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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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Accidenzen teilen liess. Gewiss war dies historisch von unermesslicher
Bedeutung; dass man jede Erscheinung in einen substanziellen Kern
und relative, bewegliche Äusserungsweisen und Eigenschaften zerlegte,
war eine erste Orientierung, ein erster fester Leitfaden durch die
rätselhafte Formlosigkeit der Dinge, ein Gestalten und Unterwerfen
ihrer unter eine durchgehende, unserem Geiste adäquate Kategorie;
die bloss sinnlichen Unterschiede des ersten Anblicks gewinnen so eine
Organisation und Bestimmtheit des gegenseitigen Verhältnisses. Es
ist aber das Wesen solcher Formen, wie der sozialen Organisationen,
unter dem Anschein und dem Anspruch ewiger Dauer zu bestehen. Wie
es deshalb bei der Vernichtung einer Gesellschaftsverfassung zu Gunsten
einer anderen scheint, als ob es mit aller Ordnung und Verfassung über-
haupt vorbei wäre, so ruft die Umbildung der intellektuellen Ordnungen
den gleichen Eindruck hervor: die objektive Festigkeit, wie das subjek-
tive Verständnis der Welt scheint zerbrochen, wenn eine Kategorie fällt,
die bisher gleichsam zu dem Rückgrat des Weltbildes gehörte. Der Geld-
wert wird aber der Reduktion auf einen Funktionswert so wenig wider-
stehen können, wie das Licht, die Wärme und das Leben ihren be-
sonderen substanziellen Charakter bewahren und sich der Auflösung
in Bewegungsarten entziehen konnten.

Ich beobachte nun zunächst gewisse Strukturverhältnisse des Wirt-
schaftskreises.

In welchem Masse es von diesen, und nicht von der Substanz des
Geldes abhängt, inwieweit es wirklich Geld ist, d. h. als Geld wirkt, --
das mag aus einem negativen, an eine prinzipielle Überlegung anzu-
knüpfenden Beispiel hervorgehen. Wir bemerken, dass in Verhältnissen
zwischen zwei Menschen die äussere Form selten der genau angepasste
Ausdruck ihres inneren Intensitätsmasses ist; und zwar pflegt sich die
Inadäquatheit beider so darzustellen, dass sich die inneren Beziehungen
kontinuierlich, die äusseren aber sprungweise entwickeln. Wenn also
selbst zu einem gegebenen Zeitpunkt beide einander entsprechen, so
beharren die letzteren in ihrer einmal gewonnenen Form, während die
ersteren sich steigern. Von einem gewissen Grade ab erfolgt nun ein
plötzliches Wachstum jener, das -- und hier liegt nun das Charakte-
ristische -- in der Regel nicht bei dem Punkte Halt macht, der dem
gleichzeitigen inneren Verhältnis entspricht, sondern über diesen
hinaus eine noch vorgeschrittenere Innerlichkeit antizipiert. So wird
z. B. das Du zwischen Freunden, das als der endliche Ausdruck einer
schon lange bestehenden Zuneigung auftritt, doch in der ersten Zeit
oft noch als ein wenig exaggeriert empfunden und schafft mit einem
Schlage eine äussere Intimität, der die ganz entsprechende innere erst

Accidenzen teilen lieſs. Gewiſs war dies historisch von unermeſslicher
Bedeutung; daſs man jede Erscheinung in einen substanziellen Kern
und relative, bewegliche Äuſserungsweisen und Eigenschaften zerlegte,
war eine erste Orientierung, ein erster fester Leitfaden durch die
rätselhafte Formlosigkeit der Dinge, ein Gestalten und Unterwerfen
ihrer unter eine durchgehende, unserem Geiste adäquate Kategorie;
die bloſs sinnlichen Unterschiede des ersten Anblicks gewinnen so eine
Organisation und Bestimmtheit des gegenseitigen Verhältnisses. Es
ist aber das Wesen solcher Formen, wie der sozialen Organisationen,
unter dem Anschein und dem Anspruch ewiger Dauer zu bestehen. Wie
es deshalb bei der Vernichtung einer Gesellschaftsverfassung zu Gunsten
einer anderen scheint, als ob es mit aller Ordnung und Verfassung über-
haupt vorbei wäre, so ruft die Umbildung der intellektuellen Ordnungen
den gleichen Eindruck hervor: die objektive Festigkeit, wie das subjek-
tive Verständnis der Welt scheint zerbrochen, wenn eine Kategorie fällt,
die bisher gleichsam zu dem Rückgrat des Weltbildes gehörte. Der Geld-
wert wird aber der Reduktion auf einen Funktionswert so wenig wider-
stehen können, wie das Licht, die Wärme und das Leben ihren be-
sonderen substanziellen Charakter bewahren und sich der Auflösung
in Bewegungsarten entziehen konnten.

