Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

aus Sibirien.
gebratenes Lamm, ein großer lederner Schlauch (Turs-
suck
) mit Kümüß, und der Branntewein paradirte; man
kann sich leicht gedenken, daß es uns an Appetit nicht
fehlte, denn gar bald verschwand alle Zierde des Krei-
ses, und nun, noch mit der Tobackspfeife im Munde,
suchte ein jeder einen Schlafplatz, wo ich wenigstens sehr
geschwind alles in der Welt vergaß, und den 8ten Jul.
wie frisch gebohren und erquickt die aufgehende Sonne
grüßte. Nach eingenommenem Frühstück, während dem
ich meine vortrefflichen Uldsharischen Pflanzen in Ord-
nung brachte, kam mein gestriger freundlicher Kirgise,
mit Namen Aldshigit, und invitirte mich in seine nahe
gelegene Jurte. Bey dieser Gelegenheit nahm ich denn
für seine Weiber und Töchter einige kleine Geschenke mit,
worunter befonders Nähnadeln, Fingerhüte und messin-
gene Ringe willkommen waren. Erstere gebrauchen die
fleißigen Kirgisinnen mit vieler Geschicksichkeit, und nä-
hen nach ihrer Art gar vortreffliche Muster. Fingerrin-
ge tragen sie gewöhnlich drey an jeder Hand, am Dau-
men, Zeige- und Goldfinger. Sie sind im eigentlichen
Verstande Sclavinnen ihrer Männer, alle häusliche Ar-
beit liegt auf ihnen, sie müssen das Vieh melken, But-
ter, Käse, Kümüß besorgen, dem Mann das Pferd sat-
teln, die Jurten aufbauen und abtakeln; sie machen alle
Kleidungen, sogar die Stieseln. Da hingegen der Mann
ißt, trinkt, schläft, raucht Toback, reitet auf die Jagd,
treibt die Heerden zusammen, oder geht in Gesellschaft
mit andern aufs Rauben aus. Jn einer der besten Jur-
ten, worinn schon eine Menge Nachbaren versammelt

waren,

aus Sibirien.
gebratenes Lamm, ein großer lederner Schlauch (Turſ-
ſuck
) mit Kuͤmuͤß, und der Branntewein paradirte; man
kann ſich leicht gedenken, daß es uns an Appetit nicht
fehlte, denn gar bald verſchwand alle Zierde des Krei-
ſes, und nun, noch mit der Tobackspfeife im Munde,
ſuchte ein jeder einen Schlafplatz, wo ich wenigſtens ſehr
geſchwind alles in der Welt vergaß, und den 8ten Jul.
wie friſch gebohren und erquickt die aufgehende Sonne
gruͤßte. Nach eingenommenem Fruͤhſtuͤck, waͤhrend dem
ich meine vortrefflichen Uldſhariſchen Pflanzen in Ord-
nung brachte, kam mein geſtriger freundlicher Kirgiſe,
mit Namen Aldſhigit, und invitirte mich in ſeine nahe
gelegene Jurte. Bey dieſer Gelegenheit nahm ich denn
fuͤr ſeine Weiber und Toͤchter einige kleine Geſchenke mit,
worunter befonders Naͤhnadeln, Fingerhuͤte und meſſin-
gene Ringe willkommen waren. Erſtere gebrauchen die
fleißigen Kirgiſinnen mit vieler Geſchickſichkeit, und naͤ-
hen nach ihrer Art gar vortreffliche Muſter. Fingerrin-
ge tragen ſie gewoͤhnlich drey an jeder Hand, am Dau-
men, Zeige- und Goldfinger. Sie ſind im eigentlichen
Verſtande Sclavinnen ihrer Maͤnner, alle haͤusliche Ar-
beit liegt auf ihnen, ſie muͤſſen das Vieh melken, But-
ter, Kaͤſe, Kuͤmuͤß beſorgen, dem Mann das Pferd ſat-
teln, die Jurten aufbauen und abtakeln; ſie machen alle
Kleidungen, ſogar die Stieſeln. Da hingegen der Mann
ißt, trinkt, ſchlaͤft, raucht Toback, reitet auf die Jagd,
treibt die Heerden zuſammen, oder geht in Geſellſchaft
mit andern aufs Rauben aus. Jn einer der beſten Jur-
ten, worinn ſchon eine Menge Nachbaren verſammelt

