ordnung hineingebracht werden. Alle durch ihre relative Zunahme bedingten Fortschritte gestatten gar nicht den Schluss, dass ihr absolutes Sich-Durchsetzen einen weiteren Fortschritt darstellen würde. Ganz entsprechend geht es in den Perioden des steigenden Individualismus. Die Bedeutung der von ihm geleiteten Massregeln ist daran gebunden, dass noch immer Institutionen zentralistischen und sozialisierenden Charakters vorhanden sind, die zwar mehr und mehr herabgedrückt werden können, deren völliges Verschwinden aber auch jene zu sehr unerwarteten und von ihren bisherigen sehr verschiedenen Erfolgen führen würde. Ähnlich verhält es sich in den künstlerischen Ent- wicklungen mit den naturalistischen und den stilisierenden Bestrebungen. Jeder gegebene Moment der Kunstentwicklung ist eine Mischung aus blosser Abspiegelung der Wirklichkeit und subjektiver Umbildung der- selben. Nun mag, vom Standpunkt des Realismus aus, die Kunst durch fortwährendes Wachsen des objektiven Elementes sich immer vollkommener entwickeln. Allein in dem Augenblick, wo dies den alleinigen Inhalt des Kunstwerkes bildete, würde das bis dahin immer gesteigerte Interesse plötzlich in Gleichgültigkeit umschlagen, weil das Kunstwerk dann sich von der Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden und die Bedeutung seiner Sonderexistenz einbüssen würde. Andrer- seits muss die Steigerung des verallgemeinernden und idealisierenden Momentes, so sehr es eine Zeitlang die Kunst veredeln mag, an einen Punkt kommen, wo die Ausscheidung jeder individualistischen Zu- fälligkeit ihr die Beziehung zur Wirklichkeit überhaupt nehmen muss, die jene idealistische Bewegung grade in immer reinerer und voll- kommenerer Form darstellen sollte. Kurz, eine Reihe der wichtigsten Ent- wicklungen vollziehen sich nach dem Schema: dass das immer steigende Übergewicht eines Elementes einen gewissen Erfolg immer steigert, ohne dass doch die absolute Herrschaft jenes und völlige Eliminierung des entgegengesetzten diesen Erfolg nun auch auf seine absolute Höhe höbe; umgekehrt würde jene ihn sogar seines bisher innegehaltenen Charakters berauben. -- Nach solchen Analogien mag sich das Verhältnis zwischen dem substanziellen Eigenwert des Geldes und seinem bloss funktionellen und symbolischen Wesen entwickeln: immer mehr ersetzt das zweite den ersteren, während irgend ein Mass dieses ersteren noch immer vorhanden sein muss, weil bei absoluter Vollendung dieser Entwicklung auch der Funktions- und Symbolcharakter des Geldes seinen Halt und seine zweckmässige Bedeutung einbüssen würde.
Es handelt sich aber hiermit nicht nur um eine formale Analogie innerlich verschiedener Entwicklungen, sondern um die Einheit des tieferen Lebenssinnes, der sich in dieser äusseren Gleichheit verwirk-
ordnung hineingebracht werden. Alle durch ihre relative Zunahme bedingten Fortschritte gestatten gar nicht den Schluſs, daſs ihr absolutes Sich-Durchsetzen einen weiteren Fortschritt darstellen würde. Ganz entsprechend geht es in den Perioden des steigenden Individualismus. Die Bedeutung der von ihm geleiteten Maſsregeln ist daran gebunden, daſs noch immer Institutionen zentralistischen und sozialisierenden Charakters vorhanden sind, die zwar mehr und mehr herabgedrückt werden können, deren völliges Verschwinden aber auch jene zu sehr unerwarteten und von ihren bisherigen sehr verschiedenen Erfolgen führen würde. Ähnlich verhält es sich in den künstlerischen Ent- wicklungen mit den naturalistischen und den stilisierenden Bestrebungen. Jeder gegebene Moment der Kunstentwicklung ist eine Mischung aus bloſser Abspiegelung der Wirklichkeit und subjektiver Umbildung der- selben. Nun mag, vom Standpunkt des Realismus aus, die Kunst durch fortwährendes Wachsen des objektiven Elementes sich immer vollkommener entwickeln. Allein in dem Augenblick, wo dies den alleinigen Inhalt des Kunstwerkes bildete, würde das bis dahin immer gesteigerte Interesse plötzlich in Gleichgültigkeit umschlagen, weil das Kunstwerk dann sich von der Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden und die Bedeutung seiner Sonderexistenz einbüſsen würde. Andrer- seits muſs die Steigerung des verallgemeinernden und idealisierenden Momentes, so sehr es eine Zeitlang die Kunst veredeln mag, an einen Punkt kommen, wo die Ausscheidung jeder individualistischen Zu- fälligkeit ihr die Beziehung zur Wirklichkeit überhaupt nehmen muſs, die jene idealistische Bewegung grade in immer reinerer und voll- kommenerer Form darstellen sollte. Kurz, eine Reihe der wichtigsten Ent- wicklungen vollziehen sich nach dem Schema: daſs das immer steigende Übergewicht eines Elementes einen gewissen Erfolg immer steigert, ohne daſs doch die absolute Herrschaft jenes und völlige Eliminierung des entgegengesetzten diesen Erfolg nun auch auf seine absolute Höhe höbe; umgekehrt würde jene ihn sogar seines bisher innegehaltenen Charakters berauben. — Nach solchen Analogien mag sich das Verhältnis zwischen dem substanziellen Eigenwert des Geldes und seinem bloſs funktionellen und symbolischen Wesen entwickeln: immer mehr ersetzt das zweite den ersteren, während irgend ein Maſs dieses ersteren noch immer vorhanden sein muſs, weil bei absoluter Vollendung dieser Entwicklung auch der Funktions- und Symbolcharakter des Geldes seinen Halt und seine zweckmäſsige Bedeutung einbüſsen würde.