Ich beobachte nun zunächst gewisse Strukturverhältnisse des Wirt-
schaftskreises.

In welchem Maſse es von diesen, und nicht von der Substanz des
Geldes abhängt, inwieweit es wirklich Geld ist, d. h. als Geld wirkt, —
das mag aus einem negativen, an eine prinzipielle Überlegung anzu-
knüpfenden Beispiel hervorgehen. Wir bemerken, daſs in Verhältnissen
zwischen zwei Menschen die äuſsere Form selten der genau angepaſste
Ausdruck ihres inneren Intensitätsmaſses ist; und zwar pflegt sich die
Inadäquatheit beider so darzustellen, daſs sich die inneren Beziehungen
kontinuierlich, die äuſseren aber sprungweise entwickeln. Wenn also
selbst zu einem gegebenen Zeitpunkt beide einander entsprechen, so
beharren die letzteren in ihrer einmal gewonnenen Form, während die
ersteren sich steigern. Von einem gewissen Grade ab erfolgt nun ein
plötzliches Wachstum jener, das — und hier liegt nun das Charakte-
ristische — in der Regel nicht bei dem Punkte Halt macht, der dem
gleichzeitigen inneren Verhältnis entspricht, sondern über diesen
hinaus eine noch vorgeschrittenere Innerlichkeit antizipiert. So wird
z. B. das Du zwischen Freunden, das als der endliche Ausdruck einer
schon lange bestehenden Zuneigung auftritt, doch in der ersten Zeit
oft noch als ein wenig exaggeriert empfunden und schafft mit einem
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[138/0162] Accidenzen teilen lieſs. Gewiſs war dies historisch von unermeſslicher Bedeutung; daſs man jede Erscheinung in einen substanziellen Kern und relative, bewegliche Äuſserungsweisen und Eigenschaften zerlegte, war eine erste Orientierung, ein erster fester Leitfaden durch die rätselhafte Formlosigkeit der Dinge, ein Gestalten und Unterwerfen ihrer unter eine durchgehende, unserem Geiste adäquate Kategorie; die bloſs sinnlichen Unterschiede des ersten Anblicks gewinnen so eine Organisation und Bestimmtheit des gegenseitigen Verhältnisses. Es ist aber das Wesen solcher Formen, wie der sozialen Organisationen, unter dem Anschein und dem Anspruch ewiger Dauer zu bestehen. Wie es deshalb bei der Vernichtung einer Gesellschaftsverfassung zu Gunsten einer anderen scheint, als ob es mit aller Ordnung und Verfassung über- haupt vorbei wäre, so ruft die Umbildung der intellektuellen Ordnungen den gleichen Eindruck hervor: die objektive Festigkeit, wie das subjek- tive Verständnis der Welt scheint zerbrochen, wenn eine Kategorie fällt, die bisher gleichsam zu dem Rückgrat des Weltbildes gehörte. Der Geld- wert wird aber der Reduktion auf einen Funktionswert so wenig wider- stehen können, wie das Licht, die Wärme und das Leben ihren be- sonderen substanziellen Charakter bewahren und sich der Auflösung in Bewegungsarten entziehen konnten. Ich beobachte nun zunächst gewisse Strukturverhältnisse des Wirt- schaftskreises. In welchem Maſse es von diesen, und nicht von der Substanz des Geldes abhängt, inwieweit es wirklich Geld ist, d. h. als Geld wirkt, — das mag aus einem negativen, an eine prinzipielle Überlegung anzu- knüpfenden Beispiel hervorgehen. Wir bemerken, daſs in Verhältnissen zwischen zwei Menschen die äuſsere Form selten der genau angepaſste Ausdruck ihres inneren Intensitätsmaſses ist; und zwar pflegt sich die Inadäquatheit beider so darzustellen, daſs sich die inneren Beziehungen kontinuierlich, die äuſseren aber sprungweise entwickeln. Wenn also selbst zu einem gegebenen Zeitpunkt beide einander entsprechen, so beharren die letzteren in ihrer einmal gewonnenen Form, während die ersteren sich steigern. Von einem gewissen Grade ab erfolgt nun ein plötzliches Wachstum jener, das — und hier liegt nun das Charakte- ristische — in der Regel nicht bei dem Punkte Halt macht, der dem gleichzeitigen inneren Verhältnis entspricht, sondern über diesen hinaus eine noch vorgeschrittenere Innerlichkeit antizipiert. So wird z. B. das Du zwischen Freunden, das als der endliche Ausdruck einer schon lange bestehenden Zuneigung auftritt, doch in der ersten Zeit oft noch als ein wenig exaggeriert empfunden und schafft mit einem Schlage eine äuſsere Intimität, der die ganz entsprechende innere erst

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/162>, abgerufen am 21.11.2024.