waren,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0163" n="155"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">aus Sibirien.</hi></fw><lb/>
gebratenes Lamm, ein großer lederner Schlauch (<hi rendition="#fr">Tur&#x017F;-<lb/>
&#x017F;uck</hi>) mit Ku&#x0364;mu&#x0364;ß, und der Branntewein paradirte; man<lb/>
kann &#x017F;ich leicht gedenken, daß es uns an Appetit nicht<lb/>
fehlte, denn gar bald ver&#x017F;chwand alle Zierde des Krei-<lb/>
&#x017F;es, und nun, noch mit der Tobackspfeife im Munde,<lb/>
&#x017F;uchte ein jeder einen Schlafplatz, wo ich wenig&#x017F;tens &#x017F;ehr<lb/>
ge&#x017F;chwind alles in der Welt vergaß, und den 8ten Jul.<lb/>
wie fri&#x017F;ch gebohren und erquickt die aufgehende Sonne<lb/>
gru&#x0364;ßte. Nach eingenommenem Fru&#x0364;h&#x017F;tu&#x0364;ck, wa&#x0364;hrend dem<lb/>
ich meine vortrefflichen Uld&#x017F;hari&#x017F;chen Pflanzen in Ord-<lb/>
nung brachte, kam mein ge&#x017F;triger freundlicher Kirgi&#x017F;e,<lb/>
mit Namen <hi rendition="#fr">Ald&#x017F;higit,</hi> und invitirte mich in &#x017F;eine nahe<lb/>
gelegene Jurte. Bey die&#x017F;er Gelegenheit nahm ich denn<lb/>
fu&#x0364;r &#x017F;eine Weiber und To&#x0364;chter einige kleine Ge&#x017F;chenke mit,<lb/>
worunter befonders Na&#x0364;hnadeln, Fingerhu&#x0364;te und me&#x017F;&#x017F;in-<lb/>
gene Ringe willkommen waren. Er&#x017F;tere gebrauchen die<lb/>
fleißigen Kirgi&#x017F;innen mit vieler Ge&#x017F;chick&#x017F;ichkeit, und na&#x0364;-<lb/>
hen nach ihrer Art gar vortreffliche Mu&#x017F;ter. Fingerrin-<lb/>
ge tragen &#x017F;ie gewo&#x0364;hnlich drey an jeder Hand, am Dau-<lb/>
men, Zeige- und Goldfinger. Sie &#x017F;ind im eigentlichen<lb/>
Ver&#x017F;tande Sclavinnen ihrer Ma&#x0364;nner, alle ha&#x0364;usliche Ar-<lb/>
beit liegt auf ihnen, &#x017F;ie mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en das Vieh melken, But-<lb/>
ter, Ka&#x0364;&#x017F;e, Ku&#x0364;mu&#x0364;ß be&#x017F;orgen, dem Mann das Pferd &#x017F;at-<lb/>
teln, die Jurten aufbauen und abtakeln; &#x017F;ie machen alle<lb/>
Kleidungen, &#x017F;ogar die Stie&#x017F;eln. Da hingegen der Mann<lb/>
ißt, trinkt, &#x017F;chla&#x0364;ft, raucht Toback, reitet auf die Jagd,<lb/>
treibt die Heerden zu&#x017F;ammen, oder geht in Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft<lb/>
mit andern aufs Rauben aus. Jn einer der be&#x017F;ten Jur-<lb/>
ten, worinn &#x017F;chon eine Menge Nachbaren ver&#x017F;ammelt<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">waren,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[155/0163] aus Sibirien. gebratenes Lamm, ein großer lederner Schlauch (Turſ- ſuck) mit Kuͤmuͤß, und der Branntewein paradirte; man kann ſich leicht gedenken, daß es uns an Appetit nicht fehlte, denn gar bald verſchwand alle Zierde des Krei- ſes, und nun, noch mit der Tobackspfeife im Munde, ſuchte ein jeder einen Schlafplatz, wo ich wenigſtens ſehr geſchwind alles in der Welt vergaß, und den 8ten Jul. wie friſch gebohren und erquickt die aufgehende Sonne gruͤßte. Nach eingenommenem Fruͤhſtuͤck, waͤhrend dem ich meine vortrefflichen Uldſhariſchen Pflanzen in Ord- nung brachte, kam mein geſtriger freundlicher Kirgiſe, mit Namen Aldſhigit, und invitirte mich in ſeine nahe gelegene Jurte. Bey dieſer Gelegenheit nahm ich denn fuͤr ſeine Weiber und Toͤchter einige kleine Geſchenke mit, worunter befonders Naͤhnadeln, Fingerhuͤte und meſſin- gene Ringe willkommen waren. Erſtere gebrauchen die fleißigen Kirgiſinnen mit vieler Geſchickſichkeit, und naͤ- hen nach ihrer Art gar vortreffliche Muſter. Fingerrin- ge tragen ſie gewoͤhnlich drey an jeder Hand, am Dau- men, Zeige- und Goldfinger. Sie ſind im eigentlichen Verſtande Sclavinnen ihrer Maͤnner, alle haͤusliche Ar- beit liegt auf ihnen, ſie muͤſſen das Vieh melken, But- ter, Kaͤſe, Kuͤmuͤß beſorgen, dem Mann das Pferd ſat- teln, die Jurten aufbauen und abtakeln; ſie machen alle Kleidungen, ſogar die Stieſeln. Da hingegen der Mann ißt, trinkt, ſchlaͤft, raucht Toback, reitet auf die Jagd, treibt die Heerden zuſammen, oder geht in Geſellſchaft mit andern aufs Rauben aus. Jn einer der beſten Jur- ten, worinn ſchon eine Menge Nachbaren verſammelt waren,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/163
Zitationshilfe: Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/163>, abgerufen am 21.11.2024.