Es handelt sich aber hiermit nicht nur um eine formale Analogie innerlich verschiedener Entwicklungen, sondern um die Einheit des tieferen Lebenssinnes, der sich in dieser äuſseren Gleichheit verwirk-
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ordnung hineingebracht werden. Alle durch ihre relative Zunahme
bedingten Fortschritte gestatten gar nicht den Schluſs, daſs ihr absolutes
Sich-Durchsetzen einen weiteren Fortschritt darstellen würde. Ganz
entsprechend geht es in den Perioden des steigenden Individualismus.
Die Bedeutung der von ihm geleiteten Maſsregeln ist daran gebunden,
daſs noch immer Institutionen zentralistischen und sozialisierenden
Charakters vorhanden sind, die zwar mehr und mehr herabgedrückt
werden können, deren völliges Verschwinden aber auch jene zu sehr
unerwarteten und von ihren bisherigen sehr verschiedenen Erfolgen
führen würde. Ähnlich verhält es sich in den künstlerischen Ent-
wicklungen mit den naturalistischen und den stilisierenden Bestrebungen.
Jeder gegebene Moment der Kunstentwicklung ist eine Mischung aus
bloſser Abspiegelung der Wirklichkeit und subjektiver Umbildung der-
selben. Nun mag, vom Standpunkt des Realismus aus, die Kunst
durch fortwährendes Wachsen des objektiven Elementes sich immer
vollkommener entwickeln. Allein in dem Augenblick, wo dies den
alleinigen Inhalt des Kunstwerkes bildete, würde das bis dahin immer
gesteigerte Interesse plötzlich in Gleichgültigkeit umschlagen, weil das
Kunstwerk dann sich von der Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden
und die Bedeutung seiner Sonderexistenz einbüſsen würde. Andrer-
seits muſs die Steigerung des verallgemeinernden und idealisierenden
Momentes, so sehr es eine Zeitlang die Kunst veredeln mag, an einen
Punkt kommen, wo die Ausscheidung jeder individualistischen Zu-
fälligkeit ihr die Beziehung zur Wirklichkeit überhaupt nehmen muſs,
die jene idealistische Bewegung grade in immer reinerer und voll-
kommenerer Form darstellen sollte. Kurz, eine Reihe der wichtigsten Ent-
wicklungen vollziehen sich nach dem Schema: daſs das immer steigende
Übergewicht eines Elementes einen gewissen Erfolg immer steigert,
ohne daſs doch die absolute Herrschaft jenes und völlige Eliminierung
des entgegengesetzten diesen Erfolg nun auch auf seine absolute Höhe
höbe; umgekehrt würde jene ihn sogar seines bisher innegehaltenen
Charakters berauben. — Nach solchen Analogien mag sich das
Verhältnis zwischen dem substanziellen Eigenwert des Geldes und seinem
bloſs funktionellen und symbolischen Wesen entwickeln: immer mehr
ersetzt das zweite den ersteren, während irgend ein Maſs dieses ersteren
noch immer vorhanden sein muſs, weil bei absoluter Vollendung dieser
Entwicklung auch der Funktions- und Symbolcharakter des Geldes
seinen Halt und seine zweckmäſsige Bedeutung einbüſsen würde.
Es handelt sich aber hiermit nicht nur um eine formale Analogie
innerlich verschiedener Entwicklungen, sondern um die Einheit des
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/158>, abgerufen am 21.11.2024.
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