzernen,
etwa Daumens dicken Schallmey. Jndem er hinein
bließ, gab er ſeine ſingende Baßſtimme mit dazu, und
gab dann mit den Fingern auf den Loͤchern einige Toͤne
an bis ein Athemzug ausgeblaſen war, womit er es
lange genug aushielt. Jn der Ferne klingt dieſe Muſik
wie ein Dudelſack; die Leute, die viel und oͤfters dieſes

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[156/0164] Sievers Briefe waren, wurde ich dann ſtattlich bewirthet; wir tranken Kuͤmuͤß und aßen gekochtes Hammelfleiſch ohne Brod, Salz, Gabel und Loͤffel, nach der Landesgewohnheit, mit den Haͤnden. Das Schlachten der Thiere geſchiehet im- mer durch Maͤnner, und oͤfters unter Herſagen eines Ge- bets, nach mahometaniſcher Art, ſo wie auch das Ko- chen, Zerſchneiden, Auftragen u. ſ. w. das Geſchaͤft der Maͤnner iſt. Nachdem wir abgegeſſen hatten, wurde der Reſt dem in ihrem Winkel vom Eingange zur Rechten ſitzenden Frauensvolke gegeben; denn dieſe eſſen nie mit den Maͤnnern zuſammen, ſondern ſind unterdeſſen, ſo wie faſt zu allen Zeiten, mit irgend einer Handarbeit beſchaͤftiget. Einige davon z. B. brachten ihre vielen Haarflechten auf dem Kopfe in Ordnung, andere ſpan- nen mit der Spindel durch Drehen in der Hand Zwirn aus Kameelswolle u. ſ. w. Die Weiber haben mit ih- ren Haaren jederzeit viel Arbeit, weil darinn eine große Zierde beſteht. Denen Maͤnnern iſts damit deſto leich- ter, die Baarthaare zupfen ſie ſich zum Theil mit Zan- gen aus. Zwey Maͤnner machten eine wie gewoͤhnlich beynahe monotoniſche Tafelmuſik; einer davon ſpielte auf einer Ellen langen, mit Bindfaden zuſammengebun- denen, aus zwey Haͤlften beſtehenden, weißen, hoͤlzernen, etwa Daumens dicken Schallmey. Jndem er hinein bließ, gab er ſeine ſingende Baßſtimme mit dazu, und gab dann mit den Fingern auf den Loͤchern einige Toͤne an bis ein Athemzug ausgeblaſen war, womit er es lange genug aushielt. Jn der Ferne klingt dieſe Muſik wie ein Dudelſack; die Leute, die viel und oͤfters dieſes bla-

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Zitationshilfe: Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/164>, abgerufen am 15.05.2024.