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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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licht. Mit der Vielheit der Elemente und Tendenzen, als deren In-
einander und Durcheinander das Leben sich vorfindet, scheinen wir
praktisch nur so auszukommen, dass wir unser Verhalten auf jedem
Gebiet und in jeder Periode von einem einheitlichen und einseitigen
Prinzip absolut regieren lassen. Auf diesem Wege aber holt jene
Mannigfaltigkeit des Wirklichen uns 'immer wieder ein und verwebt
unsere subjektive Bestrebung mit allen gegensätzlichen Faktoren zu
einem empirischen Dasein, in dem das Ideal überhaupt erst in die
Wirklichkeit eintreten kann; das bedeutet durchaus keine Dementierung
jenes, vielmehr ist das Leben auf solche absolute Bestrebungen
als Elemente seiner eingerichtet, wie die physikalische Welt auf Be-
wegungen, die, ungestört sich selbst überlassen, zu Unausdenkbarem
führen würden, aber nun, mit hemmenden Gegenwirkungen zusammen-
stossend, gerade das vernunftmässige Naturgeschehen ergeben. Und
wenn die praktische Welt so zustande kommt, dass unser Wollen eine
Richtung ins Ungemessene verfolgt und erst durch Abbiegungen und
Zurückbiegungen gleichsam zu dem Aggregatzustand des Wirklichen
gelangt, so hat auch hier das praktische Gebilde das theoretische vor-
geformt: auch unsere Begriffe von den Dingen bilden wir unzählige
Male so, dass die Erfahrung sie in dieser Reinheit und Absolutheit
überhaupt nicht zeigen, sondern dass erst Abschwächung und Ein-
schränkung durch entgegengesetzt gerichtete ihnen eine empirische Form
geben kann. Darum aber sind jene Begriffe nicht etwa verwerflich;
sondern grade durch dies eigentümliche, exaggerierende und wieder
reduzierende Verfahren an Begriffen und Maximen kommt das unserer
Erkenntnis beschiedene Weltbild zustande. Die Formel, mit der unsere
Seele zu der ihr unmittelbar nicht zugängigen Einheit der Dinge gleich-
sam nachträglich, nachbildend, ein Verhältnis gewinnt, ist, im Prakti-
schen wie im Theoretischen, ein primäres Zusehr, Zuhoch, Zurein, dem
zurückdämmende Gegensätze die Consistenz und den Umfang der Wirk-
lichkeit wie der Wahrheit eintragen. So bleibt der reine Begriff des
Geldes: als der blosse, jedem Eigenwert fremde Ausdruck des gegen-
seitig gemessenen Wertes der Dinge -- völlig gerechtfertigt, obgleich
die historische Wirklichkeit immer nur als Herabsetzung dieses Begriffes
vermittels des entgegengesetzten, des Eigenwertbegriffes des Geldes,
auftritt. Unser Intellekt kann nun einmal das Mass der Realität nur
als Einschränkung reiner Begriffe ergreifen und begreifen, die sich,
wie sie auch von der Wirklichkeit abweichen, durch den Dienst legi-
timieren, den sie der Deutung dieser leisten.


