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Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.

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Sievers Briefe
Reaumurschen Wärmemaß. Jch badete alle Tage dar-
inn, konnte aber niemals lange aushalten. Die größte
Wärme der Atmosphäre war im Schatten 17°, die nie-
drigste 6°, im Sonnenschein aber stieg das Thermometer
bis 26°. Jn der Angara muß das Wasser, wegen der
vielen Quellen, noch kälter seyn.

Der Baikal sowohl, als die aus demselben flies-
sende Angara, haben, wie andre sibirische Flüsse, deren
Boden felsigt und steinigt ist, das Besondre, daß sie zu-
erst im Grunde Eiß erzeugen, welches sich in großen
Feldern durch seine Leichtigkeit loßreißt und zu Treibeiß
wird. Alle Flüsse in Sibirien frieren schon in den lez-
ten Tagen des Oktobers, oder in den ersten des Novem-
bers zu; aber der Baikal und die Angara, gemeiniglich
und seit vielen Jahren, erst im Januar. Man urtheilt
gemeiniglich, daß die heftigen Herbststürme auf dem
Baikal, und die sehr schnelle Strömung der Angara,
hieran Schuld sind.

Endlich kamen beyde Galliotten von der andern
Seite des Sees herüber. Die eine, schon vor längst
erbaute, war sehr beschädigt, mußte also ausgebessert
werden, welches aber, aus Mangel an erfahrnen Schiffs-
zimmerleuten, sehr langsam von statten gieng. Jndes-
sen durften wir darauf nicht warten: die neue sehr gut
gebaute Galliotte erhielt ihre Ladung den 14. Jun. und
wir giengen denselben Abend noch am Bord, und segel-
ten mit einem frischen NW Winde davon. Es war
ein äußerst angenehmer Anblick, den die in SW liegen-
de Schneegebirge, und alle übrige, größtentheils mit

Nadel-

Sievers Briefe
Reaumurſchen Waͤrmemaß. Jch badete alle Tage dar-
inn, konnte aber niemals lange aushalten. Die groͤßte
Waͤrme der Atmosphaͤre war im Schatten 17°, die nie-
drigſte 6°, im Sonnenſchein aber ſtieg das Thermometer
bis 26°. Jn der Angara muß das Waſſer, wegen der
vielen Quellen, noch kaͤlter ſeyn.

Der Baikal ſowohl, als die aus demſelben flieſ-
ſende Angara, haben, wie andre ſibiriſche Fluͤſſe, deren
Boden felſigt und ſteinigt iſt, das Beſondre, daß ſie zu-
erſt im Grunde Eiß erzeugen, welches ſich in großen
Feldern durch ſeine Leichtigkeit loßreißt und zu Treibeiß
wird. Alle Fluͤſſe in Sibirien frieren ſchon in den lez-
ten Tagen des Oktobers, oder in den erſten des Novem-
bers zu; aber der Baikal und die Angara, gemeiniglich
und ſeit vielen Jahren, erſt im Januar. Man urtheilt
gemeiniglich, daß die heftigen Herbſtſtuͤrme auf dem
Baikal, und die ſehr ſchnelle Stroͤmung der Angara,
hieran Schuld ſind.

Endlich kamen beyde Galliotten von der andern
Seite des Sees heruͤber. Die eine, ſchon vor laͤngſt
erbaute, war ſehr beſchaͤdigt, mußte alſo ausgebeſſert
werden, welches aber, aus Mangel an erfahrnen Schiffs-
zimmerleuten, ſehr langſam von ſtatten gieng. Jndeſ-
ſen durften wir darauf nicht warten: die neue ſehr gut
gebaute Galliotte erhielt ihre Ladung den 14. Jun. und
wir giengen denſelben Abend noch am Bord, und ſegel-
ten mit einem friſchen NW Winde davon. Es war
ein aͤußerſt angenehmer Anblick, den die in SW liegen-
de Schneegebirge, und alle uͤbrige, groͤßtentheils mit

Nadel-
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[14/0022] Sievers Briefe Reaumurſchen Waͤrmemaß. Jch badete alle Tage dar- inn, konnte aber niemals lange aushalten. Die groͤßte Waͤrme der Atmosphaͤre war im Schatten 17°, die nie- drigſte 6°, im Sonnenſchein aber ſtieg das Thermometer bis 26°. Jn der Angara muß das Waſſer, wegen der vielen Quellen, noch kaͤlter ſeyn. Der Baikal ſowohl, als die aus demſelben flieſ- ſende Angara, haben, wie andre ſibiriſche Fluͤſſe, deren Boden felſigt und ſteinigt iſt, das Beſondre, daß ſie zu- erſt im Grunde Eiß erzeugen, welches ſich in großen Feldern durch ſeine Leichtigkeit loßreißt und zu Treibeiß wird. Alle Fluͤſſe in Sibirien frieren ſchon in den lez- ten Tagen des Oktobers, oder in den erſten des Novem- bers zu; aber der Baikal und die Angara, gemeiniglich und ſeit vielen Jahren, erſt im Januar. Man urtheilt gemeiniglich, daß die heftigen Herbſtſtuͤrme auf dem Baikal, und die ſehr ſchnelle Stroͤmung der Angara, hieran Schuld ſind. Endlich kamen beyde Galliotten von der andern Seite des Sees heruͤber. Die eine, ſchon vor laͤngſt erbaute, war ſehr beſchaͤdigt, mußte alſo ausgebeſſert werden, welches aber, aus Mangel an erfahrnen Schiffs- zimmerleuten, ſehr langſam von ſtatten gieng. Jndeſ- ſen durften wir darauf nicht warten: die neue ſehr gut gebaute Galliotte erhielt ihre Ladung den 14. Jun. und wir giengen denſelben Abend noch am Bord, und ſegel- ten mit einem friſchen NW Winde davon. Es war ein aͤußerſt angenehmer Anblick, den die in SW liegen- de Schneegebirge, und alle uͤbrige, groͤßtentheils mit Nadel-

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Zitationshilfe: Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/22>, abgerufen am 21.11.2024.