licht. Mit der Vielheit der Elemente und Tendenzen, als deren In-
einander und Durcheinander das Leben sich vorfindet, scheinen wir
praktisch nur so auszukommen, daſs wir unser Verhalten auf jedem
Gebiet und in jeder Periode von einem einheitlichen und einseitigen
Prinzip absolut regieren lassen. Auf diesem Wege aber holt jene
Mannigfaltigkeit des Wirklichen uns ’immer wieder ein und verwebt
unsere subjektive Bestrebung mit allen gegensätzlichen Faktoren zu
einem empirischen Dasein, in dem das Ideal überhaupt erst in die
Wirklichkeit eintreten kann; das bedeutet durchaus keine Dementierung
jenes, vielmehr ist das Leben auf solche absolute Bestrebungen
als Elemente seiner eingerichtet, wie die physikalische Welt auf Be-
wegungen, die, ungestört sich selbst überlassen, zu Unausdenkbarem
führen würden, aber nun, mit hemmenden Gegenwirkungen zusammen-
stoſsend, gerade das vernunftmäſsige Naturgeschehen ergeben. Und
wenn die praktische Welt so zustande kommt, daſs unser Wollen eine
Richtung ins Ungemessene verfolgt und erst durch Abbiegungen und
Zurückbiegungen gleichsam zu dem Aggregatzustand des Wirklichen
gelangt, so hat auch hier das praktische Gebilde das theoretische vor-
geformt: auch unsere Begriffe von den Dingen bilden wir unzählige
Male so, daſs die Erfahrung sie in dieser Reinheit und Absolutheit
überhaupt nicht zeigen, sondern daſs erst Abschwächung und Ein-
schränkung durch entgegengesetzt gerichtete ihnen eine empirische Form
geben kann. Darum aber sind jene Begriffe nicht etwa verwerflich;
sondern grade durch dies eigentümliche, exaggerierende und wieder
reduzierende Verfahren an Begriffen und Maximen kommt das unserer
Erkenntnis beschiedene Weltbild zustande. Die Formel, mit der unsere
Seele zu der ihr unmittelbar nicht zugängigen Einheit der Dinge gleich-
sam nachträglich, nachbildend, ein Verhältnis gewinnt, ist, im Prakti-
schen wie im Theoretischen, ein primäres Zusehr, Zuhoch, Zurein, dem
zurückdämmende Gegensätze die Consistenz und den Umfang der Wirk-
lichkeit wie der Wahrheit eintragen. So bleibt der reine Begriff des
Geldes: als der bloſse, jedem Eigenwert fremde Ausdruck des gegen-
seitig gemessenen Wertes der Dinge — völlig gerechtfertigt, obgleich
die historische Wirklichkeit immer nur als Herabsetzung dieses Begriffes
vermittels des entgegengesetzten, des Eigenwertbegriffes des Geldes,
auftritt. Unser Intellekt kann nun einmal das Maſs der Realität nur
als Einschränkung reiner Begriffe ergreifen und begreifen, die sich,
wie sie auch von der Wirklichkeit abweichen, durch den Dienst legi-
timieren, den sie der Deutung dieser leisten.


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[135/0159] licht. Mit der Vielheit der Elemente und Tendenzen, als deren In- einander und Durcheinander das Leben sich vorfindet, scheinen wir praktisch nur so auszukommen, daſs wir unser Verhalten auf jedem Gebiet und in jeder Periode von einem einheitlichen und einseitigen Prinzip absolut regieren lassen. Auf diesem Wege aber holt jene Mannigfaltigkeit des Wirklichen uns ’immer wieder ein und verwebt unsere subjektive Bestrebung mit allen gegensätzlichen Faktoren zu einem empirischen Dasein, in dem das Ideal überhaupt erst in die Wirklichkeit eintreten kann; das bedeutet durchaus keine Dementierung jenes, vielmehr ist das Leben auf solche absolute Bestrebungen als Elemente seiner eingerichtet, wie die physikalische Welt auf Be- wegungen, die, ungestört sich selbst überlassen, zu Unausdenkbarem führen würden, aber nun, mit hemmenden Gegenwirkungen zusammen- stoſsend, gerade das vernunftmäſsige Naturgeschehen ergeben. Und wenn die praktische Welt so zustande kommt, daſs unser Wollen eine Richtung ins Ungemessene verfolgt und erst durch Abbiegungen und Zurückbiegungen gleichsam zu dem Aggregatzustand des Wirklichen gelangt, so hat auch hier das praktische Gebilde das theoretische vor- geformt: auch unsere Begriffe von den Dingen bilden wir unzählige Male so, daſs die Erfahrung sie in dieser Reinheit und Absolutheit überhaupt nicht zeigen, sondern daſs erst Abschwächung und Ein- schränkung durch entgegengesetzt gerichtete ihnen eine empirische Form geben kann. Darum aber sind jene Begriffe nicht etwa verwerflich; sondern grade durch dies eigentümliche, exaggerierende und wieder reduzierende Verfahren an Begriffen und Maximen kommt das unserer Erkenntnis beschiedene Weltbild zustande. Die Formel, mit der unsere Seele zu der ihr unmittelbar nicht zugängigen Einheit der Dinge gleich- sam nachträglich, nachbildend, ein Verhältnis gewinnt, ist, im Prakti- schen wie im Theoretischen, ein primäres Zusehr, Zuhoch, Zurein, dem zurückdämmende Gegensätze die Consistenz und den Umfang der Wirk- lichkeit wie der Wahrheit eintragen. So bleibt der reine Begriff des Geldes: als der bloſse, jedem Eigenwert fremde Ausdruck des gegen- seitig gemessenen Wertes der Dinge — völlig gerechtfertigt, obgleich die historische Wirklichkeit immer nur als Herabsetzung dieses Begriffes vermittels des entgegengesetzten, des Eigenwertbegriffes des Geldes, auftritt. Unser Intellekt kann nun einmal das Maſs der Realität nur als Einschränkung reiner Begriffe ergreifen und begreifen, die sich, wie sie auch von der Wirklichkeit abweichen, durch den Dienst legi- timieren, den sie der Deutung dieser leisten.

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/159>, abgerufen am 21.11.